Auf einen Blick
Sie waren gerade in China – Laax goes global?
Reto Gurtner: Wir sind in Asien das bekannteste Freestyle-Resort der Alpen und wollen die Marke Laax in diesem riesigen Markt schützen und gleichzeitig promoten.
Warum ist China trotz aller Wachstumsprobleme ein Zukunftsmarkt?
Die Nachfrage ist riesig. Dort entstehen gerade 30 neue Ski-Domes, in Shenzhen soll die längste Piste 800 Meter lang werden. Mehr als 70 Prozent der Sporttreibenden sind Freestyler, die für uns besonders interessant sind. Und die Preise für einen Jahrespass liegen bei umgerechnet 8000 Dollar. Hier liegt ein grosses Potenzial für uns.
Eine Chinesenwelle in Laax–Flims?
Natürlich ist unsere Hotelkapazität begrenzt. Aber für das Chinese New Year im Januar, wenn es nach dem Ansturm nach den Feiertagen ruhiger ist, sehen wir durchaus Chancen.
Vor Saisonbeginn schreckten Sie die Konkurrenz mit der Aussage auf, dass ein Tagespass in Zukunft 200 bis 300 Franken kosten werde.
Ich wies lediglich auf einen Trend hin, den wir eben auch in China sehen: Es geht hin zu Jahresabos. Aber wenn jemand für einen einzelnen Tag ein Ticket kaufen will, wird das gerade in der Hochsaison teurer.
Wie viel verlangen Sie?
Dies kommt ganz auf die Saisonphase an. Durch unser dynamisches Preismodell kostete eine Tageskarte in der Spitze 105 Franken. Wer dann noch unseren Schnellzugang Blueline bucht, zahlt bis zu 50 Franken extra, zusammen mit dem Parkplatz geht es dann fast auf 200 Franken. Das Essen ist da noch nicht eingerechnet. Das ist heute die Realität in allen grossen Wintersportorten der Schweiz.
Trotzdem ist der Andrang gross.
Über die Feiertage verzeichnen wir jeweils die höchsten Eintrittszahlen des Jahres. Da ist es wichtig, dass wir über den Preis die Nachfrage steuern können. Allerdings haben wir festgestellt, dass die Kunden gerade in Spitzenzeiten bei guten Konditionen gar nicht so stark auf den Preis achten. So hatten wir mit 17 000 Personen mehr Menschen auf den Pisten als geplant – unsere Obergrenze ist eigentlich 15 000.
Das heisst: Die Kunden sind weniger preissensibel als gedacht.
Ja, das haben wir bei den Tageskarten festgestellt. Und bei Skiferien von einer Woche und mehr sind die Skitickets ohnehin nicht der grösste Posten: Sie betragen im Schnitt etwa 15 Prozent der Gesamtkosten – am teuersten ist noch immer die Unterkunft.
Das heisst: Die Grossen überleben.
Natürlich spürt die Branche den Klimawandel. Die hoch gelegenen Skigebiete werden aber überproportional profitieren. Bei uns liegen 70 Prozent der Pisten über 2000 Meter. Ein perfekter Skitag ist ein Gut, für das die Kunden noch immer gern Geld ausgeben. Ski fahren ausserhalb Europas, etwa in den USA, ist schon jetzt deutlich teurer. Zudem sind auch die Alternativen zum Skifahren nicht billiger geworden.
Das bedeutet, allem Jammern der Skiorte zum Trotz: Umsatzrekord.
Ja, wir haben noch nie in der Geschichte der Weissen Arena Gruppe eine so ertragreiche Festtagszeit gehabt. Die Bedingungen waren ideal, das hatten wir das letzte Mal 2009: viel Schnee, durchgehend Sonne, Kälte. Und weil die Preise heute deutlich höher sind, bedeutet das in der Tat Umsatzhöchstwerte.
Ihr Modell der Weissen Arena Gruppe ist einzigartig in den Alpen und nur vergleichbar mit den Anbietern in den USA: Sie bieten als integriertes Resort vom Skipass über die Hotels und Restaurants bis zur Skischule alles aus einer Hand an. Ist dieses Modell noch zeitgemäss – oder schwerfällig?
Es ist zeitgemässer denn je. Wer die volle Wertschöpfungskette abdeckt, kann die Erträge besser optimieren. Die Amerikaner machen das so, die Chinesen, und jetzt kommt das Modell auch nach Saudi-Arabien: Das Skigebiet Trojena, das dort gerade für die Asian Winter Games 2029 gebaut wird, ist voll integriert.
