Auf einen Blick
Dieses Büro hätte einiges zu erzählen. Karg möbliert mit kaum mehr als Pult, Besprechungstisch und kniehohen Buchgestellen, oben im 17. Stock des «Turms», wie sie bei Lonza ihren Basler Hauptsitz nennen. Hier arbeitete sieben Jahre lang Richard Ridinger, der Anfang 2019 unter dem neuen Chairman Albert Baehny hurtig das Büro räumen musste. Ridingers Kurzzeit-Nachfolger Marc Funk zog erst gar nicht ein und blieb in seinem etwas kleineren Büro, das er als vorheriger Divisionsleiter einige Türen weiter unterhielt.
Funks Job übernahm Baehny Anfang 2020 im Doppelmandat, lenkte Lonza aus diesem Büro genauso wie Pierre-Alain Ruffieux, der Lonza von November 2020 bis Herbst 2023 operativ führte, bis sich wieder Baehny ans Steuer setzte – der dann im ersten Halbjahr 2024 sowohl das Präsidium als auch den Job des CEO abgab. Seit Juli sitzt hier, mit Nordost-Panoramablick über Basel, Wolfgang Wienand.
Drei erzwungene Abgänge und zwei Perioden mit Doppelmandat: Von den Dramen, die sich in diesem Büro abgespielt haben mögen, ist an Wienand nichts hängen geblieben. Gut gelaunt und aufgeräumt wie sein Arbeitsplatz begrüsst er zu seinem ersten Gespräch als Lonza-Chef. Ein fester Händedruck, dann setzt er sich an den Sitzungstisch, bittet vorab noch um einen Cappuccino, der anschliessend eine Stunde lang unberührt vor ihm abkühlen wird – als ob Wienand keinerlei Ablenkung akzeptieren möchte. Ganz in diesem Sinn hatte er schon 2021 in einem Interview gesagt: «Absoluten Fokus auf einen Punkt, das habe ich beim Fechten gelernt.»
Bei Lonza war viel los in den vergangenen Jahren. «Die zahlreichen Führungswechsel hatten das Team etwas verunsichert», sagt Wienand, was ihm für seinen eigenen Start aber sogar «eine Chance» geboten habe: «Es gibt eine grosse Offenheit für Klarheit, Struktur und auch Leadership.» Davon kann Wienand einiges bieten – als ehemaliger Leistungssportler wuchs er in die Weltspitze mit einer Kultur dauerhaften Feedbacks, ständiger Verbesserungsprozesse, des Motivations- und Selbstmanagements. Wienand war über mehrere Jahre einer der besten, zeitweise der beste Florettfechter der Welt.
Bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta war er Vierter geworden; für ihn enttäuschend, nachdem er in einem herausragenden Viertelfinale den kubanischen Weltmeister Rolando Tucker geschlagen, dann jedoch über die endlose Wartezeit bis zum Halbfinale den «Flow» verloren hatte. Wie als Trotzreaktion holte er in der folgenden Saison den Gesamtweltcup, focht sich an die Spitze der Weltrangliste und gewann zahlreiche Weltcupturniere.
«Glücksfall für Lonza»
Nicht weniger erfolgreich war er als Manager. In seiner Zeit als CEO beim Pharmazulieferer Siegfried, wo er zu Jahresbeginn 2019 den Chefsessel übernommen hatte, bugsierte er das eher behäbige Schweizer KMU mit Zukäufen und organischem Wachstum «in eine neue Grössenordnung», sagt ein langjähriger Pharmamanager, «sodass das Unternehmen nun auch international grosse Beachtung findet», bei Investoren wie auch potenziellen Industriekunden. Wienand sei bei Siegfried aber allmählich «an die Decke gestossen». Mit seiner Ambition und Weitsicht, aber auch operativen Skills sei er «eine Ausnahmeerscheinung» und «ein Glücksfall für Lonza».
Die Vorschusslorbeeren sind also gewaltig. Zumal sich die Siegfried-Aktie während seiner CEO-Zeit in etwa verdoppelte und bis heute, da Wienands Entscheide noch nachwirken, nahezu verdreifacht hat, während er die Lonza-Aktie stabil auf der Position als bestes Investment des Jahres im Börsenindex SMI hält – gleich zwei Unternehmen, deren Performance sich Wienand zurechnen lassen kann. Am 12. Dezember präsentiert er nun seine Ideen an einem «Investor Update», das erklärtermassen nicht als vollumfänglicher «Capital Market Day» gelten soll. Dennoch werden hier erste Weichenstellungen erwartet, die Wienand Lonza angedeihen lassen will.
