«Es ist gefährlich, an den Grundpfeilern herumzuschrauben»
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Gegen Alkohol in der Migros:«Es ist gefährlich, an den Grundpfeilern herumzuschrauben»

Ex-Migros-Chef Herbert Bolliger kämpft gegen den Alkohol – im exklusiven Interview attackiert er die jetzige Führung
«Wissen die noch, in welchem Unternehmen sie arbeiten?»

Alkohol in der Migros? «Der Imageschaden wäre riesig», sagt Herbert Bolliger. Der Ex-Chef des orangen Riesen kämpft gegen die Aufhebung des Alkoholverbots und schiesst im exklusiven Blick-Interview gegen die aktuelle Führung.
Publiziert: 29.04.2022 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 29.04.2022 um 08:13 Uhr
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Kaffee: ja, Alkohol: nein! Ex-Migros-Chef Herbert Bolliger kämpft gegen die Aufhebung des Alkoholverbots in der Migros.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Christian Kolbe

Der ehemalige Migros-Chef Herbert Bolliger (69) ist der prominenteste Kämpfer gegen die Aufhebung des Alkoholverbots in der Migros. Am 4. Juni lässt der orange Riese darüber abstimmen. Wird die Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht, gibt es in den Supermärkten künftig Alkohol zu kaufen. Bolliger hat einige seiner engsten Mitarbeiter aus seiner Zeit an der Spitze der Migros um sich geschart, um genau dies zu verhindern.

Die sogenannte Gruppe für die M-Werte will das Erbe von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler (1888–1962) verteidigen. Blick trifft Bolliger im Zürcher Kulturtempel Kosmos, unweit der Migros-Zentrale am Limmatplatz. Das Thema wirft grosse Wellen, selbst Radio- und TV-Stationen aus dem Ausland wollen Interviews.

Blick: Falls Sie gewinnen, womit werden Sie anstossen?
Herbert Bolliger: Mit einem Glas Champagner oder auch mit einem Bier, sicher nicht mit Wasser.

Den Alkohol müssen Sie aber bei der Konkurrenz einkaufen.
Nein, wir werden in einem guten Restaurant essen gehen. Das Restaurant können wir bereits jetzt reservieren, da es sicher ein Nein geben wird. Offen ist einzig die Frage, ob alle zehn Genossenschaften das Alkoholverbot beibehalten werden.

Was macht Sie so siegessicher?
Von den stimmberechtigten Genossenschaftern werden die jungen, gesundheitsbewussten Mütter und eher die Älteren an die Urne gehen oder ihre Karte zurückschicken. Ältere Leute sind noch stärker mit der Geschichte der Migros verbunden, sie kennen die Hintergründe des Alkoholverbots. Dagegen wird es schwierig werden, die ganz Jungen zu mobilisieren, ein Ja für Alkohol in die Urne zu legen. Sie wissen längst, wie sie anderswo Bier, Wein und Spirituosen einkaufen können.

Es braucht eine Zweidrittelmehrheit für eine Änderung.
Das ist eine zusätzliche – und sehr hohe – Hürde. In der Politik würde man in diesem Fall von einem Erdrutschsieg reden, der nötig wäre. Den wird es nicht geben!

Spüren Sie Unterstützung in der Bevölkerung?
Viele Menschen sprechen mich auf meinen Kampf gegen die Aufhebung des Alkoholverbots an. Kürzlich ist in Wettingen ein Gemeinderat mit dem Velo an mir vorbeigefahren. Mit erhobenem Daumen zeigte er mir seine Unterstützung an.

Zeichnet sich eine ziemliche Schlappe für die Chefetage der Migros ab?
Alle, die sich bis jetzt geäussert haben, sind eher dafür, zum Beispiel die beiden Vorsteher der Genossenschaften Zürich und Luzern. Fast alle regionalen Verwaltungen haben ein Ja beschlossen, selbst der Migros-Genossenschafts-Bund MGB ist für ein Ja. Es gibt niemanden, der die Nein-Parole ausgegeben hat. Ein Nein wäre eine gewaltige Klatsche für die Migros-Führung. Ich frage mich, ob die überhaupt noch wissen, in welchem Unternehmen sie arbeiten.