Ein integriertes Resort ist doch de facto ein Konglomerat.
Entscheidend ist für uns: Die Wertschöpfung des Gesamtunternehmens muss grösser sein als die Summe der Einzelteile. Das ist meine Mission.
Sie haben vor eineinhalb Jahren als Präsident und neu auch Delegierter des Verwaltungsrats wieder den Chefposten übernommen. Was lief falsch mit dem bisherigen CEO Markus Wolf, der dann im Herbst als Swiss-Olympic-Präsident kandidierte, aber gegen Ruth Metzler unterlag?
Nach der Corona-Pandemie mussten wir die ganze Gruppe neu denken, und da brauchte es mehr Detailkenntnisse in den einzelnen Bereichen, aber auch mehr Unternehmertum und weniger Administration. Da fühlte ich mich verpflichtet, wieder die operative Führung zu übernehmen.
Was ist das Ergebnis des Neudenkens?
Die Vision ist immer noch die gleiche: Wir wollen unsere Region international unter den Top-Destinationen fest verankern und Werte schaffen für die Menschen in der Region, die Mitarbeitenden und die Kunden. Mein Vater hat die Bergbahn Crap Sogn Gion 1962 gegründet, da war Laax ein Mini-Dorf mit gerade 300 Einwohnern. Heute sind wir weltweit bekannt. Wir wurden nicht nur mehrfach an den World Ski Awards zu «Switzerland’s Best Resort» gekürt. Vor allem ist es uns auch gelungen, neun Mal nacheinander zum «World’s Best Freestyle Resort» gewählt zu werden.
Kein Gebiet in den Alpen setzt so stark auf Freestyle und die weltweite Snowboard-Community.
Wir sehen hier eine einzigartige Chance: Wir erreichen viel stärker junge Menschen als andere Skigebiete. Und Freestyle wächst im Ausland deutlich stärker als Skifahren, weil die Infrastruktur-Bedürfnisse nicht so gross sind. Weltweit gibt es etwa 100 Millionen Freestyler und Snowboarder, aber nur 50 Millionen Skifahrer. In China etwa sind mehr als 70 Prozent Freestyler. Der Anteil liegt in Europa bei 11 Prozent, wir liegen bei 30 Prozent. Unsere Laax Open, die wir stets Mitte Januar veranstalten, mögen in der Schweiz nicht ganz so viel Aufmerksamkeit erhalten wie klassische Skirennen. Aber global und in der Community ist das Interesse riesig. So ziehen wir eine junge Klientel an und tragen die Marke Laax in die Welt hinaus.
Was hat sich in der Umsetzung der Strategie geändert?
Der Vertikalisierung der Wertschöpfungskette ist nur ein Vorteil, wenn jedes Glied in der Kette optimal eingesetzt und nicht von einer Zentrale eingeengt wird. Dazu braucht es einen Analyseprozess, den ich nach meiner Rückkehr angestossen habe.
Wie weit sind Sie?
Etwa bei 70 Prozent. De facto geht es darum, mich selbst überflüssig zu machen. Wir haben sechs verschiedene Bereiche, vier davon sind operativ: Bergbahnen und Infrastruktur, Food und Beverage, Education und Equipment, Logement. Sie sind vollkommen unterschiedlich. Mein Ziel ist, sie eigenständig laufen zu lassen, mit Verantwortung an der Front, aber dabei die Verbundvorteile voll zu nutzen. Statt eines Tankers will ich tausend hoch spezialisierte Kanuten. Aber sie müssen im richtigen Takt rudern.
Sie haben schon früher als andere konsequent auf Digitalisierung gesetzt. Welche Rolle spielt KI?
Eine sehr grosse: Sie wird die Abläufe revolutionieren und die Effizienz massiv steigern. Wir investieren hier sehr viel.
Wie setzen Sie KI ein?
Wir definieren bei jedem Prozess trennscharf, welche Tätigkeiten vom Menschen übernommen werden müssen: Skikurse geben, Gäste mit Emotionen betreuen, Pistenfahrzeuge nachts fahren – das wird auf absehbare Zeit von qualifizierten Mitarbeitenden ausgeführt werden. Aber bei vielen Planungs- und Steuerungsprozessen prüfen wir, wie stark wir KI einsetzen können.
