Ernst S.* (75) hat eine neue Hoffnung gefunden. 2019 wurde dem Winterthurer nach einer Krebsdiagnose die Prostata entfernt. Die schlechte Nachricht: Der Krebs hatte bereits gestreut. Es folgten Bestrahlung, Chemotherapie und eine hormonelle Behandlung – mit mässigem Erfolg. Heute ist Ernst S. zwar nicht geheilt, aber beschwerdefrei. «Ich gehe zu Fuss regelmässig über zwei Kilometer in meinen Garten», erzählt der 75-jährige Krebspatient, als Blick ihn in seinem Zuhause in Winterthur-Wülflingen besucht. «Pünten heissen die bei uns in Winterthur, nicht Schrebergärten, wie in Zürich!»
Dass Ernst S. trotz Krebs schmerz- und beschwerdefrei lebt, hat er einer neuartigen Behandlungsmethode zu verdanken: der Radioliganden- oder PSMA-Therapie. Bei dieser Anwendung wird den Patienten ein radioaktives Mittel intravenös verabreicht. Die Radioaktivität dockt an die Krebszellen an und führt zum Zelltod, ohne den Rest des Körpers in Mitleidenschaft zu ziehen, wie dies etwa bei einer Chemotherapie der Fall ist.
Im Vergleich zur externen Radiotherapie wird der Patient bei der Radioligandentherapie nicht von aussen mit radioaktiver Strahlung beschossen. Stattdessen kommt sie zielgerichtet innerhalb des Körpers zum Einsatz: Ein Molekül, der sogenannte Radioligand, ist der Träger für das strahlende Radio-Isotop. Der Radioligand bringt die Strahlung an die Krebszellen und dockt dort an ein spezifisches Protein an. Die Strahlung sorgt für den Zelltod.
Die Nebenwirkungen auf das umliegende Gewebe sind minimal – die Wirkung auf den Tumor hingegen maximal. Im Vergleich dazu zerstören externe Bestrahlung oder Chemotherapie auch Normalgewebe und führen dadurch zu Langzeitschäden.
Ein weiterer Vorteil der Radioligandentherapie ist die Möglichkeit der Bildgebung: Vor der Behandlung mit dem strahlenden Radio-Isotop wird den Patienten ein sogenanntes PET-Isotop verabreicht. Auch mit diesem Isotop docken die Radioliganden an die Krebszellen an und machen sämtliche Tumor-Metastasen im Körper sichtbar. Nach der Behandlung kann erneut ein solcher PET-Scan durchgeführt werden – und es wird sofort sichtbar, ob die Therapie angeschlagen hat oder nicht.
Die Halbwertszeit der Radioligandenpräparate ist kurz. Das Medikament wird daher für jeden Patienten individuell hergestellt und muss innert 72 Stunden verabreicht werden. Es kann nicht auf Vorrat produziert werden. Die Produktionsstätten sind über die ganze Welt verteilt, die Logistik ist immens. Patienten in der Schweiz erhalten ihre Dosen aus Italien. Jede einzelne Dosis wird in einem besonderen Bleicontainer in die Schweiz transportiert, um unterwegs niemanden zu gefährden.
Sarah Frattaroli
Im Vergleich zur externen Radiotherapie wird der Patient bei der Radioligandentherapie nicht von aussen mit radioaktiver Strahlung beschossen. Stattdessen kommt sie zielgerichtet innerhalb des Körpers zum Einsatz: Ein Molekül, der sogenannte Radioligand, ist der Träger für das strahlende Radio-Isotop. Der Radioligand bringt die Strahlung an die Krebszellen und dockt dort an ein spezifisches Protein an. Die Strahlung sorgt für den Zelltod.
Die Nebenwirkungen auf das umliegende Gewebe sind minimal – die Wirkung auf den Tumor hingegen maximal. Im Vergleich dazu zerstören externe Bestrahlung oder Chemotherapie auch Normalgewebe und führen dadurch zu Langzeitschäden.
