Das Leben ist mehr als Arbeit. Das sehen auch viele Schweizer Arbeitnehmer so. Der Wunsch nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance wächst für viele Eltern nach der Geburt ihrer Kinder. Frauen arbeiten häufiger Teilzeit als Männer: Bei 58,6 Prozent zu 17,5 Prozent lag das Verhältnis laut Zahlen des Bundesamts für Statistik 2017.
Doch auch Männer wollen vermehrt Teilzeit arbeiten. Ein Recht darauf haben sie in vielen Firmen nicht, wie eine BLICK-Umfrage bei grossen Schweizer Arbeitgebern zeigt.
Von den siebzehn befragten Unternehmen kennt nur die Grossbank UBS ein automatisches Anrecht auf – beschränkte – Teilzeit: Seit 2017 haben Väter dort die Wahl zwischen zwei Modellen. Sie können ihren regulären Vaterschaftsurlaub um zwei bis vier unbezahlte Wochen verlängern. Oder sie können während bis zu sechs Monaten auf ein 80-Prozent-Pensum reduzieren.
UBS-Chef Sergio Ermotti (58) hat bereits 2016 sein Herz für Mütter und Väter bewiesen. Damals rief seine Bank ein Programm ins Leben, das Mitarbeiter nach einem Erwerbsunterbruch bei der Rückkehr in die Arbeitswelt unterstützt. Die Idee stammte von ihm höchstpersönlich.
«Initiativen wie die von der UBS begrüssen wir», sagt Hansjörg Schmid, Sprecher vom Verband Angestellte Schweiz. Solche Fälle seien noch selten. «Aber allmählich muss der Chef dem Angestellten begründen, warum Teilzeit nicht geht.»
Je nach Funktion und Team
Ausser der UBS prüfen die Firmen Teilzeit-Wünsche individuell, heisst es. Auf Anträge gehen etwa Lebensmittelmulti Nestlé «so gut wie möglich» oder die SBB «wenn immer möglich» ein. «Praktisch immer eine gute Lösung» findet sich laut Detailhändler Coop.
Ikea-Väter und -Mütter haben gemäss Arbeitsreglement nach dem Vaterschaftsurlaub einen Anspruch auf ein 80-Prozent-Teilzeitpensum, wenn die «bisherigen Leistungen gut waren und die betrieblichen Abläufe dies erlauben». Teilzeit unter Vätern sei bei Ikea die Regel und nicht die Ausnahme, auch in Führungspositionen.
Wovon hängt der individuelle Entscheid ab? Bei der Post schauen die Zuständigen darauf, dass sich Teilzeit mit den Aufgaben und Kompetenzen verträgt. Laut Nestlé eigne sich Teilzeit «nicht für alle Arbeitsstellen, alle Mitarbeitenden oder alle Teams in gleichem Masse».
Alte Rollenbilder halten sich
Liftbauer Schindler sieht das anders. «Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass jeder Job auch mit 80 oder 90 Prozent machbar ist», sagt Sprecher Thomas Langenegger. Sie hätten sich nun zum Ziel gesetzt, das auch umzusetzen.
«Das würde ich sofort unterschreiben», sagt Hansjörg Schmid von Angestellte Schweiz. «Mit moderner Führung und unseren technischen Möglichkeiten ist Teilzeit keine Hexerei.»
Teilzeit werde heute viel mehr diskutiert als früher, sagt Schmid. «Aber die alten Rollenbilder sitzen fest, bei den Angestellten selbst oder dann bei ihren Chefs. Viele glauben noch immer, dass Teilzeit ein Karrierekiller ist.» Wie stark eine mögliche Karriere vom Arbeitspensum abhängt, ist für den Schweizerischen Arbeitgeberverband «von Branche zu Branche verschieden».
Flexibel ist attraktiv
Ob Teilzeit ein Karrierekiller ist, können Mitarbeiter von Swisscom und Versicherer Zurich testen. Diese Firmen bieten eine Pensumsreduktion auf Probe. Technologieriese ABB und Zurich schreiben generell alle Stellen mit 80 bis 100 Prozent aus, damit schon Bewerber die Wahl haben.
Wie beliebt ist Teilzeit bei Vätern wirklich? Bei Manor und Swatch geht es um vereinzelte Anträge. Bei Migros sind 80-Prozent-Pensen nicht unüblich, aber Teilzeit-Väter sind in der klaren Minderheit.
Dabei seien Teilzeitler häufig engagierter, sagt Hansjörg Schmid von Angestellte Schweiz. «Mit einem 80-Prozent-Pensum bringen sie 200 Prozent Engagement.»