Kampf ums Geld
Trennungskrieg mit einem Millionär

Ein getrenntes Paar streitet um jeden einzelnen Franken – seit über zehn Jahren. Obwohl der Mann Millionen hat.
Publiziert: 27.02.2024 um 17:17 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2024 um 17:53 Uhr
Von den 1600 Franken Unterhalt zieht der Vater eigenmächtig 400 Franken ab.
Foto: bunterhund Illustration
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Katharina Siegrist
Beobachter

Am Anfang war eigentlich alles ganz einfach. Fast zu schön, um wahr zu sein.

Im letzten Semester ihres Studiums treffen sich Nina und Roland. Sie verlieben sich, werden ein Paar. Nina und Roland heissen in Wirklichkeit anders. Denn Nina wird schon bald einen Nachnamen tragen, den man kennt. Ein Name, der als Schriftzug luxuriöse Einkaufsmeilen ziert. Ein Name, der ein, wenn nicht sorgenfreies, so doch gesichertes Leben verspricht. Eigentlich. 

In dieser Geschichte soll Nina mit der Heirat zu einer, sagen wir: «von Erlach» werden. 

Sie hätten eigentlich gut miteinander funktioniert, erinnert sich Nina von Erlach. «Zumindest solange wir beide berufstätig waren.» Er arbeitet als Wirtschaftsprüfer. Sie zuerst in einer PR-Agentur, danach selbständig als Beraterin. 2006 kommt Tochter Ella zur Welt. Zwei Jahre später folgt Schwesterchen Sophie. Nina von Erlach kümmert sich fortan in Vollzeit um die beiden Kinder – für eine «von Erlach» gehört es sich nicht anders. Gleichzeitig überwacht sie den Bau der Familienvilla: hoher Giebel, Panoramafenster, Blick auf See und Berge.

Von aussen betrachtet, würde man sich gern eine Scheibe von diesem Leben abschneiden. Von diesem grossen Kuchenstück, garniert mit Luxusferien, Haushaltshilfen und Pilatesstunden. Selbst als Roland von Erlach mehrmals arbeitslos wird, ist der Lebensstand der Familie gesichert – dem Millionenerbe seines Vaters sei Dank.

Doch lange sollte das nicht gut gehen.

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Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Wie Nina von Erlach einen Fehler macht

Die Erziehungsstile der Eltern klaffen immer weiter auseinander. Er findet ihre Art «Laissez-faire». Für sie verhält er sich den Töchtern gegenüber lieblos. Ab 2014 leben die beiden getrennt. Er zieht aus, sie bleibt mit den Kindern im Haus.

Heute – zehn Jahre später – streiten die von Erlachs um das Saisonabo für die Badi (15 Franken pro Monat), um die Pfadi-Mitgliederbeiträge (70 Franken pro Monat, inklusive Bundeslager), um Sophies privaten Schwimmunterricht, den sie als Kleinkind besuchte (58 Franken pro Monat), um Ellas Schlüsseldepot für den Spind in der Schule (einmalig 50 Franken). Und um vieles andere mehr.

Wie konnte es so weit kommen? Nun, Nina machte vor allem folgenden Fehler: Seit der Geburt ihrer ersten Tochter schickte sie sich in das traditionelle Familienbild ihres Mannes und in das komfortable Leben. Damit machte sie sich finanziell abhängig. Und das sollte sich rächen.

Nach der Trennung habe er ihr 4000 Franken für sie und die Töchter überwiesen – aus Goodwill, wie er meinte, so sagt es Nina von Erlach. Das habe gerade gereicht, um das Nötigste zu bezahlen, inklusive Hypothekarzinsen. «Meine Anwältin hat mir versichert, dass ich mir keine Sorgen machen müsse. Ich würde nicht als arme Chilemuus enden. Aber genau das ist passiert.»

Dass Nina von Erlachs Budget plötzlich ins Wanken geriet und sie sich später auch verschulden musste, ist aber nicht nur ihre Schuld. Auch das Bundesgericht trägt seinen Anteil. Während des Trennungskriegs hat es seine Rechtsprechung laufend verschärft. Heute wird praktisch erwartet, dass jemand nach der Trennung sofort finanziell auf eigenen Beinen steht. Auch dann, wenn ein Paar einst gemeinsam entschieden hat, dass eine oder einer von beiden seinen Job zugunsten der Familie und der Kinder aufgibt.

Wie das Bundesgericht ein Urteil fällt

Die von Erlachs können nicht mehr miteinander reden. Jeder Gerichtsentscheid wird angefochten. Die Rechtsschriften der Anwältinnen sind teilweise über 100 Seiten lang. Die Akten füllen 20 Bundesordner. Von «keiner Kompromissbereitschaft» ist an einer Stelle in den Gerichtsakten zu lesen. Die Anwaltsrechnungen müssen mittlerweile wohl über 100'000 Franken hoch sein.

Der Sachverhalt ist relativ simpel. Roland von Erlach will seiner Familie möglichst wenig zahlen – nicht mehr als das Existenzminimum. Nina von Erlach will, dass die Familie den einst gelebten Lebensstandard weiterführen kann. Darum auch die fein säuberlich aufgelisteten Ausgaben – vom Badi-Abo bis zum Schlüsseldepot. Das habe alles zum Leben vor der Trennung gehört. 

Das Bezirksgericht setzt einen Unterhaltsbeitrag fest, den das Kantonsgericht später reduziert. Beide Gerichte sind sich aber einig, dass Roland von Erlach mehr als das Existenzminimum zahlen muss – und dafür sein Vermögen anzehren. Inzwischen ist der Wirtschaftsprüfer nämlich ausgesteuert. Mit den Zahlungen ist er nicht einverstanden. Im Sommer 2021 entscheiden fünf Bundesrichter – und geben ihm teilweise recht: Geerbtes muss man grundsätzlich nicht für Unterhaltszahlungen verwenden. Dafür muss der Lohn herhalten. Wer also – wie Roland von Erlach – nichts verdient, kann auf Millionen sitzen, aber nur das Existenzminimum bezahlen. 

