Miu Meierhofer sieht jünger aus, als sie ist. Sie ist etwas kleiner gewachsen als der Durchschnitt. Und sie hat asiatische Wurzeln. Das alles sollte eigentlich keine Rolle spielen bei einer Karriere als Professorin. Doch Meierhofer sagt: «Als Frau mit kleiner Körpergrösse wurde ich nicht ernst genommen. Ich wurde am Universitären Herzzentrum Zürich rausgemobbt. Wenn ich ein weisser Mann wäre, wäre mir das nicht passiert.»
In Wirklichkeit heisst die Zürcher Nachwuchsprofessorin anders. Sie ist eine Kardiologin mit steiler Karriere. Allein der Schweizerische Nationalfonds förderte sie in drei Programmen mit insgesamt 2,6 Millionen Franken. Steuergeld, notabene. Doch per Ende März hatte sie genug, kündigte ins Blaue hinaus. Ihr Berufsziel, dem sie seit 20 Jahren alles untergeordnet hatte, löste sich in Luft auf. Meierhofer wird wohl nie ordentliche Professorin werden.
Der Beobachter zeichnet ihren Fall mit Hilfe von Dokumenten nach.
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Das System mit der tröpfelnden Leitung
Meierhofers akademische Laufbahn endete abrupt, frühzeitig und erschreckend gewöhnlich. Meierhofer verliess die Wissenschaft angeblich freiwillig – wie viele Frauen an Universitäten. Und das hat System. An den Universitäten sinkt der Frauenanteil mit steigender akademischer Position. Je renommierter der Titel, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann ihn trägt. Das Phänomen ist längst nicht nur in der Schweiz ein Problem. Im Englischen gibt es einen Begriff dafür: «leaky pipeline» – tröpfelnde Leitung.
Dem Nationalfonds ist dieser akademische Aderlass seit Jahren bekannt. Um Frauen den Weg nach oben zu ebnen, erhielten sie zuletzt mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit wie Männer ein Karrierestart-Stipendium.
Der Nationalfonds ist eine der mächtigsten Institutionen in der Schweizer Wissenschaftswelt. Die Stiftung verteilt im Auftrag des Bundes jährlich eine Milliarde Franken Steuergeld an herausragende Forscherinnen und Forscher. Doch wenn eine mit Millionen geförderte Frau wie Meierhofer wegen Problemen am Arbeitsplatz aufgibt, interessiert das den Nationalfonds zunächst einmal nicht. Erst nach der Anfrage des Beobachters hat er Meierhofer zur Kündigung befragt.
Besser als 87 Prozent aller Nachwuchsforschenden
Meierhofer erhielt als eine von ganz wenigen ein Professorenstipendium des Nationalfonds. Um das Programm Eccellenza hatten sich 244 Forschende beworben, nur 32 wurden angenommen. Also bloss 13 Prozent.
Die Kardiologin mit Habilitation hätte fortan fünf Jahre lang ihr eigenes Forschungsteam leiten und ihr eigenes 1,6-Millionen-Franken-Budget verwalten können, sie hätte einen Professorentitel führen dürfen und den Lohn einer Assistenzprofessorin erhalten. An der Universität Zürich sind das 140’000 bis 160’000 Franken pro Jahr für eine Vollzeitstelle. Doch statt der vorgesehenen fünf Jahre blieb Miu Meierhofer nur eineinhalb. Von den zugesicherten 1,6 Millionen Franken an Forschungsgeldern verwendete sie nur rund 300’000 Franken – für ein unvollendetes Projekt.
