«Die Schweiz ist noch keine Startup-Nation!»
SonntagsBLICK: Herr Noser, sind wir kreativ genug im Vergleich zur Startup-Szene in den USA oder Europa?
Ruedi Noser: Das ist nicht das Problem. Startup-Ideen gibt es genug.
Was ist dann das Problem?
Wir haben die erste Halbzeit gegen die USA verloren. Und ohne einen grossen Effort ist das nicht mehr aufzuholen.
Das heisst?
Wir müssen die administrativen Hürden weiter senken. An den ETHs ausgebildete Experten aus Drittstaaten sollten nach Abschluss des Studiums eine Arbeitsbewilligung bekommen, statt einfach weggeschickt zu werden. Andere Länder haben Startup-Visa. Und auch die Steuerfrage für Jungunternehmer ist nicht befriedigend gelöst. Kurz: Wir sind noch keine Startup-Nation. Unternehmer zu sein, ist bei uns kein erstrebenswertes Ziel. Vielleicht, weil meist fast Vollbeschäftigung herrscht.
Fehlt es da am unternehmerischen Spirit?
Das ist schon so – und das nicht nur auf der behördlichen Seite. Startups werden zwar oftmals in der Schweiz gegründet, die grosse Kommerzialisierung findet dann aber im Ausland statt.
Woran liegt das?
Weil in der Schweiz zwar Risikokapital in die Gründungsphase fliesst, viel weniger aber wenn es gilt, Produkte oder Dienstleistungen in den Markt zu drücken. Das ist fatal, weil uns etwa New York und London Konkurrenz machen. Sie sind auch im FinTech-Bereich stark aktiv und ähnlich breit aufgestellt.
Was würde helfen?
Wir benötigen leuchtende Beispiele von Startups, die international den Durchbruch schaffen. Und viel Zeit haben wir nicht mehr. Die zweite Halbzeit dauert bis 2020. Dann ist das Spiel vorbei.
Unternehmerische Explosion
Der «Economist», sonst dem britischen Understatement verpflichtet, sieht unseren Planeten mitten in einer «kambrischen Explosion» – eine Anspielung auf jene grauen Urzeiten, als die Artenvielfalt auf der Erde exponentiell zunahm. Was damals die Biologie bewirkte, seien heute Computer und Internet: «Im virtuellen Raum findet eine unternehmerische Explosion statt», urteilt das Wirtschaftsmagazin aus London. «Digitale Startups schiessen in einer erstaunlichen Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen aus dem Boden und penetrieren an allen Ecken und Enden unsere Wirtschaft.»
Ökosysteme voller Startups von mittlerweile respektabler Grösse existieren im kalifornischen Silicon Valley, im Grossraum New York, in London, Berlin oder auch Tel Aviv – und in Zürich. Aber wo genau stehen die Schweizer in diesem internationalen Kontext? Gehen Sie mit SonntagsBlick auf eine Tour d’horizon.IMAGE-ERROR
Silicon Valley: Das Original
Das «Silicium-Tal», seit sechs Jahrzehnten ein Hotspot für Innovation, umfasst den südlichsten Teil der von der Sonne gesegneten San Francisco Bay Area. Es begann in den 50er-Jahren mit dem Nasa-Forschungszentrum Ames Research Center, dem Luft- und Raumfahrtkonzern Lockheed und mit Hewlett-Packard. In den 80er-Jahren folgte die Halbleiterindustrie, mit Apple die PC-Industrie, ab den 90er-Jahren die Internetfirmen wie Netscape oder Google. Jetzt rollt die fünfte Innovationswelle:
Social Media mit Linkedin oder Facebook. Von schnell wachsenden Technologiefirmen ging in den vergangenen 15 Jahren ein substanzieller Teil des Wirtschafts- und Jobwachstums aus. Allein das Trio Apple, Google und Facebook verfügt über eine Marktkapitalisierung von 1,5 Billionen Dollar und beschäftigt mehr als 165'000 Menschen.
Zum Vergleich: Der weltweit grösste Nahrungsmittelkonzern Nestlé hat doppelt so viele Mitarbeiter, erreicht aber nur einen Siebtel dieser Marktkapitalisierung. Nirgends gibt es auf engerem Raum mehr Startups (rund 19'000), Hightech-Workers (über zwei Millionen), Risikokapital: 45 Prozent der Investitionen der 20 weltweit wichtigsten Hightech-Standorte werden hier getätigt. Und auch die sogenannte Lean-Startup-Methode ist hier entwickelt worden – mit möglichst wenig Kapital und reduzierten Prozessen einen erfolgreichen Produkt-Launch zu starten, also Prototypen oder Beta-Versionen ohne lange Konzipierung auf den Markt zu bringen. Das macht das Silicon Valley selber zum Prototyp, dem die anderen Hightech-Ökosysteme nacheifern, auch wenn längst nicht alle Probleme unter der Sonne Kaliforniens gelöst sind.IMAGE-ERROR
New York: Nummer 2
«New York City», urteilt der Blog InternetInnovators.com, «wandelt sich immer mehr zum grossen Star unter den Startup-Hotspots.» Direkt hinter dem Valley wird es heute bereits als weltweit zweitwichtigstes Gründerzentrum angesehen: Zwischen 2003 und 2013 schnellten hier die Investitionen in den Tech-Sektor um 240 Prozent in die Höhe, ein Wachstum, etwa doppelt so hoch wie im Valley. Was der Welt zeigt: Das kalifornische Mekka liegt keineswegs unerreichbar in Führung. New York City, das zweitstärkste Startup-Ökosystem der Welt, zählt inzwischen knapp 10'000 Neugründungen. Die Zahl der Hightech-Jobs hat nach einer Studie der Startup Compass Inc. seit 2008 um 40 Prozent zugenommen; das Wachstum am Hudson River liegt damit sogar leicht höher als in Kalifornien. Im Fokus der New Yorker Startups stehen vor allem Dienstleistungen in Marketing und Verkauf – mit einem lokalen Bruttoinlandprodukt von 1,5 Milliarden Dollar ist die Stadt auch ein Hotspot des Konsums.
