Auf einen Blick
Stefan M. steht im Rang eines Senators. Nicht im alten Rom, vielmehr beim Vielfliegerprogramm Miles & More der Lufthansa, zu der auch die Swiss gehört. Dieser Status – verdient durch zahlreiche Flüge – bietet ihm Zugang zu den exklusiven Senator Lounges am Flughafen, er kann First-Class-Check-ins nutzen und erhält mehr Freigepäck.
Doch selbst dieser erlesene Status kann den Ärger des selbstständigen Unternehmensberaters über Miles & More nicht dämpfen. Denn er sitzt wie ein Dagobert Duck auf einem Schatz: 1,3 Millionen Meilen hat er im Laufe der Jahre gesammelt – und wird sie nicht los. «In den vergangenen Jahren gelang es mir noch nie, für meine Familie Flüge zu finden, die ich mit Meilen hätte bezahlen können», sagt er. Dabei wäre das eigentlich das Versprechen der Airline.
Fast jede Fluggesellschaft unterhält ein Vielfliegerprogramm. Wer dort als Mitglied registriert ist, kann durch gebuchte Flüge, aber auch bei anderen Alltagsaktivitäten (beim Einkauf mit entsprechender Kreditkarte, beim Automieten, durch Zeitschriftenabos und mehr) Meilen sammeln. Die gesammelten Meilenguthaben können gegen Prämienflüge oder andere Vorteile eingelöst werden. Mit Prämienmeilen erhält man die Belohnungen, während Statusmeilen dazu dienen, den Vielfliegerstatus und damit verbundene Vorteile innerhalb eines Vielfliegerprogramms zu erlangen. 36 Millionen Mitglieder zählt das Programm mittlerweile.
Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Airlines und Meilen-Organisation
Stefan M. ist mit seinem Ärger nicht allein. «Ganz viele Kunden und Kundinnen sitzen auf Millionen von Meilen», sagt Barbara Wohlfarth, Inhaberin des Reisebüros Reisecocktail. Sie selbst kommt auf 600'000 Meilen. «Meilen sammeln ist nur etwas für Singles mit Arbeitgebern, denen man sagen kann, ich bin dann morgen mal weg, da man superschnell sein muss.» Fündig werden könne man zwar mit Flügen in die USA. Diese seien jedoch meist sehr günstig, so dass es sich gar nicht rentiere, mit Meilen zu bezahlen. «Spannende Urlaubsziele wie Singapur, Johannesburg oder die Malediven gibt es nie im Angebot.» Das Freiflugversprechen wird zum Wunschtraum.
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Der Wandel kam mit der Pandemie. Moritz Lindner, Gründer und CEO des auf Luxusreisen spezialisierten Portals Reisetopia.ch, bestätigt: «Seit 2023 ist es schwierig geworden, Flüge zu finden. Die Flugpreise sind nach Corona stark gestiegen, die Flugzeuge waren gut ausgelastet, deshalb machten die Fluggesellschaften keine Verfügbarkeiten für Vielfliegerprogramme frei.»
Fragt man bei Miles & More an, wird dort das Problem weitergeschoben. Das Angebot an Flugprämien orientiere sich an den von den Airlines bereitgestellten Plätzen, heisst es. Man agiere hier als Vermittler dieser Prämienplätze und habe aus diesem Grund keinen Einfluss auf die Vergabe der buchbaren Plätze.
431 Millionen Einnahmen
Für die Eigentümerin Lufthansa ist es ein gutes Geschäft. Die Einnahmen mit Miles & More beliefen sich 2023 auf 431 Millionen Euro. Das hat mehrere Gründe: Die Airline bietet an, Meilen direkt an Mitglieder zu verkaufen, etwa wenn diesen Meilen für eine Prämie fehlen. Diese Verkäufe sind hochprofitabel, da die «Herstellungskosten» von Meilen im Vergleich zu den Verkaufspreisen gering sind. Zudem sind Vielfliegende oft bereit, höhere Ticketpreise zu zahlen, um ihren Status zu behalten oder zu verbessern. Zudem hat die Lufthansa zahlreiche Partner aus verschiedenen Branchen, wie Hotels, Autovermietungen und Banken, die Meilen kaufen, um sie an ihre Kundschaft weiterzugeben.
Die Lufthansa reagierte unlängst – wenn auch halbherzig – auf dieses Problem. Sie hat einen Flieger gechartert, der ausschliesslich von Meilenbeziehenden gebucht werden kann. Der Flug führt am 17. November von München nach Kapstadt und am 2. Dezember retour. Wer an diesen Daten nicht kann, ist selbst schuld. Dafür muss man 60’000 Meilen in der Economy-Class hergeben, 150’000 Meilen für Business Return. «Unverhältnismässig viel», wie Barbara Wohlfahrt findet. Ein Vergleich dazu: Für einen Flug von Zürich nach Bangkok erhält man rund 3400 Prämienmeilen, für den Flug von Zürich nach Athen 1700. Für den Eco-Flug nach Kapstadt hätte man fast zwanzigmal nach Bangkok fliegen müssen.
