Auf einen Blick
Peter Hoelscher rastet aus. Er wollte das Wochenende mit seinen Kindern verbringen, aber seine ehemalige Partnerin stellt sich quer. «Eigentlich müssten wir uns für die Kleinen doch zusammenraufen können!» Aber es will einfach nicht klappen. Sein richtiger Name lautet anders – er möchte nicht, dass die ganze Schweiz seine privaten Probleme kennt.
Dass Konflikte besonders in nahen Beziehungen heftig explodieren können, ist nicht erstaunlich. Menschen, die uns wichtig sind, können uns gezielt verletzen und wütend machen. Ruhig denken oder handeln fällt da schwer.
Redet sie schlecht über ihn?
So wird aus einem Streit manchmal ein Teufelskreis – wie bei Peter Hoelscher. Seine zwei Kinder sind noch klein und leben bei der Mutter. Sie hat sich von Hoelscher getrennt. Schon seit Wochen wollen sie nicht mehr zum Vater.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
Den Grund glaubt er zu kennen: Seine Ex-Partnerin redet schlecht über ihn. Mal ist er wütend, mal traurig, mal verzweifelt. Es geht ihm immer schlechter. Auf die Arbeit kann er sich kaum konzentrieren.
Und erkennt sich langsam selbst nicht wieder: Vor einigen Tagen wurde er sofort laut, als ihn beim Einkaufen jemand aus Versehen angerempelt hat. Er fühlt sich überfordert und machtlos. Aber er will um seine Kinder kämpfen und wieder normal mit seiner ehemaligen Freundin kommunizieren können.
Nutzlose Dogmen
Viele Mythen ranken sich um Familienkonflikte – zum Frieden tragen die meisten nichts bei. Etwa: Man muss immer über alles reden können. Doch selten funktioniert Kommunikation innerhalb der Familie so gut, dass sich eine ernste Herausforderung schnell und einfach aus der Welt schaffen lässt.
Nur schon deshalb, weil Familienmitglieder sehr unterschiedlich auf ein und dasselbe Problem reagieren können, wie Untersuchungen zeigen. Manche empfinden Wut, andere fühlen sich leer, ziehen sich zurück und verdrängen. Wieder andere wollen das Problem aktiv angehen und am liebsten gleich lösen.
«Am liebsten einfach auf Reset drücken»
Die einen entwickeln körperliche Symptome wie Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit, andere lenken sich ab, oft mit Alkohol. Da hilft auch selten weiter, dass Blut dicker ist als Wasser und wir deshalb immerzu um unsere Liebsten kämpfen sollten. Das ewige Ringen kann einen enormen Leidensdruck verursachen und wie bei Peter Hoelscher einen normalen Alltag zunehmend erschweren.
«Am liebsten würde ich einfach auf Reset drücken und neu anfangen», sagt der 42-Jährige. Das kann er: Indem er den Kontakt vorübergehend abbricht, zur Ex-Partnerin und zu den Kindern. Abstand vom eigenen Nachwuchs nehmen, das ist für viele Väter und Mütter zwar ein furchterregender Gedanke. Doch die vorübergehende Distanz kann einen Neustart ermöglichen.
Eine Form des Selbstschutzes
Auch in anderen Konstellationen ist der temporäre Kontaktabbruch sinnvoll – als eine wichtige Form des Selbstschutzes. Etwa wenn ein Familienmitglied einen immer wieder beleidigt, ständig verletzend kritisiert oder kontrolliert. Die Pause kann helfen, langfristige psychische, aber auch körperliche Probleme zu vermeiden. Denn Studien zeigen: Chronische negative Erfahrungen in der Familie begünstigen Gesundheitsprobleme wie Herz- und Autoimmunerkrankungen.
Hoelscher wagt den Schritt und erklärt seinen Kindern und ihrer Mutter, dass er sie vorerst weder sehen noch hören wird – und warum. Und ist perplex: Er hatte gedacht, das würde ihm sehr schwerfallen. Stattdessen ist er erleichtert und schämt sich dafür.
«Dabei ist man kein schlechter Mensch, weil man sich distanziert», sagt Karl Pillemer. Der US-Soziologe hat sich wie kaum ein anderer mit dem Thema Entfremdung und Abstand von Familienmitgliedern befasst. Er weiss: Wer überfordert ist und bewusst aus der belastenden Situation heraustritt, fühlt sich befreit. Dabei hilft es, Verständnis für sich selbst zu haben und zu realisieren, dass man mit diesen Gefühlen richtig liegt.
Abstand heisst nicht Totenstille. Geburtstage und Weihnachten sind laut Pillemer ein Anlass, Familienmitgliedern zu zeigen, dass man an sie denkt. Eine Karte oder eine Nachricht reichen dafür. Wer sich jedoch sicher ist, dass sogar diese Form des Kontakts erneut in Streit oder Schmerz endet, sollte vorerst auch darauf verzichten.
Gewaltfreie Kommunikation und andere Auswege
Peter Hoelscher nutzt die Zeit, um eine Therapie zu machen. Die Therapeutin stellt ihm ein Konzept vor: die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Die hat sich jahrzehntelang bewährt und ist eine Chance für Hoelscher, sich aus dem eingefahrenen Konflikt zu befreien.
Die Grundidee ist, die eigenen Bedürfnisse herauszuarbeiten und sie dem Gegenüber mitzuteilen – ohne Wut, ohne Ansprüche, ohne Erwartungen. Entscheidend ist, sich in die anderen hineinzufühlen. So arbeitet Hoelscher daran, sich in seine ehemalige Partnerin hineinzuversetzen, statt wütend zu werden und ihr böse Absichten zu unterstellen. Dieses Umdenken braucht Zeit.
Es gibt eine ganze Reihe von Hilfsangeboten
Es gibt auch andere Optionen. Etwa kostenlose Beratungen und Begleitungen, die viele Gemeinden und Kantone anbieten. Oder Kommunikationskurse und Meditation: Sie können helfen, der Familie ruhiger zu begegnen.
Der Schmerz lässt sich verarbeiten, indem man Tagebuch schreibt. Empathie-Workshops unterstützen dabei, den Verwandten zu verzeihen. Und wer sich einsam fühlt, findet in einer Selbsthilfegruppe vielleicht Gleichgesinnte und neuen Halt.
All diese Optionen helfen nicht nur dabei, den Familienkonflikt zu lösen. Sie liefern auch Anhaltspunkte, wann man behutsam wieder den Kontakt suchen kann. Wer etwa bei einem Workshop nicht konstruktiv mit diesen Gefühlen umgehen kann, sollte noch etwas warten. Nicht Angst und Schmerz sollen einen zur Kontaktaufnahme treiben, sondern möglichst positive Gefühle. Wie Mitgefühl.
Peter Hoelscher ist noch nicht so weit. Aber er ist überzeugt, dass die Pause und die Therapie richtig sind. «Ich bin weniger wütend und werde in Zukunft eine bessere Beziehung zu meinen Kindern aufbauen können.»