Wie Siegfried ist Lonza im sogenannten CDMO-Geschäft tätig, in der Auftragsfertigung komplexer Wirkstoffe für Pharmahersteller. Lonza allerdings agiert in Geschäftsfeldern, die Siegfried erst unter Wienand betreten hat oder noch immer Neuland wären, Lonza ist zudem «Erfinder» und Weltmarktführer dieses Geschäftsmodells und mit nahezu sieben Milliarden Franken Umsatz und 18'000 Mitarbeitern etwa fünf Mal so gross wie Siegfried. Lonza «bieten sich riesige Opportunitäten, fast einmalige, damit verbunden sind aber auch grosse Herausforderungen», sagt Wienand. Und fügt hinzu: «Das war mir allerdings schon aus der Aussensicht klar.»
Wolfgang Wienand ist nicht nur Sportler, sondern vor allem vom Fach. Er studierte Chemie in Bonn, genoss Begabtenförderung der Studienstiftung des deutschen Volkes, schloss mit Bestnote ab, erwarb anschliessend in Köln den Doktortitel. Schon sein Vater war Naturwissenschaftler, promovierter Physiker, arbeitete beim Chemieriesen Bayer, der in der Nachbarstadt Leverkusen sitzt, die Mutter Lehrerin, Wolfgang Einzelkind, bis heute leben die Eltern nahe Köln in Bergisch Gladbach. Nach ersten Berufsjahren beim Chemiekonzern Evonik stiess er im August 2010 zu Siegfried.
Geholt hatte ihn Rudolf Hanko – auch Deutscher, auch promovierter Chemiker, auch er kam von Evonik. Beide arbeiteten eng zusammen, wurden gern als «Vater und Sohn» bezeichnet. Wienand leitete zunächst die Entwicklungsabteilung, danach die Bereiche Recht, Patente, M&A und Strategie, ab 2017 zusätzlich wieder die Entwicklung, absolvierte auch einen Executive Master an der Pariser Wirtschaftshochschule HEC. Hanko hatte bereits den Umbau der Siegfried von einer zerfaserten Pharma-Bude mit 300 Millionen Franken Umsatz zum fokussierten Auftragsfertiger vorangetrieben – Wienand, der ihm zu Jahresbeginn 2019 als CEO folgte, setzte diesen Weg fort, beschleunigte das Wachstum noch. In seiner Zeit stieg der Umsatz von knapp 800 Millionen auf fast 1,3 Milliarden Franken.
Klare Rollenverteilung
Mitte September 2023 meldete Lonza den Abgang von CEO Pierre-Alain Ruffieux. Ende Januar war der Nachfolger Baehnys als Präsident gefunden, antreten würde er zur Generalversammlung Anfang Mai 2024: Jean-Marc Huët, professioneller Verwaltungsrat, Chairman des Biermultis Heineken und vormaliger Finanzchef der Industrieperlen Unilever und Bristol Myers Squibb, davor zehn Jahre Investmentbanker bei Goldman Sachs. Wienand und Huët verstanden sich von Anfang an bestens. «Wir haben schnell festgestellt, dass wir dieselben Werte teilen, Herausforderungen auf ähnliche Weise angehen.»
Man tauschte sich über Inhaltlich-Formales aus, über Strategieformulierung, Umsatz und Wachstumspläne, aber auch über die menschliche Seite des Berufs – auf welche Weise man Konflikte auflöst, wie wichtig man sich selbst und seine Position nimmt, «es war die Art Gespräch, das auf eine Stunde angesetzt ist und sich dann ungeplant auf fünf Stunden erstreckt, weil es von alleine vorwärtsrollt und die Zeit verfliegt», erinnert sich Wienand; ein Insider berichtet von «schnell erkennbarer gegenseitiger Sympathie und Respekt». Wichtig war Wienand wohl auch: «Wir teilen dasselbe Rollenverständnis.» Soll heissen: Der CEO leitet verantwortlich, der Präsident sorgt dafür, dass die grosse strategische Linie stimmt, präsidiale Übergriffe ins Operative unterbleiben, Notfälle natürlich ausgenommen. Dafür hält der CEO aber in etwaigen Krisen auch den Kopf hin.