Ihr Forschungsvorhaben war seinerzeit auch Professor Frank Ruschitzka aufgefallen. Er leitet das Herzzentrum des Universitätsspitals Zürich. Kardiologe Ruschitzka fand das Projekt von Meierhofer so gut, dass er sie kurzerhand dem Unispital Lausanne abwarb. Denn eigentlich hatte Meierhofer ihr Projekt dort umsetzen wollen. Meierhofer sagte zu, freute sich darauf, in Zürich zu forschen und zu operieren. Auch weil sie den Arbeitsort kannte. Sie hatte schon einmal mehrere Monate als Assistenzärztin am Herzzentrum des Zürcher Unispitals gearbeitet. «Damals war ich willkommen und integriert, alles lief problemlos», erinnert sie sich. Damals war sie aber auch ganz unten in der Hackordnung der streng hierarchischen Ärzteschaft.
Zurück kam sie nun aber mit einem Professorentitel. Meierhofer war damit in der Hierarchie plötzlich ziemlich weit oben. Und das, ohne sich dafür in Zürich hochgedient zu haben. Ihren Professorentitel hatte sie dem Nationalfonds zu verdanken – unabhängig von irgendwelchen Befindlichkeiten und Seilschaften am Unispital Zürich.
Monatelang durfte sie nicht operieren
Nach ihrer Rückkehr sollte alles anders sein. Ins Forschungslabor konnte Meierhofer erst zwei Monate nach ihrem ersten Arbeitstag einziehen. «Den Arbeitscomputer mit der nötigen Software habe ich erst acht Monate nach meinem Start erhalten.» Operieren durfte Meierhofer ebenfalls monatelang nicht. Ihre Spezialität ist es, Herzschrittmacher zu implantieren.
Als Meierhofer einen Fachartikel im angesehenen «European Heart Journal» publizierte, erhielt sie von einem leitenden Arzt eine nüchterne Gratulation und eine Ermahnung: «Gratuliere. Wäre sehr schön, wenn wir solche Artikel in Zukunft auch gemeinsam schreiben könnten. Ich bin ja der Leiter […]. Sonst macht das einen komischen Eindruck nach aussen.» Der leitende Arzt forderte, künftig bei allen Publikationen als Mitautor geführt zu werden. «Das war bei uns im Team über die letzten Jahre immer so, und wir sind damit gut gefahren», schrieb er. Meierhofer textete zurück: «Aber das widerspricht den Nationalfonds-Reglementen über die Autorschaft. Co-Autoren müssen ja wesentlich und inhaltlich zum Projekt beigetragen haben.» Der leitende Arzt meldete zurück, dass sich eine Co-Autorschaft regelkonform umsetzen lasse. Seinen Namen nennen wir aus juristischen Gründen nicht.
Nach diesem Disput verschlechterte sich das Verhältnis der beiden. Es kam zu weiteren Unstimmigkeiten im Team, es folgten mehrere Aussprachen. «Mein Vorgesetzter sah die Schuld bei mir», sagt Meierhofer. «Ich sei schüchtern und verschlossen, deshalb klappe die Zusammenarbeit nicht. Ich sei zu sensibel und solle mir ein dickeres Fell zulegen. Das Unispital sei kein Rosengarten.» Ein halbes Jahr nach Arbeitsbeginn war Krisensitzung mit Direktor Frank Ruschitzka. «Er hat zwar den leitenden Arzt kritisiert, der seinen Namen auf allen Papers sehen wollte. Aber er nahm ihn gleichzeitig in Schutz», sagt Meierhofer. «Ruschitzka begründete das Verhalten mit dessen ‹Alphapersönlichkeit› sowie ‹Testosteron› und betonte seine Freundschaft mit ihm. Er meinte, dass kein Fehlverhalten vorliege.»
Mobbing lässt sich oft nicht zweifelsfrei belegen. In der Fachliteratur heisst es, Mobbing sei nie auf eine einfache Ursache-Wirkung-Kette zurückzuführen. Bestimmte strukturelle, soziale und personenbezogene Faktoren erhöhten die Wahrscheinlichkeit, dass Mobbing entstehe. Wenn Täter mit ihrem Verhalten konfrontiert werden, steht zudem häufig Aussage gegen Aussage. Oder es kommt zu einer Täter-Opfer-Umkehr. Meldeverfahren enden deshalb nicht selten ergebnislos oder werden gar nie angestrengt. Denn wenn sich Betroffene melden, bedeutet das nicht zwingend, dass die Organisation sie schützt und das Mobbing stoppen kann. Immer wieder kommt es stattdessen zu unfreiwilligen Abgängen von eigentlichen Opfern.
