Einmal im Jahr hält George Soros (89) in der Schweiz Hof. Wenn das Finanzorakel Ende Januar in Davos GR am WEF jeweils zur Audienz bittet, sind die Reihen gut gefüllt. Alle hängen an seinen Lippen, auch wenn es von Jahr zu Jahr schwieriger wird, seinen Ausführungen zu den Märkten und der Weltwirtschaft zu folgen.
Soros wird von Anhängern als Investorenlegende und Wohltäter verehrt, während Gegner ihn als rücksichtslosen Finanzhai und Strippenzieher charakterisieren. Der Staranleger, Multimilliardär und Philanthrop bleibt auch im hohen Alter sehr umstritten.
Er zwang die Bank von England in die Knie, forderte Deutschland zum Euro-Austritt auf und warnte die Welt vor Donald Trump. George Soros, der Altmeister unter den Finanzspekulanten, wird am 12. August 90 Jahre alt.
Über UK in die USA ausgewandert
Der Starinvestor gilt als eine der erfolgreichsten, aber auch umstrittensten Grössen der Finanzwelt. Als abgezockter Anlagestratege spekulierte er im grossen Stil gegen ganze Volkswirtschaften, als Philanthrop spendet er immense Summen. Und immer wieder mischt er sich in politische Diskussionen ein.
Der 1930 in Budapest geborene Hedgefonds-Manager, der 1947 zunächst nach Grossbritannien und 1956 in die USA auswanderte, polarisierte etwa in der Euro-Krise mit dem Vorschlag, dass Deutschland und nicht das hoch verschuldete Griechenland den Währungsraum verlassen solle. «Europa spart sich kaputt, anstatt auch etwas fürs Wachstum zu tun», echauffierte sich Soros damals. Schuld seien die «Bürokraten bei der Bundesbank» mit ihrem Stabilitäts- und Ordnungsfimmel.
«Trump ist ein Betrüger»
In den vergangenen Jahren meldete sich Soros kontinuierlich mit Warnrufen gegen nationalistische Tendenzen zu Wort. An US-Präsident Trump und auch Chinas Staatspräsident Xi Jinping etwa liess er kein gutes Haar. Die beiden versuchten, ihre Macht bis an die Grenzen und darüber hinaus auszudehnen. «Präsident Trump ist ein Betrüger und ein ultimativer Narzisst, der will, dass sich die Welt um ihn dreht», sagte Soros im Januar 2020 beim Weltwirtschaftsforum in Davos.
Doch selbst wenn die Stimme des New Yorker Multimilliardärs in der Öffentlichkeit Gehör findet – Gewicht hat Soros' Wort selten. Denn ihm hängt auch im fortgeschrittenen Alter als Fondsmanager im Ruhestand stets sein Image als abgebrühter Spekulant nach. Nie weiss man so recht, welcher Finanzwette seine «Ratschläge» und Meinungsbeiträge gerade dienen. Angesichts der Coups, auf denen sein Ruf als Investorenlegende beruht, ist das auch kein Wunder.
Ratgeber und Abkassierer
1992 spekulierte Soros erfolgreich gegen das britische Pfund. Er machte ein Vermögen, weil Grossbritannien unter dem Druck der Finanzmärkte nachgab und seine Währung aus dem europäischen System fester Wechselkurse löste. Soros schrieb Finanzgeschichte als «der Mann, der die Bank von England knackte». Mit seinen Hedgefonds fuhr Soros jahrzehntelang traumhafte Renditen ein, wenngleich die Methoden nicht nur bei seinen Währungswetten mitunter umstritten waren.
Vor allem beim Thema Europa wurden Soros' Rollenkonflikte immer wieder deutlich. Der Geschäftsmann auf der Jagd nach Rendite und der altersweise Weltmann, der Regierungen mit Rat und Tat zur Seite stehen will – das passt nur begrenzt unter einen Hut. So stellte Soros einerseits lautstark Überlegungen an, in Griechenland oder in kriselnde Banken im Euroraum zu investieren. Dann tat er sich als Bedenkenträger hervor, Europa könne an Einzelinteressen und mangelnder Unterstützung für Schuldenstaaten zugrunde gehen.
Spekulant mit philosophischem Ansatz
Soros selbst beteuert indes immer wieder, der schnöde Mammon interessiere ihn bestenfalls am Rande. Vielmehr sieht sich der Geldguru, dessen Vermögen «Forbes» zuletzt auf 8,6 Milliarden Dollar (7,85 Milliarden Franken) schätzte, der Philosophie verpflichtet. Er sehnt sich danach, auf diesem Feld ernst genommen zu werden. Doch das wollte bislang nicht so recht gelingen. So viele Bücher mit Soros' teilweise recht abstrakten Gedanken auch auf den Markt kommen – den Erfolg als Spekulant hat er als Autor noch nicht ansatzweise erreicht.
Im Gegenteil: Soros' «Reflexivitätstheorie» etwa, mit der er nicht weniger als die ganze Welt erklären zu können glaubte, wurde in Fachkreisen eher belächelt. Sein fieberhafter Versuch, sich als Vordenker und grosser Theoretiker in der Tradition des von ihm hochverehrten Philosophen Karl Popper (1902–1994) einen Namen zu machen, brachte wenig Lorbeeren ein. Dafür ist der Grossanleger, wie viele andere Superreiche in den USA, für sein gönnerhaftes Mäzenatentum bekannt.
Wohltäter in der alten Heimat
Als US-Amerikaner mit ungarischer Herkunft legt Soros grossen Wert auf seine europäischen Wurzeln. Über Osteuropa schüttet der Philanthrop schon seit Jahrzehnten ein Füllhorn aus – bereits Anfang der 1990er-Jahre entschied er sich, seinen Reichtum für humanitäre Zwecke im ehemaligen Ostblock einzusetzen. Jahr für Jahr spendet Soros Milliarden an diverse Einrichtungen und Organisationen.
Dies sorgt jedoch auch für viel Argwohn. Kritiker nehmen ihm den Wohltätigkeitsgedanken nicht ab und sehen Soros als eine Art graue Eminenz im Hintergrund, die mit enormem Finanzaufwand Einfluss kauft. Im Internet ranken sich zahlreiche Verschwörungstheorien um Stiftungen und Initiativen von Soros, die Rechtspopulisten helfen, ihn zur Zielscheibe zu machen. US-Präsident Donald Trump (74) etwa stellte Soros in seiner Wahlkampfwerbung 2016 als Sinnbild einer korrupten Finanzelite dar, obwohl sein Finanzminister Steven Mnuchin (57) und Soros als frühere Geschäftspartner eine enge Verbindung zueinander haben. (koh)