«Es war eine kurze Sache», erinnert sich Mutter Gabriela Gyger (46). Und ihr Sohn Fabien pflichtet ihr bei: «Ich bin nicht der Typ fürs Gymnasium, ich wollte unbedingt etwas Praktisches lernen.» Der Entscheid, der viele Schweizer Familien monatelang plagt –, soll der Nachwuchs ins Gymi oder in die Lehre? – fiel im Reihenhäuschen in Spiez BE ganz schnell. Fabien Gyger (19) liess sich zum Automatiker ausbilden. Dabei hätten die Noten für einen Gymnasium-Besuch in Thun oder Interlaken gereicht.
Manche Eltern tun alles, damit ihre Kinder auf die höhere Schule gehen können: Nachhilfestunden, Unterstützung bei den Hausaufgaben, Gesprächstermine bei den Lehrern. Margrit Stamm (66), Professorin für Erziehungswissenschaften, bestätigte im Vorjahr im «SonntagsBlick», dass besonders Mütter einen grossen Einfluss auf die Berufswahl der Kinder haben. Oftmals keinen positiven.
«Mütter blenden die realistischen Fähigkeiten und Interessen, aber auch die Schulmüdigkeit oder die handwerklichen Talente ihrer Kinder mehrheitlich aus», so Stamm. Nur das vermeintlich Beste fürs Kind wird verfolgt – und damit oft eine Wunschvorstellung.
«Ich will Automatiker lernen, nichts anderes»
Nicht so bei den Gygers. Vater Martin (52) erinnert sich an den Entscheid zur Lehre lachend so: «Es war eigentlich keiner.» Der Fall war klar. Trotz der ausreichenden Noten. Mutter Gabriela: «Wir haben ihm dann einige Vorschläge für Berufe gemacht. Und Fabien war es, der sagte: Ich will Automatiker lernen, nichts anderes. Das ist mein Beruf.»
Bald geht sein viertes Lehrjahr bei der Technologiefirma Meyer Burger im nahen Thun BE zu Ende, die Abschlussprüfung steht an. Im Oktober folgt gleich der nächste Termin, den sich die Gygers ganz dick eingetragen haben: die WorldSkills in Abu Dhabi. Fabien hat zusammen mit seinem Kollegen Cédric Achermann (19) aus Altbüron LU im November des letzten Jahres den Schweizer Meistertitel bei den Automatikern gewonnen. Damit war klar: Die beiden werden die Schweiz bei den internationalen Titelkämpfen vertreten.
Das duale Berufsbildungssystem in unserem Land ist einzigartig. Junge Schweizer Berufsleute stellen das an Meisterschaften immer wieder unter Beweis. Elf Goldmedaillen holte das SwissSkills-Team, das im Oktober 2017 in Abu Dhabi an der Berufs-WM antrat. Der nächste Grossanlass steht im September 2018 auf dem Programm: die SwissSkills 2018 in Bern, bei welchen in 75 Berufen Schweizer Meisterschaften durchgeführt werden.
Das duale Berufsbildungssystem in unserem Land ist einzigartig. Junge Schweizer Berufsleute stellen das an Meisterschaften immer wieder unter Beweis. Elf Goldmedaillen holte das SwissSkills-Team, das im Oktober 2017 in Abu Dhabi an der Berufs-WM antrat. Der nächste Grossanlass steht im September 2018 auf dem Programm: die SwissSkills 2018 in Bern, bei welchen in 75 Berufen Schweizer Meisterschaften durchgeführt werden.
Die Eltern und Schwester Céline (16) werden selbst mit nach Abu Dhabi reisen. Ihren Sohn, seinen Kollegen und das gesamte Schweizer Team mit 37 Wettkämpfern wollen sie unterstützen. Sonst gibts Ferien in der Toscana, diesmal in den Emiraten. «Ich freue mich einfach, dass ich das einmal miterleben kann», beginnt Martin Gyger, «dass ich diesen Geist spüren und das Schweizer Team mit einem Fähnchen anfeuern darf.»
Der Erfolg im Beruf ist wohl auch der ultimative Beweis, dass der Entscheid für eine Lehre goldrichtig war. «Wenn man sich im Beruf nicht wohl fühlt, kann man sich auch nicht so entfalten», sagt Papi Martin. Und entfalten kann sich Fabien, der schon als Kind lieber gebastelt als gelesen hat. Dank des dualen Bildungssystems wäre es ihm immer noch möglich, später zu studieren. Wobei er damit ein Ausreisser in der Familie wäre. Schwester Céline lässt sich derzeit zur Floristin ausbilden, Vater Martin fährt BLS-Lokomotiven, Mutter Gabriela war im Detailhandel tätig. Alle mach(t)en die Lehre. Mutter Gabriela sagt: «Ich habe es in meinem Fall nie bereut. Und das lebt man irgendwie wohl auch vor.»
Die Vorgänger holten Silber
Unterstützt wird das Automatiker-Duo Gyger/Achermann vor den WorldSkills freilich nicht nur von den Familien. Fabien Gyger: «Bei Meyer Burger durften wir uns einen eigenen Trainingsraum einrichten und erhalten Material, wenn uns dieses noch fehlt.» Regelmässig gibt es Team-Anlässe der Schweizer WorldSkills-Teams, so auch am letzten Wochenende in Tenero TI. Dann darf Gyger auch mal unter der Woche einen freien Tag beziehen.
Bei den Team-Events lernen die jungen Berufssportler unter anderem, mit dem Wettkampfdruck und den Erwartungen umzugehen. Gyger lächelt: «Unsere Vorgänger haben Silber geholt.» Das Traumziel wäre deshalb ein Podestplatz. «Doch auch als Zehnte wären wir glücklich. Denn das würde heissen, dass wir die Zehntbesten unseres Berufs auf der Welt sind.» Ohne Gymnasium. (tri)