Das Unispital Zürich sagt zu den detaillierten Vorwürfen, dass die leitenden Ärzte und Professoren sowie Klinikdirektor Ruschitzka «einen eindeutig konträren Blick auf den Sachverhalt zeigen und die Vorwürfe entschieden zurückweisen». Das habe eine interne Analyse ergeben. Die Vorgesetzten hätten die Anliegen von Miu Meierhofer sehr ernst genommen und gemeinsam einen Plan erstellt, sie besser in die Klinik einzubinden. Man nehme das Thema Mobbing und Diskriminierung ernst, schreibt der Sprecher des Unispitals. Doch Meierhofer habe sich nie an die Anlaufstelle für Mobbing oder den Personaldienst gewandt. Das ist richtig. Doch dafür gibt es gemäss Meierhofer einen Grund.
Der Hilferuf
Ende März 2023, nach zwei Gesprächen in Anwesenheit des Direktors Ruschitzka, wandte sich Meierhofer an den Nationalfonds. An jene Stelle also, die ihre Karriere von Anfang an gefördert hatte – auch mit sehr viel Geld. In ihrer Mail spricht sie auch die vermeintlichen Lösungsansätze ihrer Vorgesetzten an: «Ich bin wiederholt Anfeindungen und Ausgrenzungen durch Kollegen der kardiologischen Abteilung des Universitätsspitals Zürich ausgesetzt gewesen. Die Kommunikation ist feindselig und unethisch.»
Es habe zwar Gespräche gegeben mit dem Ziel, eine gemeinsame Basis zu finden, doch «ich bezweifle ehrlich gesagt, dass eine gesunde Beziehung am Arbeitsplatz wiederhergestellt werden kann». Meierhofer beschreibt, wie sehr sie sich überwinden müsse, die Mail abzuschicken. «Ich habe ein ungutes Gefühl bezüglich der Auswirkungen auf meine Karriere.»
Die Vertrauensperson des Nationalfonds schrieb ihr, der Nationalfonds könne nur über das weitere Vorgehen beraten und nicht direkt untersuchen. Sie müsse entweder das Universitätsspital wechseln oder die Probleme der Beratungs- und Schlichtungsstelle für die Mitarbeitenden der Universität Zürich melden. Meierhofer schrieb zurück: «Zum ersten Mal fühle ich mich gehört und ernst genommen. Dafür kann ich Ihnen nicht genug danken.» Sie sah aber keinen Sinn darin, sich an eine interne Stelle zu wenden. Sie hatte ja bereits eine Aussprache mit dem Klinikdirektor gehabt. «Wie könnte mir eine Vertrauensperson der Universität da noch helfen?» Meierhofer nahm sich stattdessen vor, eine neue Forschungsstätte zu suchen, wo sie mitsamt ihrem Professorenstipendium hingehen könnte.
Doch vom grössten Problem wusste sie da noch nichts.
Konflikt wegen der Gendermedizin-Professorin
Im Juli 2023 schlugen die Forschenden des Unispital-Labors Alarm wegen der neuen Professur für Gendermedizin. Wenn die neue Professorin ebenfalls ins Labor einziehe, gebe es zu wenig Platz für die angestammten Forscherinnen und Forscher, kritisierten sie. Führungspersonen warnten die Universitätsleitung explizit davor, dass etwa Eccellenza-Professorin Meierhofer wegen Platzmangels keine Mitarbeiterinnen für ihr Forschungsprojekt einstellen könnte. Unterzeichnet hat das Schreiben auch Klinikdirektor Ruschitzka.