Fantasiezuschläge für Taxen
Mit zahlreichen Neuerungen sollte das Miles-&-More-Programm 2024 einfacher werden. Tatsächlich gab es Verbesserungen: Familienmitglieder können neuerdings ebenfalls Meilen sammeln, und die Hotline ist mittlerweile bis 21 Uhr verfügbar, selbst samstags. «Gleichzeitig ist das Sammeln von Meilen und Punkten eine Wissenschaft geworden», sagt Barbara Wohlfarth. «Man macht einen Schritt vor und zwei zurück.» Es gibt Points, Qualifiyer Points, HON Circle Points für den Status und Meilen für Prämien, sprich Freiflüge. Die Onlinesuche nach Flugangeboten ist zeitaufwendig und oft wenig zielführend. Angebote von Partner-Airlines der Lufthansa werden häufig nicht angezeigt. Die Wartezeiten in der Hotline sind meist lang.
Sollte man tatsächlich einen «Freiflug» gefunden haben, kommt unweigerlich der nächste Schock: Flughafentaxen und Treibstoffzuschläge, die man selbst berappen muss, können bei Miles & More locker 500 bis 600 Franken ausmachen. «Das ist unverhältnismässig hoch», wie Moritz Lindner findet. «Es fallen tatsächliche Kosten von etwa 100 bis 150 Euro für Steuern und Flugsicherheit an. Alles, was man mehr bezahlt, sind Fantasiezuschläge, die die Lufthansa nach eigenem Ermessen erhebt.»
Andere Programme von US-Carriers oder Singapur Airlines hätten nur ganz niedrige Aufschläge oder gar keine, sagt Moritz Lindner. Für viele besonders ärgerlich: Im Laufe dieses Jahres erhöhte die Lufthansa die Treibstoffzuschläge bei Flügen in die USA. Damit belaufen sich die Taxen für einen Business-Class-Flug mittlerweile auf 1000 Euro. «Da ist für mich eine Schmerzgrenze erreicht», sagt Moritz Lindner.
Meilen gegen Produkte eintauschen ist extrem teuer
Miles & More gibt auch in diesem Punkt den Schwarzen Peter weiter: Man weist darauf hin, dass die Festlegung der Zuschläge in der Hoheit der einzelnen Airlines liege und neben der geflogenen Strecke auch von der Buchungsklasse abhängig sei. Darüber hinaus würden marktspezifische und wettbewerbsrechtliche Besonderheiten eine Rolle spielen.
Bevor Meilen verfallen, sollte man sie lieber gegen Produkte eintauschen. Hier lockt ein dicker Katalog. Das Problem: «Die Gegenwerte der Produkte stehen in keinem Verhältnis», sagt Moritz Lindner. Eine Flasche Rotwein (Amarone) kostet 28’000 Meilen, ein Kaffee im Flieger 3000 Meilen, ein Tee 1000 Meilen. Gleichzeitig erhält man für einen Flug von Zürich nach Wien rund 792 Meilen gutgeschrieben. Man müsste also viermal nach Wien fliegen, um genügend Meilen für einen Kaffee gesammelt zu haben.
Lebenslanger Senator-Status unerreichbar
Stefan M. hat genug. Er will sich künftig auf andere Vielfliegerprogramme konzentrieren. Die neuen Vorschriften bei Miles & More haben ihm den Rest gegeben. Neuerdings muss er sich für den Senator-Status jährlich qualifizieren – anstatt wie bislang alle zwei Jahre. Fliegt er weniger als sechs interkontinentale Flüge in der Business-Class, ist er den Status los. Stefan M.’s Ziel war, Senator auf Lebenszeit zu werden, sodass die Privilegien ein Leben lang gelten und er sich nie mehr qualifizieren muss.
Doch davon ist er Lichtjahre entfernt, zu seinem völligen Unverständnis. «Ich fliege geschäftlich seit zwanzig Jahren», sagt er. Business-Class, versteht sich. In all den Jahren hat er insgesamt 23’000 Qualifying Points erhalten. Für den lebenslangen Senator-Status jedoch benötigt er 40’000 solcher Punkte. «Bei anderen Gesellschaften erreicht man diesen Status in der Tat viel schneller», sagt Moritz Lindner. Gibt jedoch zu bedenken: «Aber auch dort ist das Gras nicht immer grüner.»