Kolumne über Geldanlagen
Warum wir den Umwandlungssatz überschätzen

Wie weit die Renten sinken, entscheidet nicht der Gesetzgeber, sondern die einzelnen Vorsorgeeinrichtungen.
Publiziert: 15.05.2021 um 11:28 Uhr
Claude Chatelain, Publizist und Wirtschaftsjournalist.
Foto: Paul Seewer
Claude Chatelain

Der Umwandlungssatz ist kaum der wichtigste, wohl aber der bekannteste Begriff in der beruflichen Vorsorge. Da ein erneuter Revisionsversuch der 2. Säule ansteht, wollen wir ein paar Gedanken über diese Prozentzahl verlieren.

Beginnen wir mit einer Fangfrage: Welche Kasse ist besser, die mit einem Umwandlungssatz von 5,5 Prozent oder jene mit 4,9 Prozent? Die Antwort lautet: Ich weiss es nicht. Ich kriege ja die Rente nicht in Prozent ausbezahlt, sondern in Franken.

Vielleicht hilft eine kurze Repetition im Prozentrechnen: Wenn ich mit dem Umwandlungssatz die Höhe der Rente kennen will, muss ich zuerst wissen, was 100 Prozent ist. 100 Prozent ist das Kapital, das sich auf meinem Konto all die Jahre angesammelt hat. Wird dieses Kapital zu einem Satz von 6,8 Prozent in eine Rente umgewandelt, gibt es auf 100'000 Franken 6800 Franken. Bei einem Satz von 6 Prozent sind es nach Adam Riese nur noch 6000 Franken, also 12 Prozent weniger. Sollen die Renten trotz Senkung des Umwandlungssatzes unverändert bleiben, muss man das Kapital um 13 Prozent aufstocken.

Das geschieht, indem die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge erhöht werden. Genau das sehen die verschiedenen Modelle vor, die nun in der Reform zum Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) zur Debatte stehen. Ein Problem gibt es für die Übergangsgeneration: Menschen, die kurz vor der Pension stehen, konnten nicht mit höheren Lohnabzügen das Kapital aufbessern, um den sinkenden Umwandlungssatz aufzufangen. Für sie braucht es Übergangslösungen.

Seit Jahren ist die Rede davon, den Umwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent zu senken. Dabei haben doch praktisch alle Vorsorgeeinrichtungen ihren Umwandlungssatz wegen der stetig steigenden Lebenserwartung schon längst nach unten korrigieren müssen. Das ist möglich, weil nur der obligatorische Teil von der BVG-Revision betroffen ist. Also jener Teil des Guthabens, den man aufgrund der gesetzlichen Mindestvorgaben angespart hat. Doch wenn ein höherer versicherter Verdienst, höhere Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge oder ein tieferer Koordinationsabzug als gesetzlich vorgeschrieben zur Anwendung kommen, entstehen dadurch überobligatorische Guthaben.

Von den gut eine Billion Franken, die bei all den Vorsorgeeinrichtungen der 2. Säule liegen, sind nur etwa 40 Prozent obligatorisch. Die übrigen 60 Prozent sind überobligatorisch und von der laufenden BVG-Revision nicht betroffen. Die Pensionskassen können selber bestimmen, zu welchem Satz sie das überobligatorische Guthaben in eine Rente umwandeln.

Wie weit die Renten sinken, entscheidet letztlich nicht der Gesetzgeber, sondern die einzelnen Vorsorgeeinrichtungen. Die meisten von ihnen haben mit dem überobligatorisch angesparten Guthaben eine Manövriermasse, die von der Senkung des gesetzlichen Mindestumwandlungssatzes nicht betroffen ist.

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