«Neue Hinweise auf illegale Absprachen»
Schlag gegen das Twint-Kartell

Der Kampf der Bezahl-App-Anbieter fürs Handy wird immer härter. Die Wettbewerbshüter schalten sich ein. Sie untersuchen mutmasslich illegale Absprachen der Schweizer Banken auf Kosten von Apple, Samsung und Co.
Publiziert: 16.11.2018 um 02:39 Uhr
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Aktualisiert: 18.12.2018 um 19:08 Uhr
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Riccardo Keller (57), Vermögensverwalter: «In der Bäckerei zahle ich zum Beispiel mit Twint. Insgesamt nutze ich das Bezahlsystem vier bis fünf Mal in der Woche. Auch Apple Pay finde ich praktisch und nutze es, aber etwas weniger häufig.»
Foto: JESSICA KELLER
Julia Fritsche, Claudia Gnehm und Ulrich Rotzinger

Wie im besten Krimi: Polizisten und IT-Ermittler fallen bei den Banken UBS, CS und PostFinance ein. Gleichzeitig finden Razzien bei den Kreditkartenherausgebern Aduno Holding und Swisscard AECS statt. Sie verhören Mitarbeiter und beschlagnahmen Beweismaterial. 

Auslöser für die Hausdurchsuchungen, die am Dienstag und Mittwoch stattfanden, sind «neue Hinweise auf illegale Absprachen». Diese haben die Wettbewerbsbehörde (Weko) auf den Plan gerufen. «Es geht um einen mutmasslichen Boykott mobiler Bezahllösungen wie Apple Pay und Samsung Pay», sagt Weko-Direktor Patrik Ducrey (55). «Es besteht der Verdacht, dass sich die Schweizer Finanzinstitute abgesprochen haben, um die Schweizer Lösung Twint zu bevorzugen.»

Auch die Räumlichkeiten von Twint wurden auf den Kopf gestellt. Dessen Verwaltungsratspräsident Søren Mose (54) verwundert das harte Einfahren der Wettbewerbshüter. «Die Weko hat die Fusion von Twint mit dem Konkurrenten Paymit vor zwei Jahren ohne Auflagen und sehr schnell bewilligt», sagt er zu BLICK. Will heissen, eine fast marktbeherrschende Stellung der Schweizer Lösung hat sich schon damals abzeichnet. 

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Wer neue Informationen der Weko lieferte, warum Raiffeisen und die ZKB verschont blieben, verschweigt die Behörde. Denkbar ist eine Retourkutsche von Apple. Seit längerem ermittelt die Behörde gegen den iPhone-Hersteller – eine Untersuchung, die Twint erwirkt hat. Apple weigert sich, Konkurrenten auf ihre NFC-Schnittstelle zu lassen. «Wir fühlen uns von Apple diskriminiert», sagt Mose. 

Hinter Twint verbirgt sich ein Zusammenschluss der grössten Finanzinstitute und der Börsenbetreiberin Six. Die Idee: Nur zusammen kann man den ausländischen Techriesen die Stirn bieten. «Wir holen Apple vom hohen Ross», gab sich der damalige Twint-Präsident Jürg Weber (57) siegessicher.

Angesprochen auf die Weko-Razzien reagieren die Banken grösstenteils mit Dementis. «Überrascht» ist die Credit Suisse. Wie die PostFinance ist sie überzeugt, dass kein Verstoss gegen das Kartellrecht vorliege. Swisscard zuckt nur mit den Schultern, schliesslich können ihre Kunden Samsung und Apple Pay nutzen.

Nachfrage zu gering

Die Weko wird wohl ihre Ermittlungen noch ausweiten: Migros, Coop und bald die SBB, aber auch Städte wie St. Gallen oder Frauenfeld spannen mit Twint zusammen. «Wir boykottieren gar nichts», so die Migros. An der Kasse stimmt das tatsächlich, sowohl bei Migros als auch bei Coop können Kunden mit Apple Pay und Samsung Pay bezahlen. Bei ihren Kreditkarten ist das nicht der Fall.

