Swisscom präsentiert sich in der lettischen Hauptstadt Riga als Traumarbeitgeberin: «Schlechtes Wetter? Kein Problem, arbeite von zu Hause aus», verspricht der Telekomkonzern in Werbespots. Auch arbeiten von einer Ferieninsel aus sei möglich. Zudem werden junge IT-Fachleute mit einer Homeoffice-Zulage von 500 Euro, Handy- und Internet-Pauschale, Fitnessabo sowie arbeitsfreiem Geburtstag umgarnt.
In der holländischen Hafenstadt Rotterdam buhlt Swisscom ebenfalls um Spezialisten für Informations- und Kommunikationstechnik. 2019 wurden die ersten Entwickler engagiert, heute beschäftigt man an beiden Standorten zusammen mehr als 500 IT-Fachleute.
Knapp ein Fünftel der Arbeitsplätze im Ausland
Über den gesamten Konzern gesehen sitzt heute, wie dem Geschäftsbericht 2023 zu entnehmen ist, fast jeder fünfte Swisscom-Mitarbeitende im Ausland. Von 19'729 Arbeitsplätzen waren 18,6 Prozent ausserhalb der Schweiz angesiedelt, vor fünf Jahren lag diese Quote bei 13,6 Prozent.
Neben dem Aufbau der IT-Teams in Rotterdam und Riga ist das starke Wachstum der italienischen Tochterfirma Fastweb Haupttreiber dieser Entwicklung. Fastweb zählt mittlerweile mehr als 3000 Mitarbeitende.
In dieser Statistik noch nicht einmal eingerechnet sind Callcenter-Mitarbeitende, die im Ausland stationiert sind und sich telefonisch um Swisscom-Kunden kümmern. Sie bleiben im Geschäftsbericht unerwähnt, da sie über Drittfirmen angestellt sind.
2022 eröffnete eine Swisscom-Partnerfirma ein Callcenter im Kosovo. Seit dem laufenden Jahr werden zusätzliche Standorte in Polen und Bulgarien getestet, wie «20 Minuten» vor einigen Wochen publik machte.
«Wie viel Schweiz steckt in der Swisscom?»
Im Gespräch mit Blick bestätigt Swisscom-CEO Christoph Aeschlimann (46) diese Pläne, versucht aber zu relativieren: «Die Dimension dieser Auslagerung ist sehr überschaubar. Im Kosovo sind es aktuell gerade einmal 45 Leute, die sich um Swisscom-Kunden kümmern.»
Zum Vergleich: Insgesamt widmen sich rund 1500 Callcenter-Mitarbeitende den Fragen und Sorgen von Swisscom-Kunden. Aeschlimann: «Rund die Hälfte sind Swisscom-Mitarbeitende in der Schweiz, die andere Hälfte arbeitet bei Partnerfirmen.»
Auch die Politik beschäftigt sich mit der «Offshoring»-Strategie. Da der Telekomkonzern mehrheitlich der Eidgenossenschaft gehört, wollte Nationalrätin Greta Gysin (40, Grüne) Ende 2023 vom Bundesrat wissen: «Wie viel Schweiz steckt noch in der Swisscom?» In einer Interpellation schrieb die Tessinerin, als grösstes IT-Unternehmen des Landes habe Swisscom eine «besondere Verantwortung als Arbeitgeberin». «Die zunehmenden Offshoring-Projekte der Swisscom lassen eine Schmälerung dieser Verantwortung annehmen», so Gysin.
Keine Abkehr von der Strategie
Die Landesregierung sieht es anders. In einer Stellungnahme stärkte sie der Swisscom-Führung vor zwei Wochen den Rücken: «Der Aufbau von Stellen im Ausland ist mit den strategischen Zielen vereinbar, insbesondere, wenn er dazu dient, IT-Talente auf dem internationalen Arbeitsmarkt zu rekrutieren.»
Aeschlimann akzeptiert die Kritik erst recht nicht: «In der Schweiz herrscht praktisch Vollbeschäftigung», sagt er und betont, dass Swisscom im vergangenen Jahr auch hierzulande rund 300 Stellen geschaffen habe. Eine Abkehr von seiner Strategie schliesst der CEO aus. Im Gegenteil, er kündigt einen weiteren Ausbau im Ausland an: «Mittelfristig werden wir in Rotterdam und Riga voraussichtlich 700 IT-Fachleute beschäftigen.»
Tiefe Löhne in Lettland
Die Swisscom-Spitze will diese Auslagerungen jedoch keinesfalls als Sparübungen verstanden wissen. Aeschlimann: «Der Hauptgrund ist, dass wir die spezialisierten IT-Fachkräfte in der Schweiz kaum finden.»
Dennoch dürfte das tiefere Lohnniveau im Ausland zumindest ein willkommener Nebeneffekt sein. So werden einem «Software Developer» in Riga zwar wie erwähnt zahlreiche Goodies geboten, der monatliche Bruttolohn jedoch liegt bei 2000 bis 3300 Euro. Für dieses Geld starten IT-Fachleute in der Schweiz nicht einmal den Rechner.