Der Auswahlprozess, berichtet ein Insider, wurde «sauber zu Ende gebracht», zumal dem Board nach den zahlreichen Chefwechseln wohl ein unangreifbarer Prozess wichtig war. Die formale Jobofferte erreichte Wienand dann am Gründonnerstag vor Ostern, im Familienurlaub in Japan. Im Kloster Koyasan südlich von Osaka, wo die Wienands in diesen Tagen übernachteten, unterschrieb er elektronisch. Kurz entschlossen flog er am Ostermontag zurück, um zur Verkündung des Wechsels bei Siegfried vor Ort zu sein, «weil ich dem Team persönlich in die Gesichter schauen wollte, die Menschen dort liegen mir ja immer noch am Herzen». Es sei fast noch wichtiger, wie man geht, als wie man ankommt, sagte er einmal einem Bekannten. Dann flog er zurück, brachte die Ferien zu Ende. Mit seiner Frau hat Wienand drei Söhne, 13, 15 und 17 Jahre alt.
Die freien Wochen bis zum Amtsantritt in Basel nutzte er, um «zu Hause einige Dinge zu erledigen», seit Jahrzehnten hatte er keine längere Pause mehr. Aber natürlich habe er sich «nebenbei auch schon gedanklich auf Lonza vorbereitet», sagt Wienand. Diese «Vorbereitung auf neue Situationen, wie er es wohl im Sport gelernt hat, zeichnet ihn besonders aus», sagt Colin Bond, früherer CFO bei Vifor und Sandoz und ab 2013 ein Jahrzehnt lang Verwaltungsrat bei Siegfried.
Druck und Leistung
«Sport war für mich formend», bestätigt Wienand: «Als Person für meine Handlungsmuster, Selbstmanagement, Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit, Umgang mit extremem Druck.» Wer verschwitzt von der Fechtbahn tritt und mental wie körperlich ausgelaugt einen Monolog des Trainers über sich ergehen lassen darf, was alles besser werden müsse, und das trotz gewonnenem Kampf im fortgeschrittenen Stadium eines Weltcupturniers – der entwickelt eine gewisse Demut und Offenheit für Feedback von aussen, jedenfalls solange es mit einer positiv-bestärkenden Haltung vorgetragen wird.
Fechten, sagt Wienand, sei einerseits ein sehr strategischer Sport, «vergleichbar mit Schach», man brauche einen Plan, den man aber im Lauf des Gefechts situativ anpassen können müsse, andererseits ein echter Kampfsport, in dem man «mit breiten Schultern und Selbstbehauptungswillen dem anderen entgegentreten und signalisieren muss: Nicht du – sondern ich.» Den sportlichen Siegeswillen, sagt Wienand, «bringe ich auch zu Lonza mit: Wir stehen in hartem Wettbewerb, und diesen Wettbewerb will ich mit dem Team gewinnen» – aber sportlich fair müsse es zugehen, «deshalb forciere ich Integrität als Corporate Value».
Fechten ist ein ausgesprochener Einzelsport. Doch dass der beschworene Teamgeist von Wienand keine leere Formel ist, bestätigt Arnoud Middel, Chief Human Resources bei Straumann und bis 2023 mehr als ein Jahrzehnt in gleicher Funktion bei Siegfried. Laut Middel sei Wienand «ein super Teamplayer, hat bei Siegfried ein starkes Team gebaut und auf die gemeinsamen Ziele ausgerichtet; er sagte häufig, wir sind eine We-Company, keine I-Company». An Standorten, die er einmal besucht habe, erinnere er sich auch nach Jahren noch an die Leute, «ist wirklich an den Menschen interessiert, und an einer starken Unternehmenskultur». Colin Bond fiel insbesondere sein «Understatement» auf: «Dass er ein ehemaliger Weltmeister ist, habe ich erst nach drei, vier Jahren und eher nebenbei von ihm erfahren.» Vielen erzähle er «gar nichts darüber».
Wie es konkret war, mit Wienand zu arbeiten, berichtet ein Mittelmanager von Siegfried: Der CEO habe «sehr viel gearbeitet», fordere viel und sei sehr ambitioniert, aber zugleich angenehm und «äusserst korrekt im Umgang». Er liebe es, Vorschläge oder Annahmen zu hinterfragen, spielerisch von verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, häufig falle der Satz «Haben wir wirklich an alles gedacht?». Bei Betriebsfeiern drücke er sich nicht, sondern sei am Start, und in den späteren Abendstunden lasse er in seinem Büro gern Musik laufen. Verbürgt ist eine Vorliebe für die deutschen Sänger Jan Delay und Paul Kalkbrenner sowie die US-Band Imagine Dragons, ganz besonders deren Song «Whatever It Takes».