Meierhofer verlor wegen der Gendermedizin-Professorin ihre Laborräume. Sie erhielt in der Folge zwar vage Versprechungen zu möglichen neuen Laborflächen. Doch das half ihr wenig. Vier Monate vor dem Stichtag lagen noch immer keine konkreten Angebote vor. «Im Januar 2024 kündigte ich, weil ich keinen Ausweg mehr sah.»
Die Universität Zürich schreibt, dass es aufgrund von Neuberufungen immer wieder zu Raumumteilungen komme. «Es gibt keine Besitzstandswahrung.» Alle Forschenden des Labors seien betroffen gewesen, und Meierhofer seien «aktiv andere Räumlichkeiten angeboten worden». Man habe alle Forschenden «auf die Möglichkeit» hingewiesen, dass «zukünftig» zusätzliche Räume gemietet würden. Bereits im Juli 2023 sei ein Antrag für zusätzliche Forschungsfläche gestellt worden, damit ab Anfang 2025 neue Labors zur Verfügung stehen würden. Die Behauptung, dass Forschende keine Forschungsfläche mehr gehabt hätten wegen des neuen Gendermedizin-Lehrstuhls, sei haltlos, schreibt die Universität. Zudem habe die Direktorin Universitäre Medizin der Universität Zürich eine angemessene Unterbringung der Eccellenza-Professorin angeordnet. Meierhofer sagt: «Ich wurde immer im Ungewissen gelassen, ob und welche Labor-Anschlusslösung es geben würde. Es fand keine Kommunikation dazu statt.»
Als Meierhofer kündigte, habe ihr der stellvertretende Dekan angeboten, dass er eine Anschlusslösung suche, wenn sie die Kündigung zurückziehe. «Das wollte ich aber nicht mehr, dafür war schon zu viel passiert», sagt Meierhofer.
Die Universität Zürich schreibt, es sei «sehr bedauerlich, wenn sich eine vielversprechende, ambitionierte Forscherin auf dem Karriereweg entscheidet, auszusteigen». Man wolle aus dem Fall lernen und bei der Umsetzung einer Raumreorganisation besser kommunizieren und den Informationsfluss zu den Betroffenen verbessern.
Das Unispital Zürich schreibt hingegen, es gebe keinen Anlass, aufgrund von Meierhofers Kündigung die Strukturen am Herzzentrum zu untersuchen oder sonst wie tätig zu werden. Der Fall zeige kein Frauenförderungsproblem auf. Der Frauenanteil unter den Klinikdirektoren und leitenden Ärztinnen sei in den vergangenen Jahren um wenige Prozentpunkte gestiegen und betrage nun 23 bis 26 Prozent. «Die Nachwuchsförderung im mittleren Kader zeigt positive Wirkungen.»
Die Klinik für Kardiologie erreiche mit einem Frauenanteil von 27 Prozent auf Stufe der leitenden Ärzteschaft beinahe das Unternehmensziel von 33 Prozent.
Der Nationalfonds hatte von Professorin Meierhofer im Januar ein ausführlich begründetes Kündigungsschreiben erhalten und darauf bis zur Beobachter-Anfrage nie reagiert. «Tatsächlich wäre es angemessen gewesen, uns bei ihr zu melden», schreibt die Stiftung des Bundes. Man bedaure die Kündigung, habe die Professorin aber vorher beraten. Grundsätzlich sei im Kodex zur wissenschaftlichen Integrität klar geregelt, dass bei einem Arbeitskonflikt die Universitäten zuständig seien.
Miu Meierhofer sagt: «Ich bin desillusioniert und enttäuscht. Es belastet mich, wie meine langjährige akademische Karriere abrupt enden musste. Das ist bitter.» Seit kurzem arbeitet sie als Kardiologin in einer Praxis. Und hofft, dass sie hier nach ihrer Leistung bewertet wird. Ohne Vorurteile.