Als die Migros vor wenigen Wochen ihre biologisch abbaubaren Coffee-B-Kaffeebällchen lancierte, war kein Superlativ passend genug. «Die grösste Produktinnovation in der Geschichte der Migros» sollte «die Kaffeeindustrie radikal verändern», so die Ansage. Ein Schuss vor den Bug von Nespresso. Beim Kapselpionier läuteten offenbar die Alarmglocken. Als Blick Guillaume Le Cunff (51) am Firmensitz in Vevey VD trifft, wiegelt der Nespresso-CEO ab und legt seinerseits eine Innovation auf den Tisch: eine kompostierbare Nespresso-Kapsel auf Papierbasis. Die Ankündigung dieser Innovation wirft Fragen auf.
Blick: Ist die Lancierung einer heimkompostierbaren Kaffeekapsel auf Papierbasis eine Reaktion auf den Vorstoss der Migros mit den Kaffeebällchen?
Guillaume Le Cunff: Überhaupt nicht. Wir haben seit drei Jahren an den Papierkapseln getüftelt. Dass es so lange gedauert hat, liegt daran, dass wir absolut sichergehen wollten, dass die Qualität des Nespresso-Kaffees hoch bleibt.
Also ist es Zufall, dass Sie gerade jetzt ebenfalls Kapseln für den Kompost produzieren?
Hätte die Entwicklung länger gedauert, hätten wir mit der Kommunikation noch zugewartet. Aber jetzt sind wir bereit.
Wann sind die Kapseln erhältlich?
Die offizielle Lancierung ist im Frühjahr 2023 geplant – zunächst in zwei Testmärkten, in der Schweiz und in Frankreich. Am Anfang werden vier neue Mischungen in diesen Kapseln verfügbar sein, darunter ein Biokaffee. Alle diese Sorten harmonieren optimal mit den neuen Kapseln auf Papierbasis.
Werden diese neuen Kapseln wie die aus Alu ausschliesslich in der Schweiz für die ganze Welt hergestellt?
Alle unsere Kaffees werden – von der Röstung bis zur Verpackung – in der Schweiz produziert. Die Papierkapseln werden in einem unserer bestehenden Werke in Orbe VD hergestellt. Wir haben dort die Produktionslinien angepasst. Wir mussten einige Prozesse anpassen und sicherstellen, dass diese heimkompostierbaren Kaffeekapseln mit den bestehenden Original-Nespresso-
Kaffeemaschinen kompatibel sind. Papierbrei hat ganz andere Eigenschaften als Aluminium, das erfordert technische Innovationen. Dabei konnten wir auf bewährte Partner in der Schweiz zurückgreifen.
Guillaume Le Cunff (51) ist seit Anfang 2020 CEO von Nestlé Nespresso S.A. und damit Chef des Kaffeeunternehmens mit Präsenz in 81 Ländern. Der Franzose – ursprünglich aus der Region Rennes in der Bretagne – ist seit 1998 bei Nestlé: zunächst bei Nestlé Waters in diversen Positionen im Finanzmanagement, ab 2007 als Head of International Marketing bei Nespresso und ab 2015 als Präsident und CEO von Nespresso USA in New York. Er verfügt über einen MBA in Business & Management von der HEC School of Management in Frankreich und wohnt am Genfersee.
Guillaume Le Cunff (51) ist seit Anfang 2020 CEO von Nestlé Nespresso S.A. und damit Chef des Kaffeeunternehmens mit Präsenz in 81 Ländern. Der Franzose – ursprünglich aus der Region Rennes in der Bretagne – ist seit 1998 bei Nestlé: zunächst bei Nestlé Waters in diversen Positionen im Finanzmanagement, ab 2007 als Head of International Marketing bei Nespresso und ab 2015 als Präsident und CEO von Nespresso USA in New York. Er verfügt über einen MBA in Business & Management von der HEC School of Management in Frankreich und wohnt am Genfersee.
Und wer eine Vertuo-Kaffeemaschine hat?
Wir haben entschieden, diese Innovation zunächst dem Nespresso-Original-System vorzubehalten. Wir gehen davon aus, dass wir die neuen Kapseln in den nächsten zwei Jahren auch für die Systeme Vertuo und Nespresso Professional anbieten können.
Machen Sie Schluss mit den Alukapseln?
Nein, es handelt sich um eine Erweiterung unseres Angebots. Der Kunde soll entscheiden, was für ihn richtig ist. Also ob er lieber Aluminiumkapseln recyceln oder die Papierkapseln kompostieren will. Wer zu Hause nicht kompostieren kann oder will, kann in der Schweiz seine Kapseln einfach in eine Nespresso-Boutique bringen, wo diese fachgerecht entsorgt werden.
Grössere Auswahl für den Kunden ist gut. Aber Sie lösen damit nicht das Problem der Kritik an den Aluminiumkapseln.
Aluminiumkapseln sind für die Umwelt eine gute Lösung. In unseren Kapseln steckt sehr viel Know-how, es sind sozusagen Präzisionswerkzeuge. Der CO2-Fussabdruck beim Kaffeekonsum entsteht zu rund 70 Prozent durch Kaffeeanbau und Produktnutzung inklusive Wasserverbrauch, und nur zu 14 Prozent durch die Verwendung der Aluminiumkapseln. Letztere Zahl reduziert sich bei fachgerechtem Recycling auf 5 Prozent. Dank der Dosierung per Kapsel wird viel weniger Wasser und Kaffee verschwendet. Dazu bestehen die Kapseln aus 80 Prozent rezykliertem Aluminium. Wussten Sie zudem, dass die CO2-Belastung einer Tasse Kaffee aus einem Vollautomaten im Vergleich zum Nespresso-System um 30 Prozent höher ist?
Nein. Aber wir hören, dass wieder mehr Vollautomaten verkauft werden ...
Wissen Sie, fast jedes Mal, wenn ich etwas über Nachhaltigkeit sage, wird mir «Greenwashing» vorgeworfen. Dabei setzt Nespresso seit über 30 Jahren zahllose Umweltinitiativen um. Diese sind gut dokumentiert, aber in der Öffentlichkeit leider noch zu wenig bekannt.
Sollten Sie Ihre Kommunikation anpassen?
Wir behaupten nicht, perfekt zu sein. Aber wir halten unser Markenversprechen ein. Und dazu gehört auch eine möglichst hohe Sorge für die Umwelt. Das ist wirklich nicht erst in den letzten Jahren entstanden. Eine Kreislaufwirtschaft, in der jeder einen Beitrag leistet, ist die Richtung, in die wir gehen müssen. Aber ja, wir kommunizieren jetzt etwas deutlicher. In der soeben lancierten neuen Kampagne, wiederum mit unserem Ambassador George Clooney, wird absichtlich das Rezyklieren thematisiert. Und seit diesem Jahr sind wir als B-Corp-Unternehmen zertifiziert.
Finden Sie, die Kaffeeindustrie wird zu sehr mit Nachhaltigkeitsdiskussionen konfrontiert?
Es scheint so, dass man beim Kaffee genauer hinschaut als bei anderen Segmenten. Aber das stört uns nicht. Nachhaltigkeit ist eine Notwendigkeit und auch eine Chance. Wir verstehen Nachhaltigkeit nicht als Philanthropie, sondern als Geschäftsmodell.