Die Schweiz steht vor einem gewaltigen Abfluss an Steuersubstrat. Grund ist die von den Jungsozialisten lancierte Initiative zur Einführung einer Erbschaftssteuer von 50 Prozent für Vermögen ab 50 Millionen Franken. Nun erwägen Unternehmer und vermögende Familien den vorsorglichen Wegzug aus der Schweiz, wie Gespräche mit Unternehmern und ihren Beratern zeigen.
Beispiel Ypsomed: Die Familie von Simon Michel, Chef des Medtech-Unternehmens Ypsomed. Der aktuelle Börsenwert: 5,5 Milliarden Franken. Er selbst denkt zwar nicht an einen Wegzug, erwägt aber drei Optionen, wie er gegenüber der Handelszeitung erklärt. Eine davon: der Wegzug seines Vaters Willy. Ihm gehört der Grossteil des 73-prozentigen Aktienpakets am Medtech-Unternehmen. «Standorte sind in Abklärung.» Wohlgemerkt, Michels Vermögen liegt nicht auf einem Konto, sondern ist in einem blühenden Unternehmen mit über 2500 Angestellten investiert.
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Mehr als 5 Milliarden Verlust an Steuern
Zwei weitere Alternativen seien wegen der Juso-Initiative im Gespräch, sagt Michel: Das Aktienpaket bereits jetzt der nächsten Generation als Schenkung zu übertragen; und als dritte Möglichkeit erwägt die Familie, die Aktien «in Trust-Konstrukte in England oder eine andere Jurisdiktion» zu übertragen.
Michel denkt an die Firma. «Niemand mit solch grossen Aktienpaketen kann und wird es so weit kommen lassen, dass eine solche Erbschaftssteuer je einmal bezahlt werden müsste», sagt der Unternehmer und FDP-Nationalrat. Die Folgen für die Schweiz würden potenziell gravierend sein: «Ich gehe davon aus, dass der Schweiz Vermögenssteuern im Umfang von deutlich über fünf Milliarden Franken pro Jahr ab 2027 verloren gehen würden.»
Beispiel Unternehmer Hans-Jörg Bertschi, Chef des gleichnamigen Logistikunternehmens mit über 3000 Angestellten und einer Milliarde Umsatz: «Die Juso-Initiative wird auch uns betreffen», sagt er und rät grossen Familienunternehmen, sich damit auseinanderzusetzen. Ähnlich wie Michel und Spuhler überlegt er, wie die Firma die Volksinitiative überleben könnte. Denn sie wäre ernsthaft gefährdet. «Die Mittel der Familie sind weitestgehend in der Firma gebunden. Zwingt die Initiative zum Verkauf, um Erbschafts- oder Schenkungssteuern zu zahlen, können wir unser Ziel nicht erreichen.»
Beispiel Thomas Matter, laut «Bilanz»-Reichstenliste hält er 125 Millionen Franken Vermögen: «Die Volksinitiative würde mich auch betreffen.» Die Initiative habe eine Enteignung der Hälfte des Vermögens zur Folge. «Das ist purer Kommunismus.» Er glaubt, dass es bei der Annahme der Initiative «zu einer Massenauswanderung von Unternehmern» kommen würde. Das sei eine dramatische Entwicklung.
Spuhlers Ärger auf die Juso
Den Anfang machte Stadler-Rail-Grossaktionär Peter Spuhler vor zwei Tagen. Der Bahnunternehmer sagte der «Sonntagszeitung», er erwäge seinen Wegzug wegen der Erbschaftssteuer-Initiative. «Weil ich diese horrende Erbschaftssteuer unmöglich zahlen könnte, muss ich noch vor der Abstimmung mindestens vorübergehend auswandern, sofern die Politik nicht vor der Abstimmung noch eingreift», sagt Spuhler.
Die Initiative der Juso ist im März zustande gekommen. Sie fordert eine «Zukunftssteuer» von 50 Prozent auf Nachlässen und Schenkungen ab 50 Millionen Franken. Erbschaften unterhalb dieser Schwelle sollen steuerfrei bleiben. Es ist dies eine Neuauflage der Volksinitiative von 2013, die das Volk 2015 an der Urne abschmetterte. Damals ging es um eine Erbschaftssteuer, die Erbschaften ab 2 Millionen Franken besteuert hätte. Schon damals war die Verunsicherung im Vorfeld der Initiative gross.
Was diesmal besonders für Verunsicherung sorgt, ist der Fakt, dass die Initiative rückwirkend gelten soll. Nach einer allfälligen Annahme soll laut Initiativtext der Bundesrat binnen drei Jahren Ausführungsbestimmungen per Verordnung festlegen, so dass auch rückwirkend Erbschaften besteuert werden – per Stichtag Abstimmungsdatum. Ob dies legal wäre, wird momentan diskutiert und ist umstritten.
Partners-Group-Partner nennt Alternativen
Aber alleine die Erwähnung der Rückwirkung im Initiativtext löst sehr grosse Besorgnis bei Firmeninhabern und Vermögenden aus: «Viele unserer Kunden, vor allem bei den sehr Vermögenden, erwägen ernsthaft den Schritt des temporären Wegzugs, sagt Jürg Niederbacher, Leiter Private Clients bei der Unternehmensberatung PWC. Denn der Wegzug sei der einzig sichere Weg, der Erbschaftssteuer-Initiative zu entgehen. «Sollte die Initiative abgelehnt werden, besteht die Gefahr, dass die Vermögenden nie wieder kommen. Das wäre sehr schlecht für die Schweiz», warnt der Experte.
