Amerikaner wollen wegen Ukraine-Krieg nicht nach Europa
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Gäste fehlen in der Schweiz:Amerikaner wollen wegen Ukraine-Krieg nicht nach Europa

Oberster Touristiker Nicolo Paganini im Interview
«Übersee-Touristen werden Europa meiden»

Wie geht es dem Schweizer Tourismus vor dem Sommer? Der Mitte-Nationalrat und Präsident des Schweizer Tourismus-Verbandes, Nicolo Paganini, spricht im Interview über den Ukraine-Krieg, die Corona-Pandemie und den Fachkräftemangel.
Publiziert: 23.03.2022 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 23.03.2022 um 15:05 Uhr
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Nicolo Paganini ist seit Frühling 2020 Präsident des Schweizer Tourismus-Verbandes.
Foto: Keystone
Interview: Nicola Imfeld

In Bern scheint die Sonne, als Blick mit Mitte-Nationalrat Nicolo Paganini (55) im Bundeshaus zum Interview trifft. «Dieses Wetter wünsche ich mir auch für den Sommer», sagt der Präsident des Tourismus-Verbandes gutgelaunt und beisst in ein Sandwich.

Blick: Das schlimmste der Corona-Pandemie scheint überstanden zu sein. Doch schon ist die nächste Krise da: Russlands Krieg in der Ukraine. Wie schwer trifft dieser Konflikt den Schweizer Tourismus?
Nicolo Paganini: Sollte der tragische Ukraine-Krieg mit verheerenden Auswirkungen für die Zivilbevölkerung über längere Zeit dauern, so wird dies auch Auswirkungen auf den Schweizer Tourismus haben. Die Russen und Ukrainer sind aber eine kleine Gästegruppe, die zusammen etwas mehr als ein Prozent ausmacht und somit nicht sonderlich ins Gewicht fällt. Was mir viel mehr Sorgen bereitet, ist die Wahrnehmung des Krieges auf europäischem Boden bei unseren Gästen aus Übersee.

Sie sprechen es an: Für die Amerikaner herrscht Krieg in Europa und somit auch in der Schweiz. Sie werden diesen Sommer nicht in Scharen kommen.
Diese Einschätzung teile ich. Aber das trifft nicht nur auf die Amerikaner zu. Auch bei südamerikanischen oder asiatischen Touristen besteht diese Gefahr. Alle interkontinentalen Gästen werden Europa mehrheitlich meiden, weil sie das Gefühl haben, dass der ganze Kontinent wegen des Krieges unsicher geworden ist. Übrigens weiss ich nicht, ob wir Schweizer da anders wären. Das ist normal: Je weiter man von einem Ort entfernt ist, desto schwerer fällt die Einordnung.

Merken Sie diese Zurückhaltung bereits an den Buchungen?
Ja. Das ist keine Befürchtung mehr, es gibt schon erste Anzeichen. Wir beobachten einen Rückgang der Buchungen von Gästen aus Übersee. Es kommt auch zu Stornierungen. Aber Städte wie Wien, die geografisch näher an der Ukraine liegen, trifft es noch viel härter.

Können Sie mit Ihrem Verband da nicht entgegenwirken und die Gäste aufklären?
Der Schweizer Tourimus-Verband direkt nicht. Zuständig ist die Organisation Schweiz Tourismus, die das Tourismusland Schweiz im Auftrag des Bundes auf der ganzen Welt vermarktet. Sie könnten bewusst darauf hinweisen, dass man sich in der Schweiz keine Sorgen machen muss.

Mit internationalen Gästen wird es also schwierig. Aber die Deutschen, Franzosen und Co. lassen sich vom Krieg in der Ukraine nicht von Sommerferien in der Schweiz abhalten, oder?
Es gibt auch Effekte, die indirekt mit dem Krieg zusammenhängen und die binneneuropäische Nachfrage schmälern. Ich denke da beispielsweise an die hohe Teuerung, steigende Energiepreise oder die Euro-Franken-Parität. Das sind alles Faktoren, die den Gast aus Deutschland oder Frankreich beeinflussen können. Auch das bereitet uns Sorgen.

