Der Gang der Telekom-Firma Sunrise an die Schweizer Börse sorgt für übertriebenen Lärm in einem Markt, in dem die Wachstumschancen begrenzt und Paukenschläge selten geworden sind.
Die Beteiligungsgesellschaft Liberty, ein Medienkonglomerat aus den USA, kaufte vor drei Jahren Sunrise für fast 7 Milliarden Franken. Jetzt erwartet sie sich für den bevorstehenden Spin-off eine Firmenbewertung von 3,5 bis 4,5 Milliarden Franken. Einfach deshalb, weil Sunrise dann nicht mehr Teil eines gigantischen Konglomerats ist, mit mehr Freiheiten grössere Chancen im Markt hätte und so die Marktführerin Swisscom besser angreifen könnte.
Allein von der Ankündigung des Deals erhoffte sich Sunrise-CEO André Krause, dass der Kurs der Aktie zulegen würde. Passiert ist das Gegenteil: Der Aktienkurs der Sunrise-Eigentümerin Liberty schmierte ab.
Ein Initial Public Offering (IPO) – also ein Börsendebüt – ist der geplante Börsengang ohnehin nicht. Sondern nur die Rückkehr an den Kapitalmarkt. Sunrise war bereits von 2015 bis 2020 an der Börse, bevor Liberty die Firma kaufte. Auf Anleger könnte das unentschlossen gewirkt haben. Und der Aktienkurs der Hauptkonkurrentin Swisscom hat wider Erwarten nicht verloren, sondern zugelegt.
Das hat sich Liberty-Gründer John Malone vermutlich anders vorgestellt. Er ist einer der einflussreichsten Medienmogule der Welt, der Fox-News-Gründer Rupert Murdoch in nichts nachsteht. Nur ist er weniger bekannt. Sein Spitzname: Cable Cowboy. Er ist der zweitgrösste private Landbesitzer in den USA mit mehr als 2 Millionen Hektar Land in sieben Bundesstaaten. Und die letzte Instanz bei Sunrise, der Nummer zwei im Schweizer Telekom-Markt hinter Swisscom. Er hofft noch auf die grosse Wende.
Milliardär aus Colorado
Mit Kabel-TV ist der Geschäftsmann aus Colorado gross geworden. Von den 1970er- bis in die 1990er-Jahre baute er das Kabelfernsehunternehmen TCI in den USA auf, übernahm alle zwei Wochen eine Firma und gründete parallel dazu die Liberty Media. Mit 29 Jahren und einer Promotion der Johns Hopkins University in der Tasche war er bereits CEO, 1999 verkaufte er TCI an AT&T: für rund 50 Milliarden Dollar. So kam Malone zu Geld.
Sein privates Vermögen wird heute auf knapp 10 Milliarden Dollar geschätzt. Das Firmenvermögen steckt weltweit in diversen TV-, Internet-, Mobilfunk- und Medienunternehmen, bis hin zum Sport: Liberty Media gehören die Formel 1 und die Atlanta Braves, ein Baseballteam in den USA. Und eben Sunrise. Der Schweizer Mobilfunker steckt im jenem Teil von Malones Konglomerat, das alle Geschäfte exklusive den US-Markt verwaltet: in Liberty Global.
Liberty Global hatte Sunrise Ende 2020 für 6,8 Milliarden Franken erworben. Und darüber hinaus mit der Kabelnetzbetreiberin UPC zusammengelegt, welche zu dem Zeitpunkt bereits zum Universum von Malone gehörte. Das Ziel war es damals schon, dem Platzhirsch Swisscom Marktanteile abzunehmen, bei Mobilfunk, Internet und TV.
Daran hat sich nicht viel geändert. Der mächtigen Swisscom mit dem Staat im Rücken Marktanteile abzuluchsen, ist nicht einfach. Sie ist nach wie vor in allen Marktsegmenten grösser.
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Ein harter Verdrängungswettkampf
Zwar haben alle drei grossen Telekom-Anbieter, Swisscom, Sunrise und Salt, in der Schweiz ihren Platz gefunden – wirken aber weitgehend festgefroren: Es ist kein Wachstums-, sondern ein Verdrängungsmarkt, die Preise purzeln, die Margen sind tief. Grosse Verschiebungen gibt es nicht.
Aufhorchen liessen zuletzt nur zwei Fälle: Sunrise setzte sich im Firmenkundengeschäft gegen Swisscom durch und vernetzt nun an ihrer statt die Migros-Standorte und -Filialen. Und im Mobilfunkmarkt bietet Salt der Swisscom Paroli, indem das Unternehmen mit der Post zusammenspannt. Günstigere Salt-Abos können in den Filialen der Post abgeschlossen werden, der Mobilfunker profitiert vom Kundenzugang. Die Post bekommt die Mobilfunkmarke «Post Mobile» ins Haus und erweitert ihr Geschäft.
Swisscom schielt auf Italien
Von der Branchenführerin Swisscom nimmt man eher wahr, wie sie sich im Ausland engagiert. Im Inland verliert sie da und dort etwas an Marktanteilen. So bietet das Unternehmen über seine Tochter Fastweb für das Geschäft der Vodafone in Italien. Mitbieter Iliad, die Investmentfirma von Salt-Gründer Xavier Niel, war ebenfalls im Rennen, ist aber abgeblitzt.
