Auf einen Blick
Dass Monika Ribar (64) in zwei Jahren ihren Posten als SBB-Präsidentin abgeben wird, war absehbar: Sie unterliegt einer Amtszeitbeschränkung von zwölf Jahren. Überraschend ist allerdings, wen der Bundesrat diese Woche als ihren Nachfolger präsentierte: André Wyss (57), CEO des Bau- und Immobilienriesen Implenia.
Wyss gibt den Chefposten bei Implenia Ende März 2025 ab. Im Monat später wird ihn der Bund in den Verwaltungsrat der SBB wählen. Im Jahr darauf soll er das Präsidium übernehmen.
Der Wechsel vom grössten Schweizer Baukonzern an die Spitze der Bundesbahnen ist nicht ganz unproblematisch – die beiden Unternehmen arbeiten seit Jahren eng zusammen.
Kaum jemand vergibt so viele öffentliche Bauaufträge wie die Bahn: einerseits für den Erhalt und Ausbau der Bahninfrastruktur, andererseits für riesige Immobilienprojekte in Bahnhofsnähe.
550 Millionen in der Ära Wyss
Davon profitiert auch Implenia. Allein seit Wyss dort im Oktober 2018 den CEO-Posten übernahm, erhielt der Konzern von den SBB öffentliche Aufträge in Höhe von 550 Millionen Franken: So ist es der Beschaffungsplattform Intelliprocure der Berner Fachhochschule zu entnehmen.
Dass die Aufträge in Zukunft weniger werden, wäre keineswegs im Interesse des künftigen SBB-Präsidenten. Denn Wyss profitiert auch nach seinem Abgang von jedem Auftrag, den Implenia erhält: Ende 2023 war er im Besitz von 123ʼ919 Implenia-Aktien. Beim aktuellen Aktienkurs entspricht das einem Gegenwert von rund 4 Millionen Franken.
Wyss hat nicht vor, diese Anteile in absehbarer Zeit zu verkaufen. «Er wird als Privatperson weiterhin Aktionär von Implenia bleiben», schreibt die Medienstelle des Baukonzerns auf Anfrage von SonntagsBlick.
«Bei Interessenkonflikten in den Ausstand»
Eine Sprecherin betont aber, dass sich Wyss «der Thematik Interessenkonflikte» bewusst sei und sich einer guten Corporate Governance «persönlich verpflichtet» fühle.
Grosse Probleme erwartet der Spitzenmanager aber offenbar nicht: weil Beschaffungsentscheide bei den SBB, wie es dort heisst, in der Kompetenz der Konzernleitung lägen. Aber auch, weil Infrastruktur-Bauprojekte dem öffentlichen Beschaffungsrecht unterliegen und der Ausschreibungsprozess somit klar geregelt sei.
«Sollte es im Verwaltungsrat dennoch zu Interessenkonflikten kommen, wird André Wyss in den Ausstand treten», sagt die Sprecherin. Zumal die Übernahme des SBB-Präsidiums erst 2026 geplant sei, wodurch ausreichend Zeit für «eine klare Trennung» von seiner aktuellen Rolle bei Implenia vorhanden sei.
SBB reden Geschäfte mit Implenia klein
Die SBB argumentieren ähnlich. Eine Sprecherin: «Die Designation von André Wyss als künftiger Verwaltungsratspräsident hat keinen Einfluss auf die Geschäftsbeziehungen der SBB mit Implenia.»
Bei den SBB gebe es strenge Compliance-Regeln, die in den vergangenen Jahren verstärkt worden seien. «Diese», so die Sprecherin weiter, «gelten selbstverständlich auch für André Wyss.»
Des Weiteren redet der Staatsbetrieb die Geschäftsbeziehungen mit Implenia klein. Diese bewegten sich «im einstelligen Prozentbereich» des gesamten Bauvolumens der SBB.
Nachholbedarf bei Bahn-Expertise
Die Nomination von Wyss wirft aber auch eine andere Frage auf: Woher nimmt der Chef eines Baukonzerns sein Know-how im Bahn-, Logistik- und Verkehrsbereich?
Im Gegensatz zu Ribar, die vor ihrer Zeit bei den SBB jahrelange Erfahrung als Logistik-Managerin sammeln konnte, ist Wyss diese Branche total fremd. Vor seinem Engagement bei Implenia arbeitete er 34 Jahre lang beim Pharmakonzern Novartis.
Die SBB sehen das nicht als Problem. Die Sprecherin hebt die Expertise von Wyss bei grossen Infrastruktur- und Immobilienprojekten hervor: «Er bringt Erfahrungen mit, die für das Bahngeschäft zentral sind.»
In Bereiche, die er noch nicht kennt, werde er sich gemeinsam mit der heutigen Verwaltungsratspräsidentin ein Jahr lang einarbeiten – und die SBB sowie deren Mitarbeiter «à fond» kennenlernen.
Nicht zuletzt will der künftige SBB-Präsident mehr Bahn fahren. Von seinem Wohnort in Bottmingen BL zum Implenia-Hauptsitz in Opfikon ZH pendelte Wyss bisher nicht mit dem ÖV. Er sei aber «vorab in seiner Freizeit und gelegentlich auch geschäftlich» immer wieder im Zug unterwegs. Künftig werde er dies vermehrt tun, lässt er über eine Sprecherin ausrichten.