Auf einen Blick
In der Welt der Wirtschaft werden erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer fast schon kultisch verehrt. Elon Musk und Peter Spuhler, Alibaba-Lichtgestalt Jack Ma oder Bodyshop-Gründerin Dame Anita Roddick – alles Anreisser und Antreiber, die sich mit «skin in the game» ans Werk machten, also mit persönlichem Risiko ins geschäftliche Risiko gingen und unermüdlich dranblieben: Dem Entrepreneur ist nichts zu schwör.
Sehr viel weniger Ruhm kommt Menschen zu, die als Angestellte im Unternehmen für Innovation sorgen. Ein solcher sogenannter «Intrapreneur» ist Zubin Karkaria. Als Angestellter beim früheren weltweiten Schweizer Reisegiganten Kuoni in Indien kam ihm vor über zwanzig Jahren eine Idee. Eine Idee, die heute Milliarden von Dollar wert ist.
Visa-Anträge sind für Reisende eine aufreibende Sache und für die ausstellenden Länder eine mühsame Arbeit. Wie wäre es, dachte sich der Betriebswirtschaftler aus Mumbai, wenn Regierungen diesen Job an ein spezialisiertes Unternehmen auslagern würden? 18 Monate brauchte Karkaria, bis er 2001 in der US-Regierung einen ersten Kunden gefunden hatte. Das war der Zünder für die Geschäftsidee – und für Karkarias Karriere.
Vom Kuoni-Intrapreneur zum Kuoni-Chef
In kurzer Zeit wurde VFS Global innerhalb von Kuoni zur profitabelsten und wachstumsstärksten Sparte – und Karkaria selber trat von Indien her einen Karrieresprung an, der ihn 2015 zum Chef von ganz Kuoni machte. Gefragt nach seinen Führungsprinzipien, zeigte Karkaria im Gespräch mit der «Handelszeitung» durchaus auch ein Unternehmer-Gen: «Ein Chef muss seine Leute so managen, dass diese das Geschäft managen können.» Kluge Köpfe, so der indische Senkrechtstarter, «sind der grösste Aktivposten ausserhalb der Bilanz».
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Zwar gibt es den einst ikonischen Kuoni-Konzern heute in dieser Form nicht mehr – doch VFS Global mit Sitz in Dubai und offiziell auch Zürich ist immer noch weltweiter Marktführer für Visa- und Konsulardienste.
Karkarias Idee, die «Forbes» mal als «one-stop visa shop» bezeichnete und heute in Anlegerkreisen auch als «Consular-Tech» gilt, ist zum begehrten Investmentziel geworden. Das sickerte vergangene Woche durch, weil der US-Wirtschaftsdienst Bloomberg vermeldete, dass Singapurs Staatsfonds Temasek dem bisherigen Hauptbesitzer Blackstone eine Minderheitsbeteiligung an VFS Global abkaufen wolle. Sollte ein Deal zustande kommen, so Bloomberg, würde dies das ganze Unternehmen mit rund 7 Milliarden Dollar bewerten. Nicht nur für Karkaria, sondern auch für die Investoren hat sich spätestens jetzt erwiesen, wie lukrativ dieses Geschäft ist. In Visum veritas.
Offiziell wollen Blackstone und VFS den möglichen Deal nicht kommentieren. Aber öffentlich verfügbare Informationen und Hintergrundgespräche zeigen ein umfangreiches Bild des globalen Geschäfts. Die Zahlen sind eindrücklich: VFS Global betreut 67 Kundenregierungen über rund 3353 Visumantragszentren in 149 Ländern auf 5 Kontinenten. Seit der Gründung hat das Unternehmen mehr als 278 Millionen Anträge und über 130 Millionen biometrische Erfassungen bearbeitet. Ebenso eindrücklich ist der kolportierte Unternehmenswert von 7 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Das ist mehr als der Börsenwert des Zürcher Flughafens (6,36 Milliarden Dollar) oder von Emmi (5,55 Milliarden) und rund doppelt so viel wie derjenige der St. Galler Kantonalbank (3,48 Milliarden).
