Auf einen Blick
- Frugalismus: Extremes Sparen für frühe Rente. Konzept mit Risiken verbunden
- Fokus auf stabile Erträge bei minimalem Risiko durch Investitionen
- Faustregel: Vermögen sollte 25-Faches der jährlichen Ausgaben betragen
So früh wie möglich in Rente gehen und durch gezielten Verzicht nicht nur Geld sparen, sondern auch die Lebensqualität steigern. Das klingt wohl für alle gut. Hinter dem sogenannten «Frugalismus» oder der «FIRE»-Bewegung (Financial Independence, Retire Early) steckt ein Lebenskonzept, bei welchem sich die Anhänger dem Motto «Leben, um zu arbeiten» widersetzen.
«Frugal» bedeutet übersetzt «genügsam» oder «sparsam». Frugalität verfolgt den Plan, im Eiltempo Vermögen aufzubauen und dafür jeden Franken zu sparen und zu investieren, um dann jung in Rente gehen können. Dafür braucht es zwei parallele Ansätze: Minimierung der monatlichen Ausgaben und konsequentes Anlegen des ganzen Vermögens. Damit werden einerseits Kosten reduziert, andererseits soll vom Zinseszinseffekt profitiert werden.
Das Konzept kommt ursprünglich aus den USA und wurde durch Blogger bekannt, die angeblich mit 30 Jahren in Rente gingen. Doch klappt das wirklich?
Notwendige Finanzplanung
Das A und O bei diesem Konzept ist die Finanzplanung. Dazu muss man wissen, wie hoch die laufenden Ersparnisse während den Arbeitsjahren sind und wie viel Geld beim Renteneintritt erforderlich ist, um für den Rest der Tage finanziell unabhängig zu sein.
Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.
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Die notwendige Sparquote hierfür legen Frugalisten bei 70 Prozent fest. Bei einem monatlichen Einkommen von 6000 Franken wären das 4200 Franken, die auf die Seite gelegt werden müssten. Nimmt man die Budgetberechnung der ETH Zürich, die für eine Einzelperson in der Schweiz auf Ausgaben von mindestens 2350 Franken pro Monat kommt – wohlgemerkt bei einer fast unrealistischen Miete von 900 Franken – dürfte das eher schwierig werden.
Karl Flubacher, Geschäftsleiter Nordwest- und Westschweiz beim Vermögenszentrum, warnt denn auch: «Das Konzept ist mit erheblichen Risiken verbunden. Es gibt gewisse Grundkosten, die man nicht wegkriegt.» Realistisch sind gemäss Banken und Bundesamt für Statistik Sparquoten zwischen 14 bis 20 Prozent für Schweizer Haushalte.
Die Faustregel der Frugalisten
Die UBS erachtet den Sparanteil je nach persönlicher Situation dennoch als realistisch. «Bedenkt man, dass Zehntausende Studierende mit 1400 Franken bis 2200 Franken pro Monat klarkommen, ist eine solche Sparquote durchaus möglich», sagt Ökonomin und Vorsorge-Expertin Veronica Weisser. Herausfordernder sei Frugalismus im Familienkontext mit jungen Kindern, wenn das Familieneinkommen sinke und die Ausgaben steigen.
Doch mit Sparen allein ist das Konzept ja noch nicht getan. Frugalisten investieren einen Grossteil ihres Einkommens in Aktienfonds, Anleihen oder Immobilien. Der Fokus liegt auf stabilen Erträgen bei minimalem Risiko. Das passive Einkommen soll den bisherigen Lebensstandard (oder einen besseren) allein finanzieren.
Die Faustregel der Frugalisten lautet: Das Vermögen sollte das 25-Fache der jährlichen Ausgaben betragen, um finanziell unabhängig zu sein.
Die Berechnung basiert auf der Annahme, dass das Vermögen inflationsbereinigt durchschnittlich 5 Prozent Rendite pro Jahr erzielt. Nach Steuern können jährlich 4 Prozent entnommen werden, ohne das Grundkapital langfristig anzugreifen.
Dabei ist nicht zu vergessen: Wer seinen Lebensunterhalt aus Dividenden und Kapitalerträgen bestreitet, ist den Schwankungen der Finanzmärkte ausgeliefert. Bei erheblichen Kursrückgängen können schnell Existenzängste entstehen – das müsse man aushalten können, sagt Flubacher. Wenn nicht wie üblich am 25. Tag des Monats ein Lohn hereinkomme, der ein Sicherheitsgefühl biete, sei man vollständig auf die Erträge der Anlagen angewiesen. «Die grosse Unsicherheit ist: Je jünger ich aufhöre, umso länger ist die Restphase, in der ich vom Ersparten zehren muss», erläutert Flubacher.
