«Es ist eine unmenschliche Verhandlung»
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Geschäftsführer Bringhen:«Es ist eine unmenschliche Verhandlung»

Jean-Pierre Bringhen kämpft seit zwölf Jahren gegen die Wettbewerbskommission
«Mit dieser Hypothek kann ich die Firma nicht an meine Nachfolger übergeben»

Unternehmer Jean-Pierre Bringhen wehrt sich seit über zwölf Jahren gegen die Wettbewerbskommission. Nun hofft er auf eine Anpassung im Kartellgesetz. «Gegen die übermächtige Weko hat man als KMU heute keine Chance», so Bringhen. Die Weko hält dagegen.
Publiziert: 19.02.2024 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 19.02.2024 um 13:42 Uhr
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Jean-Pierre Bringhen kämpft seit über zwölf Jahren gegen die Weko.
Foto: ANDREA SOLTERMANN
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Martin SchmidtRedaktor Wirtschaft

Der 22. November 2011 hat Jean-Pierre (67) Bringhen bis heute verändert. Morgens um 8 Uhr tauchen plötzlich acht Untersuchungsbeamte und zwei bewaffnete Polizisten im Büro der Bringhen AG in Visp VS auf. Zur gleichen Zeit werden die Büros von vier anderen Sanitärgrosshändlern sowie jene des Schweizerischen Grosshandelsverbands der Branche durchsucht. Der Verdacht: illegale Preisabsprachen. 

Jean-Pierre Bringhen wird bis 21 Uhr am Abend festgehalten und verhört. Er wird dazu gedrängt, zu gestehen. Er weigert sich. Ist sich keines Fehlers bewusst. Dann taucht einer der Beamten euphorisch mit einer Mappe mit der Aufschrift «Kartell» auf. Doch die Freude ist verfrüht. Es handelt sich um den Katalog für ein Sanitärprodukt mit eben diesem Namen. So erinnert sich Bringhen beim Treffen mit Blick an den besagten Tag.

Millionen-Hypothek für Nachfolger?

Im Sommer 2015 fällt die Wettbewerbskommission (Weko) ihr Urteil: Die Firmen hätten sich bei preisbestimmenden Faktoren wie Bruttopreisen, Rabatten, Rabattkategorien oder Transportkosten abgesprochen. Die Busse hat es in sich: Acht Firmen und der Verband werden zur Zahlung von 80 Millionen Franken verdonnert. Das lassen die Betroffenen nicht auf sich sitzen. Allesamt ziehen sie vors Bundesverwaltungsgericht, wo die Fälle seither hängig sind. Blick liegen mehrere Hundert Seiten zum Streitfall, der ganze Ordner füllt, vor.

Die Millionen-Busse hängt wie ein Damoklesschwert über der Bringhen AG. «Ich kann meine Nachfolge nicht regeln, wenn ich nicht weiss, ob ich der nächsten Generation eine solche Hypothek hinterlasse», sagt der 67-Jährige. «Sollte das Weko-Urteil rechtskräftig werden, müsste ich womöglich zahlreiche Mitarbeiter entlassen», sagt er konsterniert. Die Firma beschäftigt schweizweit gut 400 Angestellte an 15 Standorten.

Die Grosshändler bieten zu einem grossen Teil die gleichen Produkte an. Deshalb habe man sich auf einen Einheitskatalog mit Bruttopreisen geeinigt, sagt Bringhen. «Der Druck eines eigenen Katalogs würde eine Firma rund 300’000 Franken kosten.»

Die Sanitärgrosshändler argumentieren, dass sie auf diese Preise in ihren Offerten Rabatte geben – so entstehe Konkurrenz. 2006 hiess die Weko dieses System in einer Vorabklärung noch gut, wie ein Dokument zeigt. Fünf Jahre später folgt die Razzia.

Bringhen fordert Anpassungen im Kartellgesetz

Was Bringhen besonders sauer aufstösst: «Die Weko hat die Beweislast komplett umgedreht. Es wurde nicht geprüft, ob die Firmen am Ende unterschiedliche Preise offerieren. Die Tatsache, dass einheitliche Bruttopreise existieren, reicht als Beleg.» Bringhen fordert eine Anpassung des Kartellgesetzes. «Die Weko muss klar nachweisen, dass Absprachen wirklich umgesetzt wurden und eine schädliche Wirkung haben. Bei der aktuellen Weko-Praxis ist für KMU jede Koordination über Verbände eine Gefahr.» 

Bringhen will seine Unschuld beweisen und gibt zwei Gutachten in Auftrag. 2014 nimmt Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger (62) von der Universität Freiburg den Markt der Sanitär-Grosshändler unter die Lupe. Er kommt zum Schluss, dass die Weko «keine überzeugenden und nachvollziehbaren (...) Begründungen für wettbewerbsschwächendes Verhalten der Santitärgrosshändler erbracht hat». Er findet es paradox, dass die Weko Preisunterschiede anhand der Brutto- und nicht der Nettopreise analysierte.

Wird die Weko zum «stumpfen Messer»?

In der Ständeratskommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) geht es am Montag erneut um die Teilrevision des Kartellgesetzes. Vielen Parlamentarier gehen die Kompetenzen der Wettbewerbskommission (Weko) zu weit. Sie wollen die Zeit zurückdrehen. Und zwar bis vor dem Jahr 2017.

Damals hat die Weko ihre Praxis an einen Leitentscheid des Bundesgerichts angepasst, wonach harte Absprachen wie über Preise oder Vertriebsgebiete grundsätzlich als erheblich gelten. Diese Verschärfung könnte gemäss Vorschlag des Bundesrats nun rückgängig gemacht werden.