Hier zeigen die Händler mit dem Finger auf die Kartenherausgeber. Bei der Migros ist das die Cembra Money Bank. Diese sagt, man biete Apple Pay nicht an, weil die Nachfrage der Kunden dafür zu gering sei.

Apple, Samsung und die Schweizer Hochfinanz – ein erster Schlag gegen das Twint-Kartell ist getan. Ob es illegal ist, muss die Weko klären. Aber das wird dauern.

So funktioniert mobiles Twint-Bezahlen

Wer kontaktlos mit dem Smartphone einkaufen will, braucht dazu eine Bezahl-App. Zum Beispiel: Apple Pay. Ein Doppelklick und bezahlt ist. Etwas länger braucht man mit der Twint-App oder jener der jeweiligen Hausbank. Via App können sich Nutzer auch im Familienkreis oder mit anderen Personen gegenseitig Geld hin- und herschieben. Dazu müssen Nutzer Twint mit ihrem Bankkonto oder auch mit der Kreditkarte (je nach Anbieter) verbinden. Voraussetzung beim Smartphone ist das Betriebssystem iOS (ab iPhone 5 und iOS 10) oder Android (ab Version 5) und Bluetooth-Funktion (ab Version 4.0). Bei Kassen mit Beacon bzw. Twint-Terminal öffnet man die Handy-App und tippt auf «Jetzt bezahlen» – dabei müssen Bluetooth und Ortungsdienst aktiviert sein – und hält das Smartphone kurz hin. Existiert kein Beacon oder Terminal muss man die Twint-App öffnen und das QR-Code-Symbol antippen. Dann die Handy-Kamera auf den QR-Code an der Kasse oder Bildschirm richten. Nach erfolgreicher Zahlung gibts in der App eine Bestätigung. Zahlungen über die App werden direkt auf dem Bankkonto oder der Kreditkarte belastet.

Wer kontaktlos mit dem Smartphone einkaufen will, braucht dazu eine Bezahl-App. Zum Beispiel: Apple Pay. Ein Doppelklick und bezahlt ist. Etwas länger braucht man mit der Twint-App oder jener der jeweiligen Hausbank. Via App können sich Nutzer auch im Familienkreis oder mit anderen Personen gegenseitig Geld hin- und herschieben. Dazu müssen Nutzer Twint mit ihrem Bankkonto oder auch mit der Kreditkarte (je nach Anbieter) verbinden. Voraussetzung beim Smartphone ist das Betriebssystem iOS (ab iPhone 5 und iOS 10) oder Android (ab Version 5) und Bluetooth-Funktion (ab Version 4.0). Bei Kassen mit Beacon bzw. Twint-Terminal öffnet man die Handy-App und tippt auf «Jetzt bezahlen» – dabei müssen Bluetooth und Ortungsdienst aktiviert sein – und hält das Smartphone kurz hin. Existiert kein Beacon oder Terminal muss man die Twint-App öffnen und das QR-Code-Symbol antippen. Dann die Handy-Kamera auf den QR-Code an der Kasse oder Bildschirm richten. Nach erfolgreicher Zahlung gibts in der App eine Bestätigung. Zahlungen über die App werden direkt auf dem Bankkonto oder der Kreditkarte belastet.

Afrika zeigt, wie es geht

Kenia ist ein Pionier in Sachen mobile Bezahlsysteme. 93 Prozent der Kenianer haben heute einen Zugang zu digitalen Zahlungsmöglichkeiten. Angefangen hat die Erfolgsgeschichte 2007 mit der Einführung des Systems M-Pesa. Der Dienst der Vodafone-Tochter Safaricom wird heute von Millionen von Kenianern genutzt. Ursprünglich wurde er entwickelt, um per SMS kleine Geldbeträge von einem User zum anderen zu versenden. Denn: Die meisten Kenianer leben auf dem Land mehrere Kilometer von der nächsten Bank entfernt. In Kenia gibt es über 50'000 sogenannte «M-Pesa-Agents», meist Betreiber von Internetcafés und Tankstellen. Bei ihnen kann man Geld aufs Handy einzahlen oder abheben. Ohne Bank oder Konto, sondern einfach per Telefonnummer und SMS. Positiver Nebeneffekt des mobilen Bezahlens: In Kenia ging die Korruption zurück, weil die Finanztransaktionen registriert und somit nachvollziehbar sind. M-Pesa hat sich mittlerweile auch ausserhalb Afrikas durchgesetzt, etwa in Rumänien und Albanien. Patrik Berger