Was heisst das?
Ich frage mich: Haben sie sich denn nie vertieft mit der Geschichte der Migros auseinandergesetzt? Als ich bei der Migros angefangen habe, war die Historie allgegenwärtig. Und zum Fundament der Migros gehört eben auch, dass kein Alkohol verkauft wird. Dass man bereit ist, dieses Erbe, das die Einzigartigkeit ausmacht, einfach so über Bord zu werfen, das verstehe ich nicht.

Wäre es denn wirklich so schlimm, fiele das Alkoholverbot?
Ja, das ist einer der Pfeiler der Migros. Es geht doch nicht darum, einfach ein paar Bierflaschen ins Regal zu stellen. Es geht doch um viel mehr!

Macht das so richtig sauer?
Ich bin immer noch sehr stark emotional mit der Migros verbunden. Mir stehen die Haare zu Berge, wie leichtfertig die Genossenschaften diese Abstimmung angesetzt haben. Überall wird betont, dass die Migros das einzige Unternehmen weltweit mit demokratischer Mitbestimmung sei. Man ist stolz auf den demokratischen Prozess und wirft dafür andere Werte über Bord.

Gehört der demokratische Prozess nicht auch zu den Migros-Werten?
Das ist richtig. Aber ist die Alkoholfrage wirklich die wichtigste aller Fragen in der Migros? Wenn dem so wäre, dann wäre ich der Erste, der sich für eine Abstimmung einsetzen würde. Aber ich sehe wirklich nicht, dass die Migros wahnsinnig unter Druck wäre, unbedingt diese Frage klären zu müssen!

Das könnte zusätzlichen Umsatz bringen.
Wenn das die einzige Möglichkeit ist, um zusätzlichen Umsatz zu generieren, dann ist die Migros arm dran. Es gibt gescheitere Ideen, um den Umsatz zu steigern! Das sieht für mich nach einer Notlösung aus, man kann ja auch mal auf Umsatz verzichten – so wie bis anhin beim Alkohol.

Bei Denner, Migrolino oder im Onlineshop gibt es ja bereits Kanäle für den Verkauf von Alkohol im orangen Imperium. Besteht die Gefahr der Kannibalisierung?
Ja, sicher droht eine Kannibalisierung der eigenen Absatzkanäle. Nur wegen der Aufhebung des Alkoholverbots in der Migros wird ja in der Schweiz nicht mehr Alkohol konsumiert, der Kuchen wird nur anders verteilt.

Falls sich Ihre Prognose bewahrheitet, müsste dann ehrlicherweise auch bei Denner oder Migrolino Alkohol aus den Regal verschwinden?
Nein, das muss er nicht. Denn der Alkoholverkauf ist in der Gruppe gewachsen, es sind neue Kanäle und Ladenketten dazu gekommen. Ehrlichkeit in diesem Fall bedeutet für mich, dass es keinen Alkohol im orangen Kern der Migros gibt, den Supermärkten, die auf den Gründer Duttweiler zurückgehen. Dutti selbst war ja beim Alkohol nicht ganz konsequent: Er hat in den 1930er-Jahren Detaillisten mit Migros-Produkten beliefert. In diesen sogenannten Giro-Läden gab es sehr wohl Alkohol.

Wäre der Imageschaden gross, wenn in den Supermärkten Alkohol verkauft würde?
Der Imageschaden wäre riesig! Denn die Migros, das sind gute Qualität zu günstigen Preisen, Genossenschaften, das Kulturprozent und das Alkoholverkaufsverbot. Stürzt einer dieser Pfeiler, wäre das ein enormer Verlust.

