«Ich will noch einmal Gas geben»
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Handwerker Kurt Minder (59):«Ich will noch einmal Gas geben»

Kurz vor der Pensionierung
Handwerker Kurt Minder (59) findet einfach keinen neuen Job

Kurt Minder landet mit 59 Jahren nochmals auf der Strasse. Seit über vier Monaten sucht er einen Job – aber erhält nur Absagen. Oft werden dem Basler jüngere Bewerber vorgezogen. Jetzt hofft Minder auf eine neue virtuelle Kontaktbörse des Gewerbeverbands.
Publiziert: 08.05.2021 um 00:54 Uhr
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Aktualisiert: 09.05.2021 um 17:01 Uhr
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Kurt Minder landet Ende Mai mit 59 Jahren nochmals auf der Strasse.
Foto: Nicola Imfeld
Nicola Imfeld

Er ist 59 Jahre alt und landet nochmals auf der Strasse: Kurt Minder steht vor der Traditionsfirma Bacher AG in Reinach BL. Seit 1991 hat Minder mit einer kurzen Unterbrechung für das über 100 Jahre alte Unternehmen gearbeitet.

«Ende Mai ist Schluss», sagt er und zieht an seiner Zigarette. Das Jackett hat Minder lässig in der einen, die Sonnenbrille in der anderen Hand. «Das tut schon weh. Ich habe viele Jahre hier verbracht.»

Handwerker Kurt Minder: «Finanzielle Ängste»

Der gebürtige Basler weiss seit Monaten, dass er eine neuen Job braucht. Minder durchforscht das Internet und Zeitungen, bewirbt sich auf Stellen – alles bislang vergebens. Bis zum Ende des Monats ist er noch als Qualitätsprüfer bei Bacher angestellt. Die Firma stellt Komponenten und Baugruppen für Schienenfahrzeuge und die Transporttechnik her. Doch im Sommer macht Bacher für immer dicht – 120 Mitarbeitende landen wie Minder auf der Strasse. Wie Kurt Minder, der schon gehen muss, bevor der Laden definitiv runtergeht, trifft es viele ältere Büezerinnen und Büezer.

«Es ist eine belastende Situation», sagt der Familienvater aus Pratteln BL. «Im Juni werde ich 60 Jahre alt. In diesem Alter nochmals den Job zu verlieren, ist sehr bitter. Das löst auch finanzielle Ängste aus.»

Stellensuche belastend für die Psyche

Bereits im Dezember 2020 hat sich Minder auf dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) angemeldet. Wie viele Bewerbungen er geschrieben hat, weiss er gar nicht mehr.

«Es ist ein Auf und Ab für die Psyche», erzählt Minder. Nach jeder abgeschickten Bewerbung freue er sich, dass er möglicherweise eine Stelle gefunden hat, die ihm passen würde. «Aber dann folgte bisher leider immer wieder der Dämpfer in Form einer Absage.»

«Wir Ü50er werden benachteiligt»

Minder ist gelernter Gürtler. Das ist ein Handwerker, der auch Feinblechner genannt wird. Zuletzt hatte er mehrere Führungspositionen inne, verdiente gut. Doch Minder fehlen die Abschlüsse und Diplome. Die Anforderungen in den Stellenbeschrieben erfüllt er deshalb oft nicht.

«Ich habe mir die Fähigkeiten mit der Praxis angeeignet – learning by doing. Auch technologisch bin ich mit der Zeit gegangen», sagt er. Dass dies im Bewerbungsprozess nicht stärker berücksichtigt wird, versteht er nicht. «Wir über 50-Jährigen werden benachteiligt. Uns traut man in diesem Alter die digitalen Neuerungen nicht mehr zu.» So seien Minder in den vergangenen vier Monaten schon mehrfach jüngere Bewerbende vorgezogen worden.

Minder nimmt Lohnabstriche in Kauf

Trotz der Rückschläge gibt er nicht auf. «Ich bin ein grundsätzlich positiv denkender Mensch, das hilft mir in dieser Situation», sagt Minder. Verzweifelt sei er noch nicht. «Ich will auch nicht irgendeinen Job annehmen. Ich habe einige Punkte, die mir wichtig sind.»

Das Unternehmen soll auf gesunden Beinen stehen – ein Jungunternehmen kommt für ihn eher nicht infrage. «Ich will nicht nochmals das durchmachen, was ich jetzt erleben muss», begründet Minder. Weiteres Kriterium: «Ich möchte am Morgen Freude haben, wenn ich zur Arbeit gehe.»

Der Lohn kommt für den Basler ganz zum Schluss. «Ich rechne damit, dass ich gewisse Abstriche in Kauf nehmen muss», sagt er. Immerhin seien seine Kinder aus dem Haus und er somit in einer besseren Situation als manche seiner Altersgenossen. «Beim Lohn würde ich mich mit meinem künftigen Arbeitgeber sicher einigen können», gibt er sich überzeugt.

Virtuelle Kontaktbörse soll helfen

Minder denkt bei der Arbeitssuche über den Tellerrand hinaus. Er würde zwar gerne weiterhin in einem Betrieb mit Oberflächenbeschichtungen arbeiten. «Aber ich kann mir auch gut vorstellen, Buschauffeur zu werden», sagt er. In der Armee und bei der Feuerwehr habe er bereits grössere Fahrzeuge gelenkt.

Hilfe bekommen Minder und seine Leidensgenossen nun vom Gewerbeverband Basel-Stadt. Dort hat man eine Stellenkontaktbörse für über 50-Jährige ins Leben gerufen. Mehrere Firmen haben sich gemeldet und Arbeitsstellen extra über die Kontaktbörse ausgeschrieben. Stellensuchende wie Minder haben so die unkomplizierte Möglichkeit für ein virtuelles Vorstellungsgespräch.

«Algorithmus kann mich nicht aussortieren»

Über 50-Jährige seien zwar nicht häufiger arbeitslos, aber wenn sie auf Stellensuche sind, dauere es deutlich länger als bei Jüngeren, bis sie wieder eine neue Stelle haben, sagt David Weber vom Gewerbeverband Basel-Stadt. «Mit der Stellenkontaktbörse 50plus stellen wir den direkten Kontakt zwischen Stellensuchenden und Unternehmen her. Bei manchen führt das direkt zu einem Anstellungsvertrag», so Weber.

Auch Kurt Minder hat es mit der Kontaktbörse versucht. «Damit wird eine Hürde im Bewerbungsprozess übersprungen. Man kann nicht gleich von einem Algorithmus aussortiert werden und kriegt die Chance auf ein Gespräch. Das ist sehr positiv», sagt Minder. Er selbst hatte bereits zwei Gespräche. Den langersehnten Arbeitsvertrag hat es bislang trotzdem nicht gegeben.

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