«Ich kenne ein Dutzend vermögende Unternehmer, welche aus offensichtlichen und mir verständlichen Gründen den Wegzug planen», sagt auch Alfred Gantner, Mitbegründer des Private-Equity-Spezialisten Partners Group. Gantners Familie selbst sei nicht betroffen. «Denn wir haben vereinbart, dass der Grossteil unseres Vermögens in unsere karitativen Stiftungen fliessen wird.»
Roche-Erben müssten Milliarden Steuern zahlen
Ein Extremfall der Auswirkungen der Initiative würden die Familien Hoffmann und Oeri darstellen. Sie halten 72 Prozent der Stimmrechte am Pharmariesen Roche. Müssten die Nachkommen Erbschaftssteuern auf ihre Roche-Aktien zahlen, würden zweistellige Milliardensummen fällig.
Wie bei Spuhler, Michel, Bertschi oder Matter ist es ihnen unmöglich, solch eine Summe zu bezahlen, der Grossteil des Familienvermögens steckt in der Firma. Daher bliebe auch den Familien Hoffmann und Oeri kaum etwas anderes übrig, als die Schweiz zu verlassen. Die Familie selbst liess dazu eine Anfrage unbeantwortet.
Bislang galt die Familie auch als Garant dafür, dass Roche seinen Firmensitz in der Schweiz behält. Daher hat Roche jüngst Milliarden in den Basler Firmensitz investiert. Doch sollte die Eignerfamilie das Land tatsächlich verlassen, wird damit auch automatisch das Commitment des Konzerns zum Standort Schweiz geschwächt.
Temporäre Ausweichmanöver
Laut PWC-Experte Niederbacher würden einige Familien den Vermögensübertrag nun bereits vorziehen, um der Initiative zuvorzukommen. «Doch das löst das Problem nur temporär», warnt der Experte. «Sollte die Initiative angenommen werden, schlägt die Erbschaftssteuer dann bei der nächsten Generation zu.»
Im Vorfeld der erwähnten Juso-Initiative 2013 gab es das schon einmal: «Viele machten damals Schenkungsverträge. Nach dem Nein an der Urne wurden sie annulliert», erinnert sich SVP-Nationalrat Thomas Matter, Eigentümer der Neuen Helvetischen Bank und der Matter Group.
Die Rückwirkung im Parlament verbieten
Nun wird die Forderung laut, dass das Parlament die neue Initiative entschärfen soll, indem es die Rückwirkungsklausel der Initiative für nichtig erklärt. Neben Bahnunternehmer Spuhler fordert dies auch Ypsomed-Chef und FDP-Nationalrat Simon Michel: «Mit der Ungültigerklärung der Rückwirkungsklausel kann das Parlament dieses Risiko für unser Land weitgehend eliminieren», sagt er. SVP-Nationalrat Matter zweifelt indes daran, ob das eine gute Lösung wäre. Legal wäre es. Das Parlament ist darin frei, Teile oder eine ganze Volksinitiative für ungültig zu erklären. Das Bundesamt für Justiz schreibt auf Anfrage: «Eine Teilungültigerklärung einer Volksinitiative ist grundsätzlich möglich».
Partners-Group-Gründer Gantner bringt einen anderen Vorschlag ins Spiel: Er schlägt vor, der Initiative der Jungsozialisten einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen. «Ich plädiere dafür, die Vermögenssteuer progressiv zu gestalten.»
Statt einer Erbschaftssteuer, die nur einmal anfällt und daher stark schwankende Steuereinnahmen zur Folge hat, sollte die Vermögenssteuer erhöht werden, so Gantner. «Das könnte so ausgestaltet sein, dass über eine Generation, was rund dreissig Jahren entspricht, das Vermögen zu 30 Prozent besteuert wird», sagt der Milliardär.
Das könnte helfen, einen Exodus von Familienunternehmern zu verhindern. Doch sollte die Politik nicht reagieren, würden Unternehmer und Vermögende nicht einfach abwarten und darauf hoffen, dass die Initiative abgelehnt wird. «Ein Milliardär sagte mir neulich: ‹Auch wenn das Risiko nur bei 10 Prozent liegt, beim Überqueren einer Autobahn überfahren zu werden, wird niemand über diese Autobahn gehen.›»
Die Privatbankiers wollen nicht auswandern
Nur eine Unternehmergruppe war für die «Handelszeitung» zu finden, die nicht abziehen will: die fünf Partner der Bank Rahn und Bodmer.
Das sind Peter Rahn, Christian Rahn, Christian Bidermann, Martin Bidermann und dessen Sohn Jay Bidermann. Sie erklären: «Wir sind in der Schweiz seit Generationen verwurzelt und werden unabhängig vom Ausgang der Abstimmung in der Schweiz bleiben, als Privatpersonen.» Wie sie das finanziell überstehen würden, machen sie nicht transparent. Dazu sagen sie nur: «Wir sind im Generationenwechsel stark gefährdet und müssen uns davor entsprechend vorsehen.»
Aber auch die Privatbanker warnen: «Der volkswirtschaftliche Schaden, der bereits heute durch die Erbschaftssteuer-Initiative im Vorgang der Abstimmung angerichtet wird, ist enorm.»