Die Inflation hat viele Facetten. Zuletzt standen Unternehmen unter Verdacht, aus Profitgier die Preise übermässig zu erhöhen («Gierflation») oder die Produkte versteckt durch kleinere Packungen zu verteuern («Shrinkflation»).
Nach der Gierflation und der Shrinkflation macht nun ein neues aufgeblähtes Kofferwort die Runde: Funflation – Spassflation auf Deutsch. Damit beschreiben Ökonominnen und Ökonomen den Trend, dass all das teurer wird, was Spass macht und in der Freizeit konsumiert wird – zum Beispiel Hotelübernachtungen, Auswärtsessen, Barbesuche, Flugreisen oder Konzerttickets.
Popkonzerte als Inflationstreiber
Für das Phänomen gibt es extreme Beispiele: Die billigsten Tickets für die Konzerte der US-Sängerin Taylor Swift in Seattle Ende Juli etwa kosten mehr als 1000 Franken. Wer ihre Berufskollegin Beyoncé live erleben will, muss zum Teil noch tiefer in die Taschen greifen.
«Queen B» soll sogar die hartnäckig hohe Inflation in Schweden weiter angeheizt haben. Der Start ihrer Tournee im Mai in Stockholm, für die Fans aus aller Welt in die schwedische Hauptstadt reisten, trieb die Preise für Übernachtungen nach oben. Die Hotel- und Restaurantpreise trugen damals 0,3 Prozentpunkte zur schwedischen Inflation bei. Ein Ökonom der Danske Bank schätzte, dass zwei Drittel davon auf den «Beyoncé-Effekt» zurückgehen.
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Ein ernst zu nehmendes Phänomen
Solche Beispiele sind witzig und bringen etwas Würze in die sonst eher trockene Ökonomiekost. Aber mit Inflation im Sinne eines länger anhaltenden, allgemeinen Preisanstiegs hat der Beyoncé-Effekt nichts zu tun. Flauen temporäre Tourismuswellen ab, beruhigen sich auch die Hotelpreise wieder – so war das bisher zumindest bei Olympischen Spielen oder anderen Megaevents.
Die teuren Konzerttickets sind ebenfalls kein neues Phänomen. Diese Entwicklung läuft, seit Künstlerinnen und Künstler weniger über Tonträger verdienen und dafür auf Einnahmen durch Auftritte angewiesen sind. «Die Preise haben sich in den letzten zwanzig Jahren vervierfacht», titelte der Nachrichtendienst Bloomberg schon im Jahr 2019.
Kleinreden sollte man das Phänomen Funflation dennoch nicht. Denn die Teuerung beschränkt sich ja nicht nur auf Konzerttickets, sondern ist statistisch nachweisbar und hat eine ökonomische Seite, die hochrelevant ist für die Beurteilung der Inflationsdynamik und die weitere Zinspolitik der Zentralbanken.
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Plus 16 Prozent seit Anfang 2021
In Grossbritannien etwa stiegen die Preise für Freizeit und Kultur im Mai um 6,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und damit so stark wie seit dreissig Jahren nicht mehr. In den USA liegt der Preisanstieg für Live-Events derzeit 2,6 Prozentpunkte über der Gesamtinflation.
Auch in der Schweiz, wo die Inflation im Juni auf 1,7 Prozent gefallen ist, beträgt die Teuerung im Bereich Freizeit und Kultur hohe 3,7 Prozent. Wenn man einen Spassindex aus den Positionen Pauschalreisen, Flugtickets, Hotellerie, Auswärtsessen, Kinokarten, Spielzeugen und Alkohol bildet, resultiert eine Rate von über 4 Prozent. Um satte 16 Prozent sind die überflüssigen, aber lustigen Dinge seit Anfang 2021 teurer geworden, während die Konsumentenpreise generell etwas mehr als 6 Prozent gestiegen sind.
Teure Ferien im Ausland
Wo die Funflation die Konsumentinnen und Konsumenten trifft, ist je nach Land unterschiedlich. In der Schweiz ist sie besonders bei Pauschalreisen, Flugtickets, Videogames, Schaumwein und Kinotickets sichtbar (siehe Grafik). Über die steigenden Preise für die Nutzung von Bergbahnen wurde ebenfalls viel berichtet – so ist zum Beispiel die Fahrt auf den Säntis ohne Halbtax 7 Prozent teurer geworden. Insgesamt aber bleibt in jenem Sektor der Preisschub im Rahmen.
Obwohl viele Festivals mit den Preisen aufgeschlagen haben – das Open Air St. Gallen etwa verlangte bei ähnlich prominentem Line-up wie letztes Jahr 10 Prozent mehr –, ist im Bereich Theater und Konzerte in der Erhebung des Bundesamts für Statistik kein allgemeiner Teuerungsschub erkennbar. Dafür sind die Kinoeintrittspreise seit letztem Sommer stärker gestiegen als die Konsumentenpreise.
