«Massiver Wettbewerbsnachteil»
Swissmem-Direktor schlägt wegen Ausland-Milliarden für Strom Alarm

Der Bundesrat lässt die Schweizer Wirtschaft im Regen stehen, während das Ausland einen riesigen Rettungsschirm aufspannt. Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher sieht den Schweizer Wirtschaftsstandort in Gefahr.
Publiziert: 16.11.2022 um 14:50 Uhr
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Aktualisiert: 16.11.2022 um 15:03 Uhr
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Steigen die Energiepreise erneut an, ....
Foto: STEFAN BOHRER
Martin Schmidt

Die Energiepreise haben sich zuletzt zwar wieder deutlich beruhigt. Aktuell können Firmen den Strom fürs nächste Jahr für rund 30 Rappen pro Kilowattstunde (kWh) einkaufen – im August kostete die kWh zeitweise zwischen 70 und 80 Rappen. Doch die Preise könnten im Lauf des Winters wieder deutlich anziehen und für Firmen zum Problem werden. Der Schweizer Wirtschaft droht ein Stromschlag.

Viele Hotels, Bäckereien, Sägereien, Bergbahnen und Industriefirmen müssen für ihren Strom im kommenden Jahr deutlich tiefer in die Taschen greifen. Und nun droht ihnen durch die Politik weiteres Ungemach: Viele EU-Länder haben über ihrer Wirtschaft und den Privathaushalten gewaltige Rettungsschirme aufgespannt – in den Geldtöpfen türmen sich mehrere Hundert Milliarden Euro. Der Bundesrat hingegen lässt die Schweizerinnen und Schweizer aktuell im Regen stehen.

Stefan Brupbacher (54), Direktor von Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, ist besorgt. Er sieht in der Entwicklung im Ausland eine «zentrale Gefahr für den Schweizer Industriestandort».

Im Ausland stehen Hunderte Milliarden bereit

Der Blick ins Ausland zeigt: Spitzenreiter Deutschland hat für die Gas- und Strompreisbremse beispielsweise ein Paket von 200 Milliarden Franken geschnürt. So sollen kleinere und mittlere Unternehmen für 70 Prozent ihres Vorjahresverbrauchs nicht mehr als 13 Cent pro Kilowattstunde bezahlen – für den Rest kommt der Staat auf. Jede zusätzliche kWh muss zum Marktpreis dazugekauft werden. Das deutsche Bundeskabinett muss das Paket am 18. November noch durchwinken.

Auch Frankreich deckelt die Strom- und Gaspreiserhöhungen ab 2023 für kleine Firmen auf maximal 15 Prozent. Bei grossen Betrieben werden auf 25 Prozent des Verbrauchs die Kosten bei einem Strompreis ab 32,5 Cent pro kWh übernommen. Italien und viele andere Länder wie Grossbritannien lassen ihre Wirtschaft ebenfalls von Milliardensubventionen profitieren.

Brupbacher befürchtet, dass es zu «massiven Wettbewerbsverzerrungen» kommen könnte. «Dies wäre der Fall, wenn europäische Industriefirmen im Vergleich zu schweizerischen Betrieben signifikant tiefere, weil subventionierte, Strompreise bezahlen müssten», sagt er.

Strompreis frisst Margen weg

Diese Verzerrung wird bei einem steigenden Strompreis immer grösser. Springt er erneut auf über 40, 50 oder gar 60 Rappen pro kWh, wird es für viele Firmen in der Schweiz brenzlig. «Der Kostenschub und damit die Belastung der Margen wären zu gross», sagt Brupbacher. Dies gilt besonders für jene Unternehmen, deren Stromlieferverträge Ende Jahr auslaufen und die ihre Verträge aufgrund der hohen Preise noch nicht erneuert haben. «Einige energieintensive Unternehmen werden diese hohen Strompreise kaum tragen können», ergänzt er.

Trotz der aktuellen Preisberuhigung sind die Unsicherheiten nach wie vor gewaltig: Engpässe im Winter oder auch Cyberattacken auf Kraftwerke oder Stromnetze könnten den Preis rasch wieder nach oben treiben.

Swissmem-Direktor will keinen Schuldenberg

Der Bundesrat hat letzte Woche 13 Massnahmen zur Stützung der Wirtschaft und Privathaushalte abgelehnt, darunter einen Strompreisdeckel oder eine Rückkehr in die Grundversorgung für Firmen. Brupbacher hat dafür Verständnis: «Viele der Vorstösse wären die falsche Medizin und sind vor allem im Hinblick auf die kommenden Wahlen zu verstehen.» Mit der Stützung der Wirtschaft während der Pandemie habe die Schweiz bereits einen Schuldenberg angehäuft. «Die Bewältigung der Energiekrise muss vorsichtiger und gezielter angegangen werden», so der Swissmem-Direktor.

Primär müssten bestehende Instrumente, wie zum Beispiel ein einfacher Zugang zur Kurzarbeit, eingesetzt werden. Zudem müssten innerhalb der Wirtschaft Lösungen gefunden werden. Brupbacher nimmt die schweizerischen Stromerzeuger und -Versorger in die Verantwortung. Diese sind grossmehrheitlich im Besitze der Kantone und Gemeinden. «In der Verantwortung stehen deshalb vor allem die Kantone als Kern-Eigentümer der Stromproduktionsfirmen, nicht der Bund. Es gilt also den Spielraum auszuloten, der diese Eigentümerstruktur bietet», sagt er.

Ganz endgültig waren die Entscheide des Bundesrats jedoch nicht: Sollten die Energiepreise erneut stark anziehen, will er die Situation für die Wirtschaft und die Haushalte erneut prüfen.


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