London – Europas Platzhirsch
Aus US-Sicht ist London so etwas wie die Kultur- und Business-Hauptstadt der Alten Welt – das Gleiche gilt für das Tech-Ökosystem an der Themse: Über 5000 Startups haben sich hier angesiedelt, so viele wie in keinem anderen Hotspot Europas. Kein Wunder: Hier gibt es konsumfreudige Menschen und starke Unternehmen, genügend Risikokapital und das ehrgeizige staatliche Förderprogramm Tech City, laut dem die Informations-Technologie in ganz England über 1,5 Millionen Jobs und ein 2,8-mal höheres Jobwachstum geschaffen hat als in konventionellen Industrien. Schnell wachsende Startups befeuern Medien, Mode, E-Commerce und – dank des starken Finanzplatzes – vor allem den Bereich FinTech. Regulatoren und Regierung wollen London zum weltweit führenden Hotspot für FinTech-Startups ausbauen.IMAGE-ERROR
Berlin holt auf
Kein anderes Startup-Ökosystem in Europa wächst derzeit schneller als die Szene in Berlin. «Alle 20 Stunden», schreibt der örtliche «Tagesspiegel», werde an der Spree ein neues Startup gegründet. Lange Zeit war das in Berlin Mitte und in Kreuzberg angesiedelte Startup-Ökosystem einfach nur hip, doch allein im Jahr 2014 flossen 2,2 Milliarden Dollar Wagniskapital in die deutsche Hauptstadt – erstmals mehr als nach London. Inzwischen sind rund ums Brandenburger Tor bis zu 3000 Tech-Firmen angesiedelt; das Beratungsunternehmen McKinsey prophezeit, dass hier bis 2020 rund 40'000 neue Jobs geschaffen werden könnten. Der Schwerpunkt liegt freilich noch immer in relativ eindimensional tätigen Startups im Bereich E-Commerce.IMAGE-ERROR
Tel Aviv: Nährboden für Spitzentechnologie
«Tel Aviv», so schrieb die «New York Times» bereits 2010, «zählt weit mehr Hightech-Startups pro Kopf der Bevölkerung als jedes andere Land der Welt.» Das militärisch stets bedrohte, hochgerüstete Land ist ein guter Nährboden für Startups der Spitzen- und Kommunikationstechnologie, reichlich gesegnet mit Risikokapital sowie dem «Silicon Wadi» einem Technologie-Cluster, den der «Economist» als «Land aus Milch und Startups» beschreibt. «Silicon Wadi» geniesst auch staatliche Förderung: Um ausländische Unternehmer und Investoren anzulocken, haben die Immigrationsbehörden inzwischen ein sogenanntes Startup-Visum entwickelt.
Grossraum Zürich ohne internationale Ausstrahlung
«Startup-Ideen», so Ruedi Noser, Mitinitiant von DigitalZurich2025 «gibt es genug».
Auch zeigt der eben veröffentlichte Swiss Venture Capital Report, dass im vergangenen Jahr in 120 Finanzierungsrunden von in- und ausländischen Risiko-Kapitalgebern die Rekordsumme von rund 676 Millionen Franken in Schweizer Startups geflossen ist – eine Steigerung von rund 48 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Allerdings flossen rund 80 Prozent dieser Mittel in lediglich zwei Branchen: in Bio-/Medizinal- sowie in Informations- und Kommunikationstechnologie (ITC). Der Grossraum Zürich und damit die Schweiz sind noch weit davon entfernt, eine «international sichtbare Startup-Nation zu sein», urteilen die Autoren des «Swiss Entrepreneurial Ecosystem Report 2015/16». Bestpractise-Beispiele von global erfolgreichen Startups fehlen; das Risikokapital fliesst in hohem Masse in die Gründungsphase der Jungunternehmen, kaum aber in die zweite Lebensphase: Wenn es gilt, marktfähige Dienstleistungen und Produkte in grossem Stil zu kommerzialisieren, geschieht dieser Schritt oftmals ausserhalb des Landes.
Hinzu kommen regulatorisch-behördliche Hürden: Anstellungen von Experten aus Drittstaaten sind einer strengen Kontingentierung unterworfen, und selbst die kürzlich beschlossenen Steuererleichterungen für Jungunternehmer im Kanton Zürich sind für Noser «nur ein erster Schritt in die richtige Richtung». IMAGE-ERROR
Das Beratungsunternehmen Roland Berger urteilt, in der Finanzbranche seien «die Schweizer FinTech-Hubs noch weit entfernt von einer international führenden Position».