Manchmal muss man über etwas nachdenken, was man am liebsten ganz weit wegschieben möchte. Das sagt auch Monika Pfaffinger, Professorin für Privatrecht. Das Erbrecht ist genau so ein Thema. Weiter bespricht Pfaffinger im Interview, ob Enkel im Testament berücksichtigt werden sollen und was beim Tod mit den Daten im Netz passiert.
Seit Anfang 2023 ist ein neues Erbrecht in Kraft. Weshalb kam es überhaupt zu einer Revision?
Anstoss gab 2010 die Motion Gutzwiller «Für ein zeitgemässes Erbrecht». Unser Erbrecht, das 1912 in Kraft trat, war gegenüber Anpassungen auffallend resistent. In vielen Gebieten des Rechts gab es Bewegungen und Zwänge zu Revisionen. Bedingt durch grundlegend veränderte gesellschaftliche, ökonomische und soziotechnologische Realitäten mussten sich Rechtsprechung und Rechtsetzung permanent weiterentwickeln. Nur das Erbrecht blieb lange etwas leblos und wurde nach kontroversen Debatten in einer ersten Etappe novelliert.
Ist es der grosse Wurf?
Es wurden beachtliche Anpassungen und gewisse Klarstellungen gemacht, aber es bleibt eher bei punktuellen Änderungen. Einige der grossen Fragen sind nach wie vor offen. So fehlt weiterhin ein eigentliches Konkubinatserbrecht. Es gibt faktisch immer mehr Lebensgemeinschaften, in denen Paare mit Kindern unverheiratet zusammenleben. Eine Revision des Unternehmenserbrechts ist im Werden.
Was hat sich verbessert?
Die Änderungen im Pflichtteilsrecht geben der Erblasserin mehr Freiheit, über ihren Nachlass zu verfügen. Man hat eine höhere frei verfügbare Quote, die man verteilen kann. Der Pflichtteilsanspruch der Eltern wurde aufgehoben.
Gibt es nun eine gerechtere Verteilung?
Bei solchen Änderungen gibt es wie immer Gewinnerinnen und Verlierer. Ob das gerecht ist, muss die Zukunft weisen. Es wird sich weisen müssen, welchen Effekt die höhere frei verfügbare Quote in der Gesellschaft haben wird. Hier wäre empirische Forschung aufschlussreich.
In welchem Alter sollte man ein Testament machen?
Bei besonderen Umständen und erheblichen Vermögen kann man nicht früh genug damit beginnen, eine testamentarische Regelung in Erwägung zu ziehen. Dessen ungeachtet kann man in meinen Augen nicht früh genug beginnen, sich mit der Gestaltung des eigenen Lebens, des Sterbens, aber auch wirtschaftlichen Angelegenheiten proaktiv auseinanderzusetzen. Das Bewusstsein, sich um die relevanten Belange zu kümmern, sollte man Heranwachsenden bereits frühzeitig vermitteln, es ist eine Erziehungsaufgabe. Klar, will man einer 18-Jährigen nicht erklären, wie sie ihr Testament machen soll. Aber ich bin überzeugt davon, dass Jugendlichen das Nachdenken über den Tod und die eigenen Verhältnisse guttut.
Sollte man Enkelinnen und Enkel im Testament berücksichtigen?
Sie sprechen die intergenerationelle Verantwortung an. Das ist ein schöner Gedanke. Für eine Zwanzigjährige in Ausbildung haben 30’000 Franken eine andere Bedeutung als für einen Fünfzigjährigen. Diesem Anliegen kann in mehrfacher Hinsicht Rechnung getragen werden. Erstens durch Schenkungen zu Lebzeiten, zweitens durch Einräumung eines Vermächtnisses in einer letztwilligen Verfügung. Diese Möglichkeiten dienen der Unterstützung der jüngeren Generation.
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Sollte man, um beim Testament ganz sicherzugehen, eine Notarin hinzuziehen?
Bei erheblichen Vermögen oder besonderen Umständen empfiehlt sich die notarielle Beurkundung, damit der Wille des Erblassers gesichert und rechtskonform zur Beurkundung kommt. Für ein formgültiges Testieren ist der Beizug des Notars allerdings nicht zwingend. Auch wenn ein Testament notariell beglaubigt wurde, kann es vorkommen, dass es nach dem Ableben zu Streitigkeiten unter den Erbinnen kommt. Es ist nicht alles so planbar im Leben, wie man es gerne hätte.
Stichwort digitaler Nachlass. Was gilt es dabei zu beachten?
Menschen der digitalen Gesellschaft hinterlassen grosse Mengen von Daten und Informationen auf Hardware, in der Cloud, im Netz und so weiter. Im digitalen Nachlass finden sich teilweise sehr persönliche, zudem auch materielle Daten. In der Schweiz gibt es insofern teilweise Rechtsunsicherheiten und keine abschliessende, spezifische Regelung. Es empfiehlt sich, festzuhalten, wie im Todesfall mit dem digitalen Nachlass umgegangen werden soll.
Was heisst das konkret?
Man sollte eine Liste mit den genutzten Medien erstellen, zudem an einem sicheren Ort ein Passwortverzeichnis hinterlegen und gegebenenfalls eine Person bezeichnen, die sich um den digitalen Nachlass kümmern soll. Richtungsweisend war ein Urteil aus Deutschland von 2018: Die Eltern haben nach dem Tod ihrer Tochter versucht, einen Zugang zu deren Facebook-Account zu erhalten. Facebook hat das verweigert. Der Bundesgerichtshof hat in der Folge angeordnet, dass Facebook den Erbinnen und Erben den Zugriff auf das Konto gewährleisten muss.