Wienand folge einem Führungsmechanismus, den er selbst «Zoom in, zoom out» nennt. Demnach «zoome» er sich tief hinein in für die Firma elementare Fragestellungen, die ein «Must-win-battle» bedeuten. Hier wolle er die Details verstehen, auch seinen Input einbringen, ohne jedoch die Entscheide an sich zu reissen; er «zoomt» sich dann hinaus, um den zuständigen Manager nicht um seine Bereichshoheit zu bringen. Damit nicht die Mitarbeiter künftig stets darauf warten, dass Papa kommt und die Dinge regelt.
Die Übernahme der CEO-Geschäfte bei Lonza verlief reibungslos: «Wenige Gespräche, in denen Albert Baehny alle wichtigen Informationen bereitwillig geteilt hat, dann ein klarer Schnitt, und ich habe übernommen.» Wienand hatte Baehny erst im Lauf des Bewerbungsprozesses kennengelernt. Dass beide mehrere Wochen lang gemeinsam den Übergang orchestrieren, hatten Beobachter ohnehin für unrealistisch gehalten; «eine Firma verträgt nur einen Alpha», sagt ein Investor. Bei den 40 wichtigsten Kunden stellte sich Wienand gleich am ersten Arbeitstag schriftlich vor.
Check-in-Meeting
Drei Tage nach seinem Antritt versammelte Wienand die Lonza-Konzernleitung zum «Check-in-Meeting», im Gepäck Fakten und Eindrücke, die er vorab in Gesprächen mit diversen Stakeholdern, auch Verwaltungsräten, gesammelt hatte. Natürlich habe er seine eigenen Ideen, aber «ich drücke die nicht durch», sondern das Ziel sei, gemeinsam vielleicht «noch etwas Besseres» daraus zu machen. Er liess also seine Hypothesen diskutieren, fand viele bestätigt, andere anpassungsbedürftig und führte alles in einem 100-Tage-Plan zusammen, der konkrete Aktionen inklusive Verantwortlichkeiten definierte.
Am «Investor Update» wird Wienand erstmals Investoren seine Pläne präsentieren. Konkrete Massnahmen werden der grundsätzlichen Ambition folgen: «Wir sind Pionier und Weltmarktführer in unserer Industrie, das wollen wir verteidigen und ausbauen.»
Als CDMO, Contract Development Manufacturing Organization, agiert Lonza in der Rolle einer Werkbank und Entwicklungsabteilung von Pharmaherstellern – Grosskonzernen wie Start-ups. Sie treten etwa mit einem Wirkstoffmolekül an Lonza heran, weil ihnen selbst Wissen oder Kapazität fehlt, daraus einen industriellen Herstellungsprozess zu designen und, respektive oder, die Arznei dann selbst in grösserem Massstab zu produzieren – klassisch chemisch komponiert als «Small Molecules» oder in Bioreaktoren wie etwa den Eierstockzellen eines Hamsters als «Biologics» oder in der fortgeschrittensten Variante namens «Cell & Gene», in der das Produkt aus genetischen Informationen besteht, die dem Patienten per Spritze injiziert werden, sodass sein Körper selbst den notwendigen Wirkstoff herstellt. Diese drei Bereiche eint ihr Geschäftsmodell: Entwicklung und Produktion als Dienstleistung für den Kunden. Diesen Teich bevölkern in der Schweiz auch die Wettbewerber Bachem, Dottikon, PolyPeptide, KD Pharma – und Siegfried, doch keiner hat die Grösse oder inhaltliche Breite wie Lonza, die sich mit hohem technologischem und regulatorischem Know-how und Vorsprung den Spitzenplatz der Branche erarbeitet hat.
Daneben betreibt Lonza ein «echtes» Produktgeschäft mit Kapseln, die an Pharmafirmen verkauft und dort mit Wirkstoffen gefüllt werden. Es bringt etwa ein Fünftel des Umfangs der CDMO-Bereiche auf die Waage.
Die Nachfrage nach den CDMO-Dienstleistungen wächst, während die Kapazitäten knapp bleiben; der Markt kommt auf Lonza zu. Doch um die Spitze zu behaupten, muss Wienand die Gretchenfrage beantworten: «Woher wir zusätzliche Kapazität bekommen und woher zukunftweisende Technologien», also neue Produktionsmittel und neuartige Wege, um aus Kunden-Molekülen industriell produzierbare Medikamente zu bauen. Im CDMO-Geschäft geht es vor allem um Kosteneffizienz, sagt Wienand: «Wir sind keine Pharma Company, sondern eine Manufacturing Company – wir müssen günstiger produzieren und bauen als unsere Kunden.»
