Flughafen Zürich stresst Autisten
«Personal wollte Noah ohne weitere Erklärungen abtasten»

Für einen jungen Kanadier wird der Weg zum Flugzeug zur Tortur. Dabei gäbe es einfache Lösungen – andere Flughäfen praktizieren sie schon längst.
Publiziert: 02.10.2024 um 12:46 Uhr
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Für den Kanadier Noah Reid, der mit einer Autismus-Spektrum-Störung geboren wurde, entwickelte sich die Heimreise über den Flughafen Zürich zur Tortur.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Autist Noah Reid erleidet Angstzustände am Flughafen Zürich
  • Flughafen verlangt Rollstuhl für Unterstützung, trotz fehlender Mobilitätseinschränkung
  • In der Schweiz leben 100’000 bis 250’000 Menschen mit Autismus
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Florian Wüstholz
Beobachter

Noah Reid wollte Anfang August eigentlich nur nach Hause nach Kanada fliegen. Doch die Heimreise über den Flughafen Zürich wurde für den 19-Jährigen zur Tortur. Denn Noah wurde mit einer Autismus-Spektrum-Störung geboren.

Die Folgen: Angstzustände und Störungen bei der Sinnesverarbeitung. «In einer Warteschlange zu stehen und von vielen Menschen umgeben zu sein, ist für ihn sehr schwierig und unangenehm», erzählt Mutter Rekha Reid dem Beobachter.

Damit ist Noah Reid nicht allein. In der Schweiz leben gemäss einer Schätzung des Vereins Autismus Schweiz 100’000 bis 250’000 Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung.

«Der Weg durch den Flughafen verursacht Betroffenen oft sehr viel Stress und kann in gewissen Situationen zu temporärer Handlungsunfähigkeit führen», sagt Leonie Seebohm von Autismus Schweiz.

Flughäfen weltweit haben eine einfache Lösung

Weltweit setzen deshalb rund 240 Flughäfen auf eine einfache Lösung: ein um den Hals getragenes Schlüsselband mit aufgedruckten Sonnenblumen. Dieses sogenannte Sunflower Lanyard soll dem Personal und anderen Mitreisenden zeigen, dass jemand eine unsichtbare Behinderung hat – und mehr Geduld, Unterstützung oder eine einfache Sprache benötigt. Eine Liste von Symbolen auf einem Badge weist auf die expliziten Bedürfnisse der Betroffenen hin.

Noah Reids Familie kennt das Sunflower Lanyard – ihr Heimatflughafen Vancouver setzt es seit längerem ein. Bisher hatte die Familie deshalb kaum Probleme an Flughäfen. Doch das änderte sich in Zürich. Denn dort ist das Sunflower Lanyard noch nicht im Einsatz.

Stattdessen wurde Familie Reid beim Check-in von der Fluggesellschaft – recht unfreundlich, wie sich Rekha Reid erinnert – an den Assistenzdienst Goldair AAS verwiesen.

Dort wurde der Mutter erklärt, dass ihr Sohn bei der Sicherheitskontrolle, der Passkontrolle und beim Boarding nur dann Unterstützung erhalten könne, wenn er in einem Rollstuhl sitze. «Aber mein Sohn hat gar keine Mobilitätseinschränkung», sagt Rekha Reid zum Beobachter.

Weil sie keinen anderen Weg sah, um die nötige Unterstützung zu erhalten, akzeptierte die Familie, dass Noah Reid mit dem Rollstuhl zum Gate begleitet wurde. «Es war anstrengend und erniedrigend für ihn und für uns alle», erinnert sich Rekha Reid.

Beamte spekulieren laut über Behinderung

Schon bei der Sicherheitskontrolle folgte die nächste Demütigung. Dort wurde Noah für ein zusätzliches Screening herausgepickt. «Das Personal wollte Noah ohne weitere Erklärungen abtasten und durchsuchen», sagt Rekha Reid. Ein grosser Stressfaktor für ihn, der nicht ohne Erklärung angefasst werden möchte.

Rekha Reid insistierte auf Englisch, dass ihr Sohn eine Behinderung habe, man ihm Zeit geben und ein allfälliges Screening erklären müsse. Darauf kommentierten die Beamten untereinander auf Schweizerdeutsch, dass Noah gar nicht aussehe, als hätte er eine Behinderung. «Als ich sie auf diesen Kommentar auf Schweizerdeutsch ansprach, wollten sie plötzlich keine weitere Durchsuchung mehr machen, und wir durften gehen», erinnert sich Rekha Reid.

Flughafen prüft Einführung des Sunflower Lanyard

Auf Anfrage des Beobachters sagt die Medienstelle des Flughafens Zürich, Inklusion und barrierefreies Reisen seien ihnen «sehr wichtig». Beim Fall der Familie Reid habe es mehrere Missverständnisse gegeben, wofür man sich bei ihr entschuldigt habe.

Die Dienste der Goldair AAS seien tatsächlich für «alle Personen mit einer Beeinträchtigung» konzipiert – egal, ob man einen Rollstuhl benötige oder nicht. Man trainiere die Mitarbeitenden laufend im Umgang mit Personen mit besonderen Bedürfnissen.

«Die Bedürfnisse von Menschen im Autismus-Spektrum sind oft unsichtbar», sagt Leonie Seebohm von Autismus Schweiz. «In der Gesellschaft gibt es noch viele Vorurteile und zu wenig Wissen über Autismus. Ein grösseres Verständnis für die Betroffenen würde ihnen vieles erleichtern.»

Ob in Zürich künftig das Sunflower Lanyard eingesetzt wird, werde «in einer laufenden internen Fachsitzung evaluiert», erklärt die Medienstelle des Flughafens Zürich.

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