Demnach müsste die Weko künftig auch in Fällen von harten Abreden quantitative Kriterien wie die Marktanteile der involvierten Unternehmen prüfen.

Frank Stüssi (52), Vize-Direktor der Weko hält den Vorschlag des Bundesrats für ausgewogen. Doch es gibt auch Bestrebungen, die Zeit deutlich weiter zurückzudrehen. «Soweit jedoch verlangt wird, dass die Weko konkrete schädliche Auswirkungen von Kartellen auf den wirksamen Wettbewerb nachweisen muss, würde das Kartellgesetz zum stumpfen Messer und wir wären zurück in den 90er Jahren.» Heute muss die Weko im Grundsatz das Schädigungspotenzial darlegen.

Stüssi nennt ein Beispiel: Im Kanton Graubünden hat die Weko Abreden aufgedeckt, die sich auf über 1000 Bauprojekte erstreckten. Mehrere Bauunternehmen gaben zu, dass das Ziel dieser Abreden in höheren Preisen lag. Es gab aber keine Daten dazu, zu welchen Preisen offeriert worden wäre, wenn sich die Unternehmen nicht abgesprochen hätten. Müsste die Weko die Wirkung nachweisen, hätte sie die schädliche Abrede nicht verbieten können.

In 20 Entscheiden konnte die Weko nur in einem Fall im Tessin die konkreten Auswirkungen aufzeigen. Dort sprachen sich rund 18 Strassenbaufirmen während Jahren bei rund 200 Bauprojekten ab. «Nach Kartellende fielen die Offertenpreise um über 30 Prozent», sagt Stüssi.

In der Ständeratskommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) geht es am Montag erneut um die Teilrevision des Kartellgesetzes. Vielen Parlamentarier gehen die Kompetenzen der Wettbewerbskommission (Weko) zu weit. Sie wollen die Zeit zurückdrehen. Und zwar bis vor dem Jahr 2017.

Damals hat die Weko ihre Praxis an einen Leitentscheid des Bundesgerichts angepasst, wonach harte Absprachen wie über Preise oder Vertriebsgebiete grundsätzlich als erheblich gelten. Diese Verschärfung könnte gemäss Vorschlag des Bundesrats nun rückgängig gemacht werden.

Demnach müsste die Weko künftig auch in Fällen von harten Abreden quantitative Kriterien wie die Marktanteile der involvierten Unternehmen prüfen.

Frank Stüssi (52), Vize-Direktor der Weko hält den Vorschlag des Bundesrats für ausgewogen. Doch es gibt auch Bestrebungen, die Zeit deutlich weiter zurückzudrehen. «Soweit jedoch verlangt wird, dass die Weko konkrete schädliche Auswirkungen von Kartellen auf den wirksamen Wettbewerb nachweisen muss, würde das Kartellgesetz zum stumpfen Messer und wir wären zurück in den 90er Jahren.» Heute muss die Weko im Grundsatz das Schädigungspotenzial darlegen.

Stüssi nennt ein Beispiel: Im Kanton Graubünden hat die Weko Abreden aufgedeckt, die sich auf über 1000 Bauprojekte erstreckten. Mehrere Bauunternehmen gaben zu, dass das Ziel dieser Abreden in höheren Preisen lag. Es gab aber keine Daten dazu, zu welchen Preisen offeriert worden wäre, wenn sich die Unternehmen nicht abgesprochen hätten. Müsste die Weko die Wirkung nachweisen, hätte sie die schädliche Abrede nicht verbieten können.

In 20 Entscheiden konnte die Weko nur in einem Fall im Tessin die konkreten Auswirkungen aufzeigen. Dort sprachen sich rund 18 Strassenbaufirmen während Jahren bei rund 200 Bauprojekten ab. «Nach Kartellende fielen die Offertenpreise um über 30 Prozent», sagt Stüssi.

«Es gab keine Beweislastumkehr»

Zwei Jahre später durchforstet der emeritierte Wirtschaftsprofessor der ETH Zürich Bernhard Plattner (73) die Aktenschränke bei der Bringhen AG. «Die Weko hat die Datenbank der Bringhen AG nie untersucht und kommt zu Schlüssen, die nicht zutreffen und somit auf unbewiesenen Behauptungen basieren», so sein Ergebnis. 

Die Behörde hält dagegen. «Ein Blick in die 700 Seiten umfassende Verfügung der Weko zeigt, dass sie die Abreden und deren Umsetzung beweisen konnte. Es gab keine Beweislastumkehr», betont Frank Stüssi (52), Vize-Direktor der Weko. Beispielsweise hätten die Firmen vereinbart, dass sie die Euro-Preise der Produkte anstatt zum damaligen Euro-Kurs von 1.20 zu einem fiktiven Euro-Kurs von 1.60 umrechnen, was zu entsprechend teureren Preisen in der Schweiz geführt habe. 

«Keine überhöhten Gewinne»

Bringhen sagt, das sei der springende Punkt. «Die Katalogpreise einschliesslich Eurowechselkurs sind letztlich Bruttopreise, die bei der tatsächlichen Preisgestaltung gegenüber den Endkunden keine Rolle spielen.» Deshalb kann er mit der Argumentation der Weko nichts anfangen: «Im Bericht steht auch, dass den Firmen keine überhöhten Gewinne nachgewiesen werden konnten. Das passt doch nicht zusammen.»

An diesem Montag wird Bringhen von der Ständeratskommission für Wirtschaft und Abgaben (Wak) in Bern angehört. Dort will er sich für eine Anpassung der heutigen Weko-Praxis starkmachen. 

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