Ist das gerecht? 

Nicht für Nina von Erlach. «Mein Ex kann in Saus und Braus leben. Ich dagegen und die zwei Mädchen kommen nur noch knapp über die Runden», sagt sie.

Für die Bundesrichter gibt es in stossenden Fällen jedenfalls Ausnahmen von der oben zitierten Regel. Weil sich die Vorinstanz damit zu wenig auseinandergesetzt hat, weist das höchste Gericht den Fall an das Kantonsgericht zurück. Dieses muss nochmals entscheiden.

Und was sagt Roland von Erlach zu all dem? Auf die Anfragen des Beobachters reagieren weder er noch seine Anwältin. Gern hätte der Beobachter mit allen Betroffenen gesprochen, ihre Sicht der Dinge erfahren. Dieser Text stützt sich nun auf Gerichtsakten und die Darstellungen einer Seite.

Wie die Schulden wachsen

Zum Zeitpunkt der Trennung ist Nina von Erlach 45. Soll sie ihre Selbständigkeit als Beraterin wiederaufnehmen? Wohl illusorisch: Zu lange hat sie kein Networking mehr betrieben. Kurz- oder mittelfristig eine Anstellung finden? Schwierig: Zu lange war die Kinderpause. Trotzdem rechnen ihr alle Gerichte ein hypothetisches Einkommen an. Bis zu 4200 Franken könne sie verdienen, wenn sie denn wollte. Diese Beträge gelten als ihre Einnahmen – egal, ob sie tatsächlich etwas verdient oder nicht.

In Tat und Wahrheit wird sie diesen Lohn nie realisieren. Gleichzeitig zahlt sie die Hobbys der Kinder, Schullager und Reparaturen am Haus et cetera aus ihrem eigenen Sack. Bis sie ihre Eltern um Geld anpumpen muss. «Zugleich wird das Millionenerbe meines Ex-Mannes geschützt. Das ist doch absurd.»

Und noch lange nicht alles.

«Weil mir das Bezirksgericht mehr Unterhalt zusprach als danach das Kantons- und Bundesgericht, muss ich meinem Ex-Mann noch Unterhaltsbeiträge zurückzahlen», so Nina von Erlach. Es geht um über 150’000 Franken. «Ich weiss nicht, wie das gehen soll.» Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten: Denn mittlerweile haben die von Erlachs ihre Familienvilla an exquisiter Lage verkauft. Über zwei Millionen liegen auf einem Sperrkonto. Gesperrt ist das Geld, um damit irgendwann die Scheidung zu regeln. Derzeit streitet das Paar ja erst um die Trennung, also die Zeit bis zur Scheidung. Roland von Erlach ist nicht damit einverstanden, dass seine Ex ihre Schulden von ihrem Anteil am Verkaufserlös begleicht. 

Lieber betreibt und pfändet er Nina von Erlach – zuletzt für Anwaltskosten, die er ihr im Verfahren vorschiessen und gemäss dem letzten Gerichtsentscheid zurückverlangen kann. Möglich, dass man ihr nun den Schmuck wegnehme oder das 3b-Vorsorgekonto.

Man reibt sich die Augen: Warum hört man nicht einfach auf?

Warum Nina von Erlach in der Falle sitzt

Im Frühling 2023 entscheidet das Kantonsgericht erneut. Es liege ein Ausnahmefall vor. Roland von Erlach müsse sein Vermögen definitiv anzehren, um die Unterhaltsbeiträge zu bezahlen. Die nunmehr fast volljährigen Töchter sollen je 1600 Franken an Unterhalt bekommen. Doch davon, so sagt Nina von Erlach, ziehe der Vater eigenmächtig je 400 Franken pro Monat ab. Seine Begründung: Er habe ja über Jahre zu viel bezahlt.

Sie kann nach dem Urteil des Kantonsgerichts nur kurz aufatmen. Ihr Ex reicht wieder Beschwerde ans Bundesgericht ein. Möglich, dass dieses erst 2025 urteilt.

«Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dass es Instanzen oder Gerichte gäbe, deren Entscheide nicht mehr angefochten werden können», sagt Nina von Erlach. «Irgendwann muss es doch mal gut sein.» Wer unbeschränkte finanzielle Möglichkeiten habe, könne so lange prozessieren, bis das Resultat zuletzt zu seinen Gunsten ausfalle, meint sie. 

Ihr bleibt fast nichts anderes übrig, als mitzuziehen. Auf jedes Rechtsmittel ihres Ex muss sie antworten, um nicht ganz als Verliererin dazustehen. «Um meinen Unterhalt geht es ja schon lange nicht mehr. Aber wegen meiner Kinder kann ich nicht einfach aufhören.»

Nina von Erlach ist denn auch noch lange nicht so zermürbt, wie man es sich nach all den Jahren voller Streit, Unterhaltsberechnungen und Anwaltskorrespondenz vorstellen könnte. Sie arbeitet in einem 80-Prozent-Pensum, hilft Menschen, ihre Liegenschaften zu verkaufen – nicht selten, weil sie wegen einer Scheidung dazu gezwungen sind. Sie hat einen neuen Partner an ihrer Seite. Ihre Töchter seien – trotz allem – toll herausgekommen, sagt sie. 

Und um diese dreht es sich auch, wenn sie an die Zukunft und ihre Auseinandersetzung mit Roland denkt: «Ich hoffe, dass wir uns spätestens an der Hochzeit unserer Kinder wieder in die Augen blicken können.»

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