Ein Lebenskonzept für Reiche
So gut und simpel also das Konzept klingt – so einfach ist es nicht. Der Lebensstil kann auch grundsätzliche Schattenseiten haben. Frugalist Lars Hattwig sagte beispielsweise gegenüber der «NZZ», wer über längere Zeit mit so wenig Geld lebe, zahle einen hohen psychischen Preis. «Man stellt sich darauf ein, dass man arm ist. Das ist keine gute Lebenshaltung», so Hattwig. Man muss sich also als Extremsparer mit der Zeit wohl die Frage stellen: Wann sind meine Freizeit und ein gewisser Luxus wertvoller – in jungen Jahren oder im Alter? Ist man bereit, jahrelang auf die kleinen Freuden im Alltag zu verzichten?
Das wohl meistverbreitete Urteil lautet jedoch, Frugalismus sei nur etwas für Besserverdiener. UBS-Vorsorgeexpertin Veronica Weisser widerspricht: «Der Sparbedarf ergibt sich aus dem gewünschten Lebensstandard. Wer sich mit einem moderaten oder einfachen Lebensstil zufriedengibt, kann auch als Durchschnitts- oder Geringverdiener den Frugalismus erfolgreich praktizieren.»
Ausschlaggebend seien die Wohnkosten, wobei Wohngemeinschaften einen deutlichen finanziellen Vorteil böten. Flubacher vom Vermögenszentrum sieht die Sache eher skeptisch: «Man kann es ein bisschen vergleichen mit dem Wohneigentumskauf. Wir haben viele junge Menschen, die gute Löhne haben und aufgrund des fehlenden Kapitals dennoch auf einen Erbvorbezug der Eltern angewiesen sind.»
Wie geht es den Schweizer Firmen? Was läuft an der Wall Street? Und wie entwickelt sich der Goldpreis? Wir halten dich über die neusten Entwicklungen an den Märkten auf dem Laufenden – hier im Liveticker.
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Die beiden Experten sind sich einig darüber, dass eine potenzielle Rückkehr in die Erwerbstätigkeit schwierig werden könnte. «Je nach Beruf hat man nach einer gewissen Zeitspanne kaum mehr Möglichkeiten, eine Stelle zu finden, weil sich beispielsweise das Berufsbild zu stark verändert hat», so Weisser. Sie warnt ausserdem vor einer potenziell ansteigenden Vermögenssteuer: «Dies würde Frugalisten stärker als Personen mit Einkommen aus Arbeit treffen.»
Illusion oder Erfolgsrezept?
Es kristallisiert sich also heraus, dass das Lebenskonzept mit diversen Komplikationen und Fragen einhergeht. Was passiert, wenn sich die Lebensumstände ändern durch Kinder, wegen gesundheitlicher Probleme oder durch höhere Kosten? Sind die AHV-Beiträge in die Berechnung einbezogen? Wie lassen sich Risiken wie Tod oder Invalidität absichern?
Fest steht, dass Frugalisten in der Schweiz extrem viel Geld benötigen – und oft auf Zusatzhilfe angewiesen sind. «Wenn jemand weiss, er hat ein Extremvermögen oder Eltern, von denen eines Tages ein grosses Erbe abfallen wird, ist das denkbar», so Flubacher. «Grundsätzlich gilt: Wenn ich 40 Jahre abhängig bin von den Finanzmärkten und von den Ersparnissen, dann habe ich extrem viel Unsicherheit.»
Laut Vorsorgeexpertin sollte man sich punkto Sparen und Extremsparen grundsätzliche Fragen stellen, wie: «Wie wichtig ist mir der heutige Konsum im Vergleich zum zukünftigen?» Man müsse nicht gleich Frugalismus praktizieren, um früher oder entspannter in Rente gehen zu können. Aber ohne konsequentes Sparen und Investieren gehe es kaum, so Weisser. Sie rät, die Steuervorteile der Säule 3a zu nutzen, den Konsum zu hinterfragen, öfters mal den Kaffee-to-go wegzulassen und insbesondere die regionalen Lebenshaltungskosten und Wohnformen zu vergleichen.
Auch Frugalist Hattwig ist überzeugt, dass es allen guttue, in einem gewissen Ausmass frugalistisch zu leben. «Wer alles Geld sofort ausgibt, das reinkommt, sollte seine Lebensweise hinterfragen.»