Die Frage des Kapazitätsaufbaus beantwortete Lonza in der Vergangenheit eher mit eigenen Bauprojekten, vor allem am Standort Visp im Wallis, der Blick «war eher nach innen gerichtet», sagt Wienand vornehm. Er könne sich vorstellen, «passende Gelegenheiten vorausgesetzt, dass wir das stärker ausbalancieren werden». Sprich, externe Kaufgelegenheiten nutzen: Wenn ein Pharmamulti eine Fabrik nicht mehr mit der eigenen Produktpalette auslasten kann, diese übernehmen und dank dem grossen Lonza-Kundenportfolio effizienter betreiben. So wie das Werk der Roche-Tochter Genentech im kalifornischen Vacaville, das Lonza gerade für eine gute Milliarde erworben hat.
Intuition für die Firma
Wienand war bereits vor Ort, sprach mit den Mitarbeitern, nicht nur den Standortbossen, unternahm mit einigen Spaziergänge, «ich teile mein Denken nicht nur mit dem Führungsteam, sondern mit jeder und jedem aus der Mannschaft». Das helfe ihm zudem, eine Intuition für die Firma zu entwickeln – Zahlen und Daten seien zu wenig, um ein Unternehmen zu verstehen, und «wenn sich Probleme in Zahlen niederschlagen, ist es schon zu spät».
In der Leistungssportler-Fördergruppe der deutschen Bundeswehr lernten sich Wolfgang Wienand und Georg Stahl kennen – und zwar «bei der Einkleidung», bevor sie Schützenmulden gruben, getarnt durch Wälder marschieren durften und sich drei Monate die Stube teilten. Die beiden haben gegenseitig ihre Karrieren verfolgt, sind heute gute Freunde, treffen sich zum Frühstück, beim Japaner oder im Fussballstadion. Stahl, mehrfacher deutscher Meister und Europacupsieger mit seinem Klub Rot-Weiss Köln und selbst erfolgreicher Medienunternehmer, weiss: «CEO-Jobs sind Leistungssport, intellektuell und körperlich.» Er nennt Wienand «unfassbar diszipliniert, zielstrebig, und er ist einfach gut und dabei völlig frei von Eitelkeiten, komplett authentisch».
Das einzige Problem bei Wolfgang Wienand scheint zu sein, dass es keins gibt – zumindest kann keiner eins erkennen: Egal wen man fragt, niemandem fällt auch nur ein einziger kritikwürdiger Aspekt ein, bis auf Dinge wie «er findet wohl nicht genug Zeit, um selbst Sport zu treiben». Oder dass hier und da Mitarbeiter Wienands Atem im Nacken spüren, weil sie von seinem Vorwärtsdrang, bisweilen auch dem intellektuellen Tempo, überfordert sind. Solche Eigenschaften stehen eher im White Paper für Konzernleitungspersonal.
Das Florett hat Wienand in die Ecke gestellt, macht noch Fitnesstraining und spielt Badminton. Die ersten Lonza-Monate bis Mitte 2025 hat er sich vollgepackt mit Arbeit, «jetzt ist eben Crunchtime, alles ist noch neu und frisch, jetzt kann ich viele Dinge bewegen», auch dem Team verlange er in dieser Zeit viel ab.
Erklärtermassen will Wienand ja «den Wettbewerb gewinnen». Namen nennt er keine, aber Branchenexperten ist klar, wer damit gemeint sein muss: die ehrgeizigen asiatischen Konkurrenten, allen voran Chinas WuXi und die koreanische Samsung, beide Milliardenunternehmen, wenn auch, noch, deutlich kleiner als Lonza.
Gross geworden sei Lonza durch mutige Entscheide in den vergangenen zwei Jahrzehnten, sagt Wienand. Etwa die Übernahme der britischen Celltech 1996 und damit der frühe Eintritt ins Biologics-Geschäft, oder der beherzte Ausbau des dortigen Werks in Portsmouth. Auch den Verkauf der Spezialchemiesparte LSI im Jahr 2021, von Albert Baehny initiiert, nennt Wienand ausdrücklich. Von diesem «sehr guten Fundament» lebe Lonza heute.
Solche Entscheidungen will Wolfgang Wienand heute wieder treffen, damit auch seine eigenen Nachfolger in 20 Jahren mit ihren Vorgängern zufrieden sein können.
Einen privaten Schritt geht er gleich selbst: Bisher in Lörrach zu Hause, zieht Wienand mit seiner Familie im Januar nach Basel-Stadt, näher an den Arbeitsplatz im «Turm». Basel – da lässt sich eine steuerliche Motivation ausschliessen.