Ein weiterer Vorteil der Radioligandentherapie ist die Möglichkeit der Bildgebung: Vor der Behandlung mit dem strahlenden Radio-Isotop wird den Patienten ein sogenanntes PET-Isotop verabreicht. Auch mit diesem Isotop docken die Radioliganden an die Krebszellen an und machen sämtliche Tumor-Metastasen im Körper sichtbar. Nach der Behandlung kann erneut ein solcher PET-Scan durchgeführt werden – und es wird sofort sichtbar, ob die Therapie angeschlagen hat oder nicht.
Die Halbwertszeit der Radioligandenpräparate ist kurz. Das Medikament wird daher für jeden Patienten individuell hergestellt und muss innert 72 Stunden verabreicht werden. Es kann nicht auf Vorrat produziert werden. Die Produktionsstätten sind über die ganze Welt verteilt, die Logistik ist immens. Patienten in der Schweiz erhalten ihre Dosen aus Italien. Jede einzelne Dosis wird in einem besonderen Bleicontainer in die Schweiz transportiert, um unterwegs niemanden zu gefährden.
Sarah Frattaroli
Herkulesaufgabe für die Spitäler
Die Pharma-Branche träumt bereits davon, dass die Radioligandentherapie zu einer «neuen Säule der Krebsbehandlung» wird. Zwei Mittel sind in der Schweiz bislang zugelassen, beide stammen von Novartis. Sie kommen für die Behandlung von Prostatakrebs sowie von seltenen neuroendokrinen Tumoren zum Einsatz.
Die Mittel sind radioaktiv und werden für jeden Patienten individuell hergestellt – die Behandlung ist dadurch alles andere als simpel. «Substanzlieferung, Zimmer, Personal und Patienten zu koordinieren, ist immer wieder eine Herausforderung», sagt Irene Burger (45), Chefärztin Nuklearmedizin am Kantonsspital Baden (KSB). Das KSB ist eines von zwölf Spitälern in der Schweiz, die für die Radioligandentherapie bereits eingerichtet sind.
Auch der Winterthurer Ernst S. wird dort behandelt. Drei Tage verbringt er pro Behandlung in einem abgetrennten Spitalbereich. «Ich decke mich zuvor mit Lesematerial und Kreuzworträtseln ein», erzählt er. Am dritten Tag gehts zurück nach Hause. «Im Zug auf dem Rückweg passe ich auf, mich nicht neben Frauen und Kinder zu setzen», sagt S. Schwangere und kleine Kinder sind für Strahlung besonders anfällig. Das Risiko einer Kontamination ist zwar gering. Aber sicher ist sicher! Das gilt auch für seine Ehefrau: «Nach der Behandlung schlafe ich fünf Nächte im Gästezimmer.»
Hoffnung auch für Brustkrebspatientinnen
Sechsmal hat Ernst S. die neuartige Therapie verabreicht bekommen. «Nun muss ich nur noch zu den Kontrollterminen, meine Resultate sehen gut aus», sagt er. Sollten seine Werte sich wieder verschlechtern, kommt möglicherweise erneut eine Behandlung mit der Radioligandentherapie zum Einsatz. «Viele andere Optionen habe ich nicht mehr», sagt S. schicksalsergeben.
Tatsächlich kommt die Therapie nur bei Patienten zum Einsatz, bei denen andere Behandlungsformen nicht mehr anschlagen. «Wir können die Patienten momentan noch nicht heilen», stellt Nuklearmedizinerin Irene Burger klar. «Aber wir können ihre Lebensqualität verbessern und ihnen mehr Zeit schenken.» Ein bis zwei Jahre zusätzlich sind realistisch. «Das hängt wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf», erzählt Ernst S. «Man weiss nie, wann der Krebs zurückkommt.»
Immerhin: Die Entwicklung im Bereich der Nuklearmedizin ist rasant. Schon bald könnte die Radioligandentherapie nicht mehr als letzte Option angewendet werden, sondern bereits in einem früheren Stadium der Behandlung. Dereinst soll sie ausserdem für weitere Krebsarten zum Einsatz kommen: gegen Brustkrebs, Hirntumore oder Darmkrebs etwa. Und damit zur Hoffnung für weitere Patienten wie Ernst S. werden.
*Name bekannt