Kommentar zum Rücktritt von SBB-Chef Andreas Meyer
Er geht zu früh. Und er geht zu spät

SBB-Chef Andreas Meyer wird bald nicht mehr SBB-Chef sein. Die Ankündigung seines Rücktritts war ein richtiger Schritt. Doch er hat einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt dafür gewählt.
Publiziert: 04.09.2019 um 11:27 Uhr
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Aktualisiert: 04.09.2019 um 19:02 Uhr
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Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe
Foto: Shane Wilkinson
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Christian Dorer

SBB-Chef Andreas Meyer wird bald nicht mehr SBB-Chef sein. Die Ankündigung seines Rücktritts war ein richtiger Schritt. Doch er hat einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt dafür gewählt.

Er geht zu früh. Und er geht zu spät.

Nur in Ausnahmefällen bringt man in einem derart anspruchsvollen Job 14 Jahre lang genügend Frische, Ausdauer und Innovationskraft auf, um der natürlichen Abnutzung zu widerstehen. So gesehen, geht Andreas Meyer zu spät.

Doch wie in den vergangenen Wochen erschreckend deutlich wurde, liegt bei den Schweizerischen Bundesbahnen manches – zu viel – im Argen. Und bevor ein verantwortungsvoller Chef geht, sollte er seinen Laden in Ordnung bringen. So gesehen, geht Andreas Meyer zu früh.

Die SBB stecken in der grössten Krise seit Meyers Amtsantritt am 1. Januar 2007. Das Vertrauen des Bahnpersonals in die Führung ist in einem nicht minder prekären Zustand als die Unternehmenskommunikation. Dies hat der Skandal um defekte Türen nach dem tödlichen Unfall des Zugbegleiters von Baden AG deutlich gemacht.

Die Lieferung der Bombardier-Züge, grösste Rollmaterial-Bestellung in der Geschichte der SBB, ist um Jahre im Verzug. Die vorhandenen Kompositionen pfeifen aus dem letzten Loch: Türstörungen, unbenutzbare WCs, verkürzte Züge, Verspätungen, Komplettausfälle machen diesen Notstand für jeden sichtbar.

Und doch täte man Andreas Meyer unrecht, wollte man seine Bilanz auf das Drama von Baden und das Desaster danach beschränken. In seiner Amtszeit hat er die SBB mit grosser Führungsstärke auf den Weg in die digitale Zukunft gebracht und dabei vieles richtig gemacht.

Die Passagierzahlen nahmen unter seiner Ägide um 60 Prozent zu, die gefahrenen Zugkilometer um 30 Prozent. Eine solche Ausweitung der Kapazität macht jeden Betrieb anspruchsvoller und störungsanfälliger. Bei allen berechtigten Klagen gilt es aber auch festzuhalten: Die SBB sind einer der effizientesten Bahnbetriebe auf dem Erdball.

Dass Meyer nun 15 Monate im Voraus seinen Rücktritt ankündigt, ist sicher gut gemeint: So bleibt Zeit für die Suche nach dem geeigneten Nachfolger. Doch ein Bahnchef mit Ablaufdatum wird zwangsläufig zur lahmen Ente. Und Stillstand ist das Letzte, was die SBB jetzt gebrauchen können.

Umso entscheidender ist die Frage: Wer wird Meyers Nachfolger?

In der Konzernleitung kamen und gingen unter seiner Führung 21 Mitglieder. Den besten Personalentscheid fällte der SBB-CEO leider erst gegen Ende: als er Toni Häne zum Chef Personenverkehr machte, der vor 48 Jahren als Stationslehrling begonnen hat und sich beharrlich hocharbeitete, der weiss, wie eine Weiche funktioniert, aber auch, wie Bähnler ticken.

Mit 63 Jahren ist der Chef des Personenverkehrs zu alt, um Meyer zu beerben. Einen von Hänes Schlag aber brauchen die SBB in dieser schwierigen Phase, um bei Personal und Kunden verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen.

Die ganze Nation wartet auf einen Lokführer, der jetzt ganz unspektakulär den Führerstand der SBB besteigt, seine Mütze geraderückt, die notwendigen Befehle gibt und die richtigen Knöpfe drückt, damit die Schweizerischen Bundesbahnen ihre Güter und Passagiere wieder pünktlich, zuverlässig und sicher von A nach B bringen.

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