Auch überlegt die Swisscom, in den italienischen Energiemarkt zu expandieren. Das Ziel ist mehr Marktdurchdringung, wenn die Konsumenten Strom und Telekom-Dienste aus einer Hand beziehen. Das hat derzeit aber noch den Status Fantasie.
Was alle drei Telekom-Anbieter eint, ist der Versuch, die eigenen Premiumkunden im Mobilfunkmarkt zu behalten. Diesen Markt schützen sie jeweils für sich, indem sie Rabattschlachten im Discountsegment über ihre Zweit- und Drittmarken untereinander austragen: Swisscom mit M-Budget, Wingo und Coop Mobile; Sunrise mit Aldi Suisse, Swype, Lebara und Yallo; Salt mit Das Abo, Gomo und Lidl Connect. Das Wort «billig» hören die Telekoms nicht so gerne, weil dadurch vergessen geht, dass im Grunde alle auf derselben, teuren Infrastruktur surfen, streamen und funken.
Viele Milliarden Franken haben die Firmen in der Schweiz über die Jahre in die Modernisierung und den Netzausbau investiert, um die gesamte Produktpalette darauf laufen zu lassen. Weil zusätzlich zu den hohen Investitionen aber die Preise im Endmarkt kontinuierlich sinken, bleibt für die weitere Expansion kaum noch Geld übrig. Projekte werden neu geplant, manchmal aufgeschoben oder überhaupt storniert.
Swisscom verklagt Sunrise
Verdient werden kann noch mit der Vermietung des eigenen Netzes an die Konkurrenz. So waren Mobilkunden der UPC, bevor diese in der Sunrise aufging, auf dem Swisscom-Netz unterwegs. Weil aber Sunrise und UPC verschmolzen, brauchten bisherige UPC-Kunden, die zu Sunrise migrierten, das Netz der Swisscom nicht mehr. Der Vertrag zwischen UPC und Swisscom für die Mitbenutzung existierte aber noch. Swisscom macht deswegen jetzt einen Schaden von 90 Millionen Franken geltend und verklagt Sunrise. Daran merkt man, es geht um viel.
An der Marktlogik ändert das aber nichts. Alle Anbieter müssen die Produktentwicklung über das komplette Angebot denken: Mobilfunk, Internet, TV. Für Privat- und Firmenkunden, Premium und Discount. Wobei die Märkte ganz klar konvergent sind: TV spielt sich immer mehr im Netz ab, Streamingdienste nehmen zu. Der Bedarf an Bandbreite und Geschwindigkeit im Mobilfunk dementsprechend auch. Und die Konsumenten wollen am liebsten alles aus einer Hand, bei voller Leistung und zum günstigsten Preis.
Das ist die Quadratur des Kreises: Mit mehr Bandbreite nimmt auch der Bedarf an Leistung und Geschwindigkeit in der Datenübermittlung zu. Dafür braucht es die neuesten Übertragungstechnologien: mehr Glasfasern, weniger Kupferdrähte.
Das Nadelöhr ist hier die Versorgung von der Zentrale bis zum Haushalt. Selbst wenn die Glasfasernetze immer grösser werden, hilft es wenig, wenn sich die Daten stauen, weil entweder nicht genug Fasern im Kabel verbaut werden, Kupfer nicht die gewünschte Leistung bringt oder mehrere Haushalte sich einen Anschluss teilen müssen, weil das die Baukosten tiefer hält. Über die Details dazu diskutiert die Swisscom bis heute mit der Wettbewerbskommission.
Salt, als kleinster Anbieter im Bunde der grossen drei, tritt als Mobilfunker in diesem Bereich weniger in Erscheinung und kauft oder mietet quasi Kapazitäten auf Glasfaser und anderen Netzen für das erweiterte Angebot dazu.
Sunrise hingegen hat die Koaxialtechnologie der früheren Kabelbetreiberin und Liberty-Marke UPC geerbt und ein eigenes Netz. Das ist zwar nicht so topmodern wie Glasfaser, bis jetzt konnte Sunrise aber mit technischen Kniffen diese Verbindungen bis ins Wohnzimmer so verbessern, dass Bandbreite und Geschwindigkeit mit dem Glasfaserangebot einer Swisscom mithalten können. In der Branche wird Sunrise deshalb auch «die kleine Swisscom» genannt, weil das Unternehmen ein ähnlich breites Telekom-Sortiment abdeckt wie Swisscom.
Malone bleibt am Drücker
Für den grossen Durchbruch im Schweizer Markt reicht das aber nicht. Deshalb ist Malone offenbar auch überzeugt, eine abgespaltene Sunrise hätte mehr Entfaltungsmöglichkeiten als in seinem Konglomerat. Aber nur Liberty steigt aus, nicht Malone selbst, wie eine Abspaltung mit anschliessender Börsennotierung vermuten liesse. Er wird direkt dominierender Aktionär und hat weiterhin in letzter Instanz das Sagen.
In welcher Form, das hat System und ist das Markenzeichen und Erfolgsrezept von John Malone, dem Medieninvestor: Sunrise wird mit zwei Aktienklassen notieren, von denen eine überproportional mehr Stimmrechte erhält und die andere auf Rentabilität fokussiert. Malone hält mit seinem Vertrauensmann und Liberty-Global-CEO Mike Fries die Fäden in der Hand und partizipiert auch weiterhin am Gewinn von Sunrise.
So hält es der Cable Cowboy seit bald vierzig Jahren über seine gesamte Konzernstruktur hinweg: «The winner takes it all.»