Kenia ist ein Pionier in Sachen mobile Bezahlsysteme. 93 Prozent der Kenianer haben heute einen Zugang zu digitalen Zahlungsmöglichkeiten. Angefangen hat die Erfolgsgeschichte 2007 mit der Einführung des Systems M-Pesa. Der Dienst der Vodafone-Tochter Safaricom wird heute von Millionen von Kenianern genutzt. Ursprünglich wurde er entwickelt, um per SMS kleine Geldbeträge von einem User zum anderen zu versenden. Denn: Die meisten Kenianer leben auf dem Land mehrere Kilometer von der nächsten Bank entfernt. In Kenia gibt es über 50'000 sogenannte «M-Pesa-Agents», meist Betreiber von Internetcafés und Tankstellen. Bei ihnen kann man Geld aufs Handy einzahlen oder abheben. Ohne Bank oder Konto, sondern einfach per Telefonnummer und SMS. Positiver Nebeneffekt des mobilen Bezahlens: In Kenia ging die Korruption zurück, weil die Finanztransaktionen registriert und somit nachvollziehbar sind. M-Pesa hat sich mittlerweile auch ausserhalb Afrikas durchgesetzt, etwa in Rumänien und Albanien. Patrik Berger

So verbreitet ist Twint

Apple Pay, Google Pay, Samsung Pay oder Alipay: Es sind die internationalen Tech-Giganten, die beim mobilen Bezahlen den Ton angeben. Und zunehmend versuchen, auch im Schweizer Markt Kasse zu machen. Wohl wissend: In der reichen Schweiz telefonieren und surfen fast 92 Prozent mit einem Smartphone. Nur 5,5 Prozent nutzen noch ein einfaches Handy, der Rest verzichtet laut dem Beratungsunternehmen Deloitte ganz auf ein mobiles Telefongerät.

Tonangebend in der Schweiz ist Twint. Gut 73 Banken setzen auf die mobile Bezahllösung. Laut eigenen Angaben hat das Tochterunternehmen der BCV, Credit Suisse, Postfinance, Raiffeisen, UBS, ZKB und Six inzwischen über eine Million registrierte Nutzer. Laut Studie der Hochschule Luzern nutzen 13 Prozent der Schweizer die Bezahl-App Twint. Besonders beliebt sei der Dienst bei Männern zwischen 20 und 40 Jahren.

Per 1. November kann in über 800 Migros-Filialen und Fachmärkten zusätzlich via QR-Code am Zahlterminal mit Twint bezahlt werden. Ab 5. Januar 2019 können auch die täglich über 1,26 Millionen Bahnkunden der SBB per Twint bezahlen, kündigte das Unternehmen unlängst an. Die Billettautomaten und Reisezentren sollen bis Mitte 2019 dafür bereit sein. Eine Auswahl weiterer Player, die auf Twint setzen: Coop, Nespresso, Ochsner Sport, Sprüngli und Chicorée. Das Bezahlsystem kommt auf über 75'000 Verkaufsstellen, die Twint inzwischen akzeptieren.

Allerdings: Die Schweizer Konsumenten nutzen kontaktloses Smartphone-Bezahlen noch äusserst verhalten. Der Umsatzanteil von mobilem Bezahlen liegt unter 2 Prozent. Das besagt eine Studie der ZHAW und Universität St. Gallen. Die Rede ist von einem grossen Potenzial: «Über 70 Prozent der befragten Nutzer könnten sich vorstellen, das mobile Bezahlen in den nächsten drei Jahren häufiger zu nutzen.» (uro)

Apple Pay, Google Pay, Samsung Pay oder Alipay: Es sind die internationalen Tech-Giganten, die beim mobilen Bezahlen den Ton angeben. Und zunehmend versuchen, auch im Schweizer Markt Kasse zu machen. Wohl wissend: In der reichen Schweiz telefonieren und surfen fast 92 Prozent mit einem Smartphone. Nur 5,5 Prozent nutzen noch ein einfaches Handy, der Rest verzichtet laut dem Beratungsunternehmen Deloitte ganz auf ein mobiles Telefongerät.

