Um zu überleben, müssen alle Spezies wirtschaften und der Umgebung Energie abgewinnen. Zu diesem Zweck müssen sie ihre Bedürfnisse erkennen, ihre produktiven und reproduktiven Tätigkeiten koordinieren und die Beute so teilen, dass alle fit bleiben. Diese Fähigkeiten und Abläufe sind uns von der Evolution ins Gehirn programmiert worden. Alles, was dem Überleben der Spezies dient – Sex, essen und trinken, teilen, gemeinsam etwas unternehmen –, wird mit Glückshormonen belohnt.
Gemeinschaft als evolutionärer Trumpf
Der wichtigste evolutionäre Trumpf der Menschen ist die Fähigkeit, grosse Verbände von Individuen zu bilden, die sich gegenseitig zur Hilfe verpflichtet fühlen. Das setzt räumliche und soziale Nähe voraus. In diesem Sinne sind auch Feste und Saufgelage produktive Tätigkeiten, weil sie primäre Bedürfnisse befriedigen und mithelfen, soziales Vertrauenskapital zu bilden. Je mehr Vertrauen, desto weniger Reibungsverluste.
Mit der Erfindung des Geldes und der Marktwirtschaft haben die Menschen eine Möglichkeit geschaffen, die Arbeit so zu koordinieren, dass man auch Fremde in den Austausch einbeziehen konnte. Die Vorteile sind enorm: hohe Spezialisierung, Massenproduktion, Leistungsanreize durch Entlassungsdrohung und Aussicht auf finanziellen Reichtum. Als Folge davon sind wir heute mit einem materiellen Überfluss gesegnet, der vor – aus evolutionärer Sicht – sehr kurzer Zeit undenkbar war.
Die Marktwirtschaft hat einige Schwächen
Doch diese Medaille hat eine Kehrseite. Die Marktwirtschaft ist zwar stark in der Organisation der Arbeit, aber schwach punkto Wahrung des Vertrauens, punkto Verteilung der Beute und punkto Erkennen der Bedürfnisse. In der geldlosen Bedarfswirtschaft arbeiten wir für unseren Bedarf. Haben wir Hunger, backen wir uns eine Pizza. In der Marktwirtschaft werden wir nicht vom eigenen Hunger angetrieben, sondern von der Kaufkraft von Fremden. Die Marktwirtschaft reagiert nur auf Signale, die sie laufend selber generiert – und entkoppelt sich so von der realen Welt.
Das zeigt sich auch darin, dass diese Kaufkraft zunehmend einseitig verteilt wird. Typischerweise entfallen heute weniger als 20 Prozent aller Markteinkommen (Löhne, Zinsen, Mieten) auf die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Auf der anderen Seite fallen gut 30 Prozent der Markteinkommen und rund 90 Prozent der Finanzvermögen beim reichsten Zehntel an. Mit der Folge, dass wir vor allem für den Luxuskonsum einer kleinen Minderheit arbeiten. Dass die Marktwirtschaften noch nicht ausgestorben sind, verdanken sie einer aufwendigen staatlichen Umverteilungsbürokratie. Sie ist einer der vielen Umwege, die der Markt gehen muss, um – hoffentlich – ans ferne Ziel der Bedürfnisbefriedigung zu gelangen.
Finanzindustrie gibt den Rhythmus vor
Auch die Arbeitsmarktbürokratie und die Werbewirtschaft sind solche Umwege. In der Bedarfswirtschaft wird man in eine Produktionsgemeinschaft hineingeboren, die zugleich Konsumgemeinschaft ist. In der Marktwirtschaft muss man sich erst bewerben und kann entlassen werden. Es braucht Personalabteilungen, Headhunter, Arbeitsgerichte, staatliche Arbeitsmarktbürokratien etc. Und da man nicht das herstellt, was man selber braucht, muss man seine Produkte bewerben. In vielen Branchen übersteigen die Aufwendungen für Vermarktung und Vertrieb inzwischen die Kosten für die eigentliche Produktion.
Und dann erst der Moloch der Finanzindustrie! In einer Geldwirtschaft wollen alle Profite machen, sprich Forderungen gegenüber Dritten anhäufen. Das Verwalten, Verschieben und Vermarkten dieser inzwischen Zehntausenden Milliarden Forderungen verschlingt in der Schweiz fast einen Sechstel des Bruttoinlandprodukts. Weitere hohe Kosten entstehen dadurch, dass die reale Wirtschaft zunehmend vom Casino der globalen Finanzmärkte gesteuert wird. Der Zufallsgenerator der Börsen entscheidet darüber, was wo von wem produziert wird. Das Panikorchester der Finanzmärkte gibt den Rhythmus vor und stürzt uns alle zehn bis 15 Jahre in eine globale Krise. Meist mit der Folge, dass hinterher die Einkommen und Vermögen noch einseitiger verteilt sind als zuvor.
Lohnt sich immer mehr bezahlte Arbeit?
Die globalisierten Märkte haben ferner dafür gesorgt, dass immer mehr unbezahlte durch bezahlte Arbeit ersetzt wird. Die reiche Oberschicht delegiert ihre Haus-, Eltern- und Pflegearbeit an eine schlecht bezahlte globale Unterschicht und vernichtet damit deren Familien und Nachbarschaften. Lange Arbeitswege, flexible Arbeitszeiten und häufige Stellenwechsel zerrütten auch die Familien und Nachbarschaften der Mittelschicht und zwingen diese, die Hilfe von Pizzakurieren und Kitas in Anspruch zu nehmen. Kurz: Die Kräfte des Marktes schwächen die «Betriebsstätten» der Bedarfswirtschaft. Lohnt sich das? Wären wir mit weniger Markt – mit weniger bezahlter und mehr unbezahlter Arbeit – nicht besser dran?
Um diese Frage stellen zu können, bräuchten wir eine Wirtschaftswissenschaft, die sich am Bedarf statt an der monetären Nachfrage orientiert. Doch die «moderne» Ökonomie ist leider nicht nur die Wissenschaft von der Maximierung des Bruttosozialprodukts zum Zwecke der Schaffung von bezahlter Arbeit. Alles, was gegen Bezahlung getan wird, mehrt das BIP. Und alle Umwege, die der Markt dabei gehen muss, schaffen Jobs. Sozial ist, was Arbeit schafft.
Rückbesinnung auf den bequemen Ausweg
Unter dem Gesichtspunkt der Bedürfnisse ist das nur folgerichtig. Noch mehr Zeug macht uns nicht glücklicher. Sozialer Ausschluss durch Arbeitslosigkeit hingegen ist die Höchststrafe. In der engen Optik der Ökonomie gibt es dagegen nur ein Rezept: mehr Jobs durch Verbilligung der Erwerbsarbeit und durch das Erringen von Standortvorteilen. Doch damit kann man letztlich bloss Jobs verschieben und unbezahlte Arbeit vernichten, was die Abhängigkeit von der Erwerbsarbeit weiter erhöht. Weil aber solche Überlegungen ausserhalb des Radars der Ökonomen und der Wirtschaftspolitiker liegen, haben wir das Problem in den letzten Jahrzehnten bloss noch verschlimmert. Wir stecken in einer Sackgasse.
Doch wenn man sich wieder daran erinnert, dass wir nicht in einer Marktwirtschaft, sondern in einer Wirtschaft mit Markt leben, wird ein bequemer Ausweg sichtbar: weniger Markt, weniger Umwege, dafür bessere Jobs und mehr soziale Integration durch den Wiederaufbau der Bedarfswirtschaft und der lokalen Märkte. Man kann das als «eine Ökonomie der kurzen Wege» bezeichnen.