Dem Schweizer Tourismus steht also ein düsterer Sommer bevor: Keine Gäste aus Übersee, weder Deutsche noch Franzosen und die Schweizerinnen und Schweizer werden nach zwei Jahren Corona allesamt an den Strand verreisen wollen. Wer ist im Juli und August überhaupt noch im Land?
Ich sehe es nicht so negativ. Momentan beobachten wir, dass die Gäste aus den wichtigen Nahmärkten wie Deutschland, Frankreich, den Benelux-Staaten und Grossbritannien fleissig buchen. Mehr als 2020 oder 2021. Ich glaube auch, dass sehr viele Schweizer auf den Geschmack gekommen sind und weiterhin gerne die Sommerferien in ihrem Heimatland verbringen werden. Ich bin also durchaus optimistisch.

Wie gut wird der Sommer im Vergleich zum Rekordjahr 2019?
Das kommt sehr auf die Destinationen an. Der Städtetourismus leidet weiterhin stark. Die Geschäftsreisenden, die so wichtig für diese Betriebe sind, werden auch nicht mehr in dem Ausmass wie vor der Pandemie zurückkehren. Auch Destinationen wie das Jungfraujoch, der Titlis oder Zermatt, die traditionell viele Gäste aus Übersee empfangen, müssen noch länger auf eine nachhaltige Erholung warten.

Also dann: Wie schlecht wird der Sommer im Vergleich zum Rekordjahr 2019?
Der Sommer wird nicht schlecht! Das kommt gut. Viele alpine Destinationen sind bestens positioniert. Wir werden besser dastehen als in den ersten beiden Pandemie-Jahren 2020 oder 2021. Gesamtschweizerisch sind wir im Moment noch etwa 25 Prozent hinter den Rekordzahlen von 2019.

Wann erreicht der Schweizer Tourismus wieder das Vor-Corona-Niveau?
Prognosen sind sehr schwierig, das hängt von diversen Faktoren ab. Grundsätzlich müssen wir aber davon ausgehen, dass dies noch dauern wird. Ich rechne mit 2025 oder 2026. Aber müssen wir uns immer am Rekordjahr 2019 messen? Da hat sehr vieles zusammengepasst: keine grossen Krisen, gute konjunkturelle Lage, tolles Wetter.

Ist der Fachkräftemangel weiterhin Thema in der Tourismusbranche?
Absolut. Das hat uns schon vor der Pandemie beschäftigt und hat sich nun noch akzentuiert. Dabei gilt es zu erwähnen, dass nicht nur die Fachkräfte fehlen, mittlerweile fehlt es an jeglichem Personal. Es gibt gerade in der Gastrobranche viele Arbeitnehmer, die sich während den Lockdowns einen neuen Beruf gesucht haben, weil sie monatelang nicht arbeiten konnten. Da werden nun einige nicht mehr zurückkehren.

Müssen sich die Gäste im Sommer also auf Teilschliessungen und weniger Service einstellen?
Das glaube ich nicht. Während der Omikron-Welle gab es zwar Betriebe, die beispielsweise die Bar geschlossen haben, um sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Aber ich bin überzeugt, dass die Betriebe den Fachkräftemangel im Sommer so abfangen können, dass der Gast nichts davon mitbekommt.

Hunderttausende ukrainische Flüchtlinge werden in der Schweiz erwartet. Sie dürfen mit dem Schutzstatus S einer Arbeit nachgehen. Könnte das den Fachkräftemangel lösen?
Ukrainische Flüchtlinge sind nicht das Patentrezept, aber da gibt es Potenzial. Diese Leute wollen arbeiten, das spürt man. Also warum sollte man sie nicht einstellen? Aber es hängt natürlich davon ab, wie lange der Krieg andauert.

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