Nach der Pandemie wieder im Aufschwung
Natürlich wurde auch VFS Global stark von Corona getroffen. Während die weltweite Pandemie die Zahl der Visaabwicklungen kräftig nach unten drückte, schlug Blackstone 2021 zu. Für 1,87 Milliarden Dollar kaufte der amerikanische Private-Equity-Riese 75 Prozent vom damaligen Mehrheitseigner EQT Private Equity und der Kuoni und Hugentobler Stiftung – und bewertete das Unternehmen so mit 2,5 Milliarden Dollar.
Das Investment hat sich für Blackstone offenbar ausgezahlt. Wenn der Temasek-Deal so läuft wie vermutet, hat sich der Wert von VFS Global innert drei Jahren fast verdreifacht.
Die Wertsteigerung erfolgt trotz Pandemie, die das Geschäft 2020 schlagartig einbrechen liess: 76 Prozent weniger Visaanträge, 68 Prozent weniger Gewinn. Dazu kam ab Februar 2022 der Krieg in der Ukraine, der Ein- und Ausreisen in der Ukraine und Russland dezimierte. Erst in diesem Jahr könnte VFS darum das Vor-Corona-Niveau von 2019 – 27,4 Millionen Anträge – übertreffen. Allein zwischen Januar und Mai 2024 wurden nach Angaben des Unternehmens täglich 100’000 Anträge bearbeitet.
Mitbewerber und Länder als Konkurrenz
In der Regel läuft das Geschäft so, dass Länder mit sogenannten Tendern, weltweiten Ausschreibungen, Dienstleister für den Visajob suchen. VFS Global trifft dabei immer wieder auf die gleichen Mitbewerber. Neben dem Marktführer aus Dubai gelten TLS Contact aus Frankreich, BLS International aus Indien und CIBT aus den USA als ständige Favoriten. Die Verträge laufen in der Regel drei bis fünf Jahre, oft auch mit der Option auf Verlängerung.
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Eine eigentliche Konkurrenz für das Visa-Outsourcing-Business sind aber auch die Länder selbst. Nämlich dann, wenn sie beschliessen, den Tourismus anzukurbeln und deshalb kurz- und mittelfristig die Visapflicht auszusetzen. Dass ausgerechnet Singapurs Staatsfonds – der Stadtstaat gilt als das Land mit der höchsten Reisefreiheit der Welt – bei VFS Global einsteigen will, kann da als Funfact gelten. Es zeigt aber auch, wie viel Potenzial noch in dem Unternehmen aus den Emiraten steckt.
Fokus auf Indien
Visaexperten sehen zwar vereinzelte Trends zur Visabefreiung, weisen aber auch darauf hin, dass die zunehmenden nationalistischen Bewegungen in vielen Ländern dafür sorgen, dass Regierungen künftig noch genauer wissen wollen, wer ins Land kommt. Was sie zu noch besseren Kunden für ausgelagerte Visaprozessdienstleister machen sollte. In Indien etwa bietet VFS unter anderem die Visaantragsdienste für die US-Konsulate an. So dürfte VFS auch das Interesse von Temasek geweckt haben: Wie viele internationale Investoren konzentriert sich der singapurische Staatsfonds – angelockt vom rasanten Wirtschaftswachstum – zunehmend auf Indien und hat in den letzten zwei Jahrzehnten bereits fast 37 Milliarden Dollar im bevölkerungsreichsten Land der Welt investiert. Wachstum wird auch erwartet, wenn chinesische Touristinnen und Touristen wieder vermehrt international reisen.
Für Zubin Karkaria jedenfalls ist klar, dass die Reise noch lange kein Ende hat. Gegenüber dem Middle-East-Newsportal «The National» gab sich der Intrapreneur jedenfalls sehr selbstbewusst: «Das Potenzial ist riesig.»