Sie haben vor dem Einstieg prägende Jugendjahre in den USA erlebt und sind damals auch in die Surfkultur in Kalifornien eingetaucht. Kommt daher diese stetige Freude an Innovationen und Neuentdeckungen?
Als ich 1981 die Firma nach dem plötzlichen Tod meines Vaters übernahm, war ich schon in der Welt herumgekommen. Im Internat in Lausanne hatte ich viele Amerikaner kennengelernt, später habe ich auch in Los Angeles Management studiert, als dort in den 1970er-Jahren gerade viele neue Sportarten populär wurden wie Skaten und Surfen. Diese Aufbruchstimmung hat mich geprägt. Und dann habe ich mir natürlich auch die Skigebiete dort genau angeschaut. Das lag bei mir im Blut. Mein Vater hat mich schon als kleiner Bub immer zu seinen Bergbahnkollegen in ganz Europa mitgeschleppt. Und da habe ich etwa in Vail die Vorteile eines integrierten Resorts kennengelernt und erlebt. Das hat mich zum Aufbau der Weissen Arena inspiriert.
Und jetzt wollen die Amerikaner angeblich die Gruppe kaufen. Andermatt und Crans-Montana hat der Wintersportanbieter Vail Resorts bereits übernommen, jetzt sollen Sie als deutlich grösserer Fisch auf der Liste stehen. Wollen Sie verkaufen?
Nein, das ist kein Thema für mich.
Warum nicht?
Ich bin hier verwurzelt und fühle mich dieser Region verpflichtet. Mein Grossvater war einst aus dem Kanton Freiburg als Metzger hier ins Bündnerland gekommen. Ein Verkauf kommt für mich nicht Frage.
Wie viel liesse sich dann lösen?
Man kann die Bewertung von Skigebieten nicht allein mit den gängigen Börsenkennzahlen messen. Der Charme eines Kaufs liegt gerade für einen Anbieter wie Vail in dem Verbund mit anderen Gebieten und in der Monetarisierung der Kundenbasis über Jahrespässe. Vail ist börsenkotiert, sie müssen wachsen. Das befeuert Gerüchte.
Die Weisse Arena ist an der Nebenwertebörse in Bern kotiert. Nach den Gerüchten im Sommer stieg der Kurs.
Es findet praktisch kein Handel statt. Unsere Aktionärsbasis umfasst mehr als 3000 Personen, wobei meine Familie, zusammen mit den Anteilen enger Partner und Unterstützer, über die Mehrheit verfügt. Selbstverständlich bin ich mit der Bewertung beim Verkauf von Andermatt vertraut. Wir sind jedoch deutlich mehr wert.
Wie viel mehr? Unsere Schätzung begänne ab 600 Millionen.
Sagen wir: Die Dimension könnte stimmen.
Da läge doch für Sie viel Karibik drin.
Aber eben: Das interessiert mich nicht. Ich liebe die Herausforderungen meiner Aufgabe und habe dieser Region mein Leben gewidmet. Was soll ich denn mit einem Haufen Geld auf dem Konto, das ein Banker für mich verwaltet? Und Häuser rund um die Welt brauche ich auch nicht. Immobilien machen immobil. Sie schränken mich in meiner Freiheit ein.
Stimmt es, dass Sie letzten Sommer mit den Amerikanern verhandelten?
Ich kenne Vail und den nicht kotierten Rivalen Alterra seit Jahrzehnten.
Aber jetzt im Sommer: Lief da etwas?
Nein, überhaupt nichts. Das war eine typische Sommerloch-Geschichte. Es gab überhaupt keine Verhandlungen.
Sie sind 70 Jahre alt, die Weisse Arena Gruppe ist Reto Gurtner. Amerikaner würden von «Key Man Risk» sprechen. Wie steht es mit der Nachfolge?
Meine beiden Kinder sind noch jung, aber ich würde sie ohnehin nicht in ein enges Schema pressen wollen. Ihre Ausbildung ist mir sehr wichtig. Doch sie sollen machen, was sie wollen.
Wie geht es also an der Spitze weiter?
Ich treibe die Analyse und Optimierung der Abläufe voran. Gerade habe ich gelesen, dass in China bereits die erste Firma, ein Milliardenkonzern, ihren CEO durch KI ersetzt hat. Das gefällt mir.