Tonangebend in der Schweiz ist Twint. Gut 73 Banken setzen auf die mobile Bezahllösung. Laut eigenen Angaben hat das Tochterunternehmen der BCV, Credit Suisse, Postfinance, Raiffeisen, UBS, ZKB und Six inzwischen über eine Million registrierte Nutzer. Laut Studie der Hochschule Luzern nutzen 13 Prozent der Schweizer die Bezahl-App Twint. Besonders beliebt sei der Dienst bei Männern zwischen 20 und 40 Jahren.

Per 1. November kann in über 800 Migros-Filialen und Fachmärkten zusätzlich via QR-Code am Zahlterminal mit Twint bezahlt werden. Ab 5. Januar 2019 können auch die täglich über 1,26 Millionen Bahnkunden der SBB per Twint bezahlen, kündigte das Unternehmen unlängst an. Die Billettautomaten und Reisezentren sollen bis Mitte 2019 dafür bereit sein. Eine Auswahl weiterer Player, die auf Twint setzen: Coop, Nespresso, Ochsner Sport, Sprüngli und Chicorée. Das Bezahlsystem kommt auf über 75'000 Verkaufsstellen, die Twint inzwischen akzeptieren.

Allerdings: Die Schweizer Konsumenten nutzen kontaktloses Smartphone-Bezahlen noch äusserst verhalten. Der Umsatzanteil von mobilem Bezahlen liegt unter 2 Prozent. Das besagt eine Studie der ZHAW und Universität St. Gallen. Die Rede ist von einem grossen Potenzial: «Über 70 Prozent der befragten Nutzer könnten sich vorstellen, das mobile Bezahlen in den nächsten drei Jahren häufiger zu nutzen.» (uro)

Apple selbst im Weko-Visier

Behindert Apple selbst den Bezahl-Wettbewerb in der Schweiz? Vorwürfe gibt es schon seit längerem. Im Jahr 2016 reichte der Konsumentenschutz Klage gegen den US-Konzern bei der Wettbewerbsbehörde Weko ein. Grund: Der Technikriese blockiert anderen Anbietern bei seinen iPhones den Chip-Zugriff zur Kurzfunktechnologie NFC, die die schnellste und einfachste Technologie zum kontaktlosen Bezahlen ist. Die NFC-Schnittstelle beansprucht Apple exklusiv für den eigenen Handybezahldienst Apple Pay. Twint muss deshalb auf das Einlesen von QR-Codes oder die Bluetooth-Übertragungstechnik ausweichen. Das verlängert den Bezahlvorgang deutlich. Das Verfahren gegen Apple sei fortgeschritten, sagt Weko-Vize Olivier Schaller, ein Entscheid jedoch noch nicht gefallen. Twint rechnet in Kürze mit einem solchen. 

Behindert Apple selbst den Bezahl-Wettbewerb in der Schweiz? Vorwürfe gibt es schon seit längerem. Im Jahr 2016 reichte der Konsumentenschutz Klage gegen den US-Konzern bei der Wettbewerbsbehörde Weko ein. Grund: Der Technikriese blockiert anderen Anbietern bei seinen iPhones den Chip-Zugriff zur Kurzfunktechnologie NFC, die die schnellste und einfachste Technologie zum kontaktlosen Bezahlen ist. Die NFC-Schnittstelle beansprucht Apple exklusiv für den eigenen Handybezahldienst Apple Pay. Twint muss deshalb auf das Einlesen von QR-Codes oder die Bluetooth-Übertragungstechnik ausweichen. Das verlängert den Bezahlvorgang deutlich. Das Verfahren gegen Apple sei fortgeschritten, sagt Weko-Vize Olivier Schaller, ein Entscheid jedoch noch nicht gefallen. Twint rechnet in Kürze mit einem solchen. 

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