Funflation ist nicht nur eine lustige Nebenerscheinung, sie ist vor allem Ausdruck einer speziellen konjunkturellen Situation. Obwohl es Anzeichen für eine wirtschaftliche Abkühlung gibt und Deutschland sogar in einer Rezession ist, ist die Zahlungsbereitschaft für Unterhaltung, Ferien und Freizeitaktivitäten ungebrochen hoch.
Sorglose Konsumenten und Konsumentinnen
Dass der Geldbeutel bei allem, was Spass macht, offenbar noch immer locker sitzt, dürfte vor allem diese drei Gründe haben:
- Es ist noch viel Geld da, das während der Pandemie angespart wurde.
- Die Jobsicherheit ist so hoch wie lange nicht mehr.
- Das Nachholbedürfnis ist gross.
Nach Jahren der Entbehrung gönnen sich die Leute etwas – das beobachtet auch der Reiseanbieter Hotelplan. «Unsere Kunden leisten sich statt einer Woche gleich zwei Wochen Ferien, sie entscheiden sich für eine Viersterne- statt Dreisterneunterkunft oder für eine höhere Zimmerkategorie», sagte eine Sprecherin gegenüber der «Sonntagszeitung».
An der Spitze beim Spasskonsum stehen die USA, wo der Begriff Funflation seinen Ursprung hat. Das neuste Beispiel: Die Ausgaben für Feuerwerk am Unabhängigkeitstag wurden auf ein Rekordniveau katapultiert, und für das obligate Feiertags-Barbecue wurden im Schnitt 94 Dollar pro Person budgetiert – 10 Dollar mehr als letztes Jahr.
Ein Teil der Dienstleistungsinflation
Und noch eine andere Geschichte steht hinter der Funflation: Sie ist auch Folge der Inflation im Dienstleistungssektor. Während die Güterpreisinflation die Spitze hinter sich hat, weil sich die Energiepreise normalisiert haben und die Lieferketten wieder einigermassen funktionieren, kommen bei den Dienstleistungen jetzt die sogenannten Zweitrundeneffekte zum Tragen.
«Die höheren Kosten und steigenden Löhne heizen die Inflation im Dienstleistungssektor an», sagt Alexander Rathke, Ökonom bei der Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF).
Diese zweiteilige Entwicklung zeigt sich auch in Unternehmensumfragen: In der Schweizer Industrie vermeldeten im Juni eine deutliche Mehrheit der Einkaufsmanagerinnen tiefere Einkaufspreise. Bei den Dienstleistern dagegen überwogen jene, die die Einkaufs- und die Verkaufspreise angehoben haben.
Im sogenannten Fun-Sektor kommen laut Rathke gleich drei Faktoren zusammen. «Erhöhte Kosten, ein knapper Arbeitsmarkt und eine kräftige Nachfrage wegen des Nacholeffekts.»
Ganz extrem sei es beim Reisen. «Dort sind zusätzlich auch noch die Kapazitäten eingeschränkt», sagt Rathke und verweist auf die Überlastung im Flugbetrieb.
Höhere Zinsen als Spassverderber
Spätestens wenn es um die Zinsen geht, ist es mit dem Spass vorbei. Schliesslich ist die Dienstleistungsinflation und im engeren Sinne auch die Spassflation jener Teil der Teuerung, auf die die Zentralbank am ehesten Einfluss hat. Gegen den hohen Ölpreis und die verstopften Lieferketten nützen höhere Zinsen nichts. Wenn aber die Kredite teurer werden und die Unternehmen ihre Stellenausbaupläne überarbeiten, dann wird auch die Nachfrage nach Strandferien, Partynächten und Fine-Dining etwas nachlassen und den Preisauftrieb in diesen Bereichen bremsen.
Der aktuelle Rückgang der Inflation kommt vom Basiseffekt der Energiepreise; er ist für die Geldpolitik aber von Bedeutung, solange die Dienstleistungen und Spassprodukte deutlich teurer werden. In der Schweiz werden ausserdem im Winter die Mieten und die Elektrizitätspreise angepasst und für einen Inflationsschub sorgen.
KOF-Ökonom Rathke erwartet deshalb, dass sowohl die SNB als auch die Notenbanken in den USA und der Euro-Zone die Zinsen noch weiter anheben werden.
Ab einem gewissen Zinsniveau wird auch den Spasskonsumenten und -konsumentinnen das Lachen vergehen. Erst dann haben die Notenbanken ihr Ziel erreicht.