Hätte Alkohol einen Einfluss auf das Sortiment?
Gerade in kleineren Filialen ist der Platz sehr begrenzt. Wenn dort plötzlich Wein und Bier verkauft wird, fliegen andere Produkte aus den Regalen. Das führt immer zur Verärgerung von Kundinnen und Kunden, die ihre bevorzugten Artikel nicht mehr finden.

Für alt Bundesräte gibt es eine Art Maulkorb, gilt das nicht auch für einen alt Migros-Boss?
Ich mische mich nie in das tägliche, das operative Geschäft ein. Aber bei dieser Abstimmung bin ich ja als Genossenschafter gefragt, ich muss meine Stimmkarte ausfüllen und abgeben. Für mich geht es dabei um viel mehr als die Frage, Bier ja oder Bier nein.

Sie wollten auch Inserate schalten?
Ja, im «Migros-Magazin». Das ist die Mitgliederzeitung. Und ich bin ja Mitglied in diesem ‹Verein›, so wie viele andere Genossenschafter auch. Warum stellt man Mitgliedern aus dem Nein-Lager keinen Platz zur Verfügung? Das verstehe ich nicht.

Sie wirken etwas verbittert?
Nein, überhaupt nicht. Aber wenn man schon so stolz auf diesen weltweit einzigartigen demokratischen Prozess ist, dann sollte man auch bereit sein, einen lebendigen Abstimmungskampf zu führen.

Gründer Duttweiler ging es um die Volksgesundheit. Das klingt doch sehr verstaubt. Müsste man die Migros-Werte ab und zu etwas anpassen?
Volksgesundheit klingt tatsächlich altmodisch, aber Gesundheit ist ein grosses Thema. Es gibt unzählige Gesundheitsmagazine oder TV-Sendungen. Gesundes Leben, bewusste Ernährung, viel Bewegung: Das ist auch ein strategischer Pfeiler der Migros, die Fitnessstudios, die Arztpraxen, das grosse Sortiment an salz-, zucker- oder fettreduzierten Produkten. In dieses Umfeld passt Alkohol wie die Faust aufs Auge.

Ein Glas Rotwein muss nicht ungesund sein.
Stimmt. Aber eine Flasche Bordeaux oder eine Flasche Whisky sind kaum Bestandteil der Gesundheitsförderung. Mir geht es in erster Linie um Werte. Die Migros ist die einzige Supermarktkette weltweit, die keinen Alkohol verkauft. Das ist einzigartig. Dieses Verbot war Dutti wichtig, darauf könnte man auch stolz sein.

Droht in der Migros nach der Abstimmung ein Röstigraben?
Das könnte passieren. Es gab schon einmal eine Konsultativabstimmung zum Alkohol. Da haben die welschen Genossenschaften und das Tessin dafür gestimmt. Wenn man schon die ganze Migros-Gemeinschaft abstimmen lässt, warum gibt es dann keinen Mehrheitsentscheid? Oder eine Art Ständemehr: Sagen sieben von zehn Genossenschaften Nein, dann gilt das Alkoholverbot weiterhin in allen Supermärkten. Und natürlich umgekehrt. So droht nun ein Flickenteppich.

Was ist denn so schlimm an diesem Flickenteppich? Die meisten Migros-Kunden dürften eine oder zwei Stammfilialen haben.
Es macht einfach keinen Sinn, in der einen Genossenschaft Alkohol zu verkaufen und in der anderen nicht. Wenn es in einzelnen Genossenschaften Alkohol gibt, dann ist der Wert «alkoholfrei» für alle Supermärkte endgültig verloren. Die Migros verliert diesen Grundwert, obwohl es gar nicht in allen Filialen Alkohol gibt. Das ist doch das Allerdümmste! Sie haben den Imageschaden und nicht überall Zusatzeinnahmen durch den Alkoholverkauf. Das ist ein hoher Preis, den man dafür bezahlt.

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