«Ohne Weiterbildung droht uns allen ein Wohlstandsverlust»
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Ex-UBS-Personalchef Bruederlin:«Ohne Weiterbildung droht uns allen Wohlstandsverlust»

Ex-Personalchef der UBS warnt vor Mangel gut geschulter Arbeitskräfte
«Ohne Weiterbildung droht uns allen ein Wohlstandsverlust»

Als ehemaliger Personalchef der UBS und Professor für Human Resources weiss Gery Bruederlin, wie wichtig gute Mitarbeiter sind. Er warnt vor dem Szenario, dass sie sich nicht weiterbilden.
Publiziert: 09.08.2020 um 23:04 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2020 um 08:06 Uhr
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Gery Bruederlin: «Weiterbildung ist wichtiger denn je. Auf jede Krise folgt die Erholung, die Wirtschaft wächst wieder. Für dieses Wachstum brauchen die Unternehmen das Personal mit den richtigen Kompetenzen und Fertigkeiten.»
Foto: Nathalie Taiana
Interview: Christian Kolbe

Fein säuberlich ist jeder Raum an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten SO mit der Maximalbelegung beschriftet. Neben all den Desinfektionsmitteln das sichtbarste Zeichen, dass die Schweiz immer noch mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen hat. Mit den gesundheitlichen wie auch den wirtschaftlichen. Da aber gerade Semesterferien sind, ist es für Gery Bruederlin (63) trotz rigoroser Zugangsbeschränkung ein Leichtes, einen genügend grossen Raum für das Interview mit BLICK zu finden.

BLICK: Herr Bruederlin, wann waren Sie zuletzt in der Weiterbildung?
Gery Bruederlin:
Vor vier Monaten, als es darum ging, den Unterricht zu digitalisieren. Wir mussten all die Video-Meeting- und Online-Learning-Tools in den Griff bekommen. Das zeigt, dass die beste Aus- und Weiterbildung oft direkt am Arbeitsplatz passiert.

Hat in Zeiten von Corona überhaupt jemand die Nerven für Weiterbildung?
Nein, aber der Einbruch bei der Weiterbildung ist ein kurzfristiges Phänomen. Man muss zwischen kurzfristiger und langfristiger Perspektive unterscheiden. Kurzfristig kann man Weiterbildung schon vorübergehend unterbrechen: Auf persönlicher Ebene, weil Zeit oder Geld fehlen. Bei Firmen gehören in Krisen die Budgetposten Aus- und Weiterbildung zu den ersten, die gestrichen werden. Das ist kurzfristig vertretbar, macht aber langfristig überhaupt keinen Sinn.

Weshalb?
Weiterbildung ist wichtiger denn je. Auf jede Krise folgt die Erholung, die Wirtschaft wächst wieder. Für dieses Wachstum brauchen die Unternehmen das Personal mit den richtigen Kompetenzen und Fertigkeiten, neudeutsch mit den richtigen «Capabilities» und «Skills».

Ist die Krise auch eine Chance, um sich weiterzubilden?
Die Phase der Kurzarbeit wäre eine gute Zeit für Weiterbildung. Allerdings fehlt dazu vielen Leuten die Motivation. Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust ist grösser als die Lust auf Weiterbildung. Zukunftsängste rauben auch vielen Leuten die dafür notwendige Energie.

Aber langfristig führt kein Weg an Weiterbildung vorbei?
Nein, dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Die geburtenstarken Jahrgänge – die Babyboomer – gehen in den nächsten Jahren in Rente. Dadurch schrumpft das Angebot an Arbeitskräften in der Schweiz, dem Arbeitsmarkt fehlen bald eine halbe Million Leute. Doch ohne eine ausreichende Anzahl an Arbeitskräften gibt es kein Wirtschaftswachstum, es droht uns allen ein Wohlstandsverlust. Der zweite Grund ist der technologische Wandel.

Bleiben wir beim Mangel an Fach- und Arbeitskräften. Die könnten wir doch weiterhin aus dem Ausland holen?
Das war über viele Jahre eine sehr effiziente Strategie. Doch diese stösst nun an Grenzen. In der Schweiz wächst der politische Widerstand gegen noch mehr Zuwanderung. Aber auch das Ausland ist je länger je weniger bereit, seine gut ausgebildeten Arbeitskräfte an die Schweiz zu verlieren. Die Schweiz hat über Jahre zu wenige Ärzte ausgebildet. Deutschland zum Beispiel hat darauf reagiert und die Löhne nach oben angepasst. Es braucht eine gute Balance zwischen der Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland und der Aus- und Weiterbildung von bestehenden Mitarbeitern in der Schweiz.

Das heisst?
Diese Angebotslücke auf dem Arbeitsmarkt lässt sich mit einer simplen Formel schliessen: Mehr Frauen in, weniger Ältere aus dem Arbeitsmarkt. Das geht aber nur mit Weiterbildung, gerade auch bei gut ausgebildeten Frauen, die aus familiären Gründen länger nicht oder nur Teilzeit gearbeitet haben. Zudem gilt es Pensionierungen zu verschieben oder Frühpensionierungen zu verhindern. Damit die über 55-Jährigen weniger zahlreich aus dem Arbeitsmarkt rausfliegen, brauchen sie eine Umschulung oder Weiterbildung, um für die Arbeitswelt von morgen fit zu bleiben.

Auch die Digitalisierung verlangt nach immer mehr Weiterbildung?
Richtig, der technologische Wandel führt dazu, dass sich Jobs schnell verändern, zum Teil gar ganz verschwinden. Das gilt für alle Branchen, auch wenn sich die Geschwindigkeit und Intensität je nach Branche unterscheidet. Wenn sich der Job verändert, dann muss ich mich auch verändern, den Job ständig neu lernen. Das macht Weiterbildung in Zukunft noch wichtiger.

Wer muss sich darum kümmern – die Angestellten oder die Firma?
Der Einzelne hat die Verantwortung, für seine Arbeitsmarktfähigkeit zu sorgen. Doch auch die Unternehmen müssen sich mit der Arbeitsmarktfähigkeit ihrer Angestellten auseinandersetzen. Es gibt Branchen, denen war das bis jetzt eher egal.

Welchen Branchen?
Der Finanzbranche zum Beispiel. Man hat sich zwar um Talente und Ausbildung gekümmert, die Weiterbildung aber öfter vernachlässigt. Man könnte etwas vereinfacht sagen: Die Banken haben die Jungen ausgebildet und die Älteren (früh)pensioniert. Das geht heute immer weniger. Wir bewegen uns auf einen für viele Firmen schwierigen Arbeitsmarkt zu.

Nach der Ausbildung ist vor der Weiterbildung, das lebenslange Lernen ist Pflicht?
Ja! Ich sage jedem Studienabgänger, dass mindestens zwei grössere Weiterbildungen in einer Karriere anstehen. Das ist für jemanden, der gerade sein Studium abgeschlossen hat, schwer zu verdauen. Praxiserfahrung zu sammeln, ist auch wichtig, aber spätestens nach fünf Jahren gilt es mit der Planung der nächsten grossen Weiterbildung zu beginnen.

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