Auf einen Blick
Eines kann man Manu Chakravarthy nicht vorwerfen: dass er sich in seiner Karriere verzettelt habe. Der Zellbiologe mit Doktorhut der University of Texas hat sich zeit seines Berufslebens mit dem Zuviel an Pfunden beschäftigt, das die Menschheit mit sich herumschleppt. Seine wissenschaftlichen Publikationen handeln von der «Pathogenese und Progression der Leberverfettung» – einer häufigen Begleiterkrankung von Übergewicht –, von der Glukoseregulierung bei Versuchen an Ratten und Mäusen und von der Biologie der Mitochondrien und ihrer Rolle im Metabolismus.
Auch bei Big Pharma war Chakravarthy stets in der Forschung tätig. Er setzte Dutzende klinischer Studien auf, um Medikamente gegen Stoffwechselerkrankungen und Diabetes zu testen, viele mit Erfolg. Ab 2015 arbeitet er beim amerikanischen Pharmakonzern Eli Lilly. Dort forscht er auch am Wirkstoff Tirzepatid, mit dem die Amerikaner inzwischen Milliarden verdienen. Das Medikament ist unter dem Namen Mounjaro in der USA und in Europa zur Behandlung von Diabetes zugelassen und unter Zepbound auch zur Gewichtsreduktion. Lilly ist führend beim Thema Fettleibigkeit und auf dem besten Weg, als erstes Pharmaunternehmen in den Kreis der 1000-Milliarden-Dollar-Konzerne aufgenommen zu werden.
Er weiss den Molekularbiologen Schinecker hinter sich
Zu Roche kommt der Fachmann der Fettleibigkeit über seine Rolle als Forschungschef von Carmot Therapeutics, das 2023 für 2,7 Milliarden Dollar nach Basel verkauft wird. Dort muss Chakravarthy nun als Senior Vice President und globaler Chef der Entwicklung von Medikamenten gegen Erkrankungen am Herz, der Niere und des Stoffwechsels dafür sorgen, dass der Pharmakonzern aus der Schweiz beim Jahrhundertgeschäft mit dem Abnehmen wieder ins Spiel kommt. Nachdem er sich vor sechs Jahren unglücklicherweise selbst aus ebendiesem genommen hatte und einen Wirkstoff, der nun als Pille zum Abnehmen auf den Markt kommen soll, an die amerikanische Konkurrenz verkaufte.
Chakravarthys Vorteil ist, dass er die beiden Wirkstoffe, mit denen Roche nun ins Milliardengeschäft ums Übergewicht einsteigt, kennt wie kein anderer. Schliesslich hat er sich schon mit den beiden Wirkstoffkandidaten CT-388 und CT-699 beschäftigt, als es noch um die ersten Reaktionen in der Petrischale ging – ein grosser Vorteil. Zudem hat er mit Thomas Schinecker einen Konzernchef hinter sich, der selbst Molekularbiologe ist und der sich deshalb auch selbst ein Bild von wissenschaftlichen Befunden machen kann und diese gegenüber Analysten und Analystinnen verteidigen kann.
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Analysten sind extrem nervös
Entsprechend souverän konnte Manu Chakravarthy dieser Tage reagieren, als nervöse Analystinnen und Analysten nach der Publikation von Studiendaten, die unvorteilhafte Nebenwirkungen befürchten liessen, die Roche-Aktien auf Tauchstation schickten. Die Finanzprofis hatten Bedenken, die beiden Roche-Kandidaten zum Abnehmen könnten in der Praxis zu mehr unangenehmen Begleiterscheinungen führen als die Produkte der Konkurrenz. Dazu gehören Durchfall, Erbrechen und Verstopfung.
«Die Nebenwirkungen sind vergleichbar», sagt Manu Chakravarthy im Gespräch. Und dies, obwohl «wir die Dosis sehr schnell gesteigert haben, um das Zwölffache in vier Wochen». Das seien gute Nachrichten. Die Resultate hält er für «sehr ermutigend», und wenn Analysten und Analystinnen Daten einer ersten klinischen Phase mit der einer dritten klinischen Phase – wie das eine amerikanische Investmentbank gemacht hat – vergleichen würden, dann sei das gleich, «wie wenn man Birnen und Äpfel vergleichen würde».
Ziel der Studie sei es gewesen, zu sehen, «ob sie etwas Unerwartetes gibt», doch das sei nicht der Fall gewesen. «Alle Nebenwirkungen waren mild.» Zudem: Bereits eine leichte Verlangsamung der Dosissteigerung habe dazu geführt, dass die Nebenwirkungen weniger geworden seien, ohne dass sich die Wirkung verschlechtert habe. «Auch das gibt uns einen Hinweis darauf, dass das Sicherheitsprofil von CT-699 unbedenklich ist.»
Mehr zu Roche
Alles im grünen Bereich. Das sieht auch Michael Nawrath so, Pharmaanalyst bei Octavian. Er sagt: «Roche wurde zu Unrecht abgestraft.» Mit den Studiendaten allein seien die heftigen Kursreaktionen nicht zu begründen.
Mehr Gewichtsverlust als bei der Konkurrenz
Bleiben die Hinweise zur Wirksamkeit der beiden Abnehmekandidaten von Roche. Und die sind gut, insbesondere CT-388. Dieser bewirkte eine Gewichtsreduktion von 19 Prozent in 24 Wochen. Das ist deutlich mehr als beim bereits etablierten Fettweg-Produkt Wegovy von Novo Nordisk, das nach 68 Wochen ein Minus von 15 Prozent erreicht. Andere vergleichbare Produkte liegen im Bereich von 22 Prozent nach 72 Wochen.
Trotzdem dürfte der Druck auf Roche bestehen bleiben, und Chakravarthy wird sich auf weitere Turbulenzen einstellen müssen. Der Hype um die Medikamente zum Abnehmen ist gewaltig, seit die Pharmaindustrie entdeckte, dass der Schlüssel zu einem leichteren Leben in einem Darmhormon namens GLP-1 liegt. 100 bis 150 Milliarden Franken an Umsätzen sind bis in ein paar Jahren zu vergeben.
Gleichzeitig kämpft Roches «Mister Fettweg» mit Investoren und Investorinnen, die nach zwei Jahren Talfahrt beim Aktienkurs hypersensibel sind, und damit, dass die hauseigene Pipeline ausser seinen Produkten im Moment wenig zu bieten hat, das der Fantasie der Anlegenden wieder auf die Sprünge helfen könnte.
Und so war die Achterbahn der vergangenen Tage wohl nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird.