Lorenz Heinzer (49) ist seit dem 1. Januar kein Direktor mehr. Seine Firma, der Versicherungskonzern Axa Schweiz, verzichtet auf Titel und Beförderungen. Auf Visitenkarten oder in Social-Media-Profilen sind Titel künftig nicht mehr zu finden.
Dafür hat der Versicherungskonzern 13 Verantwortungsstufen definiert, die den Mitarbeitenden viel Freiraum lassen. «Es geht um Empowerment, darum also, die Angestellten in ihrer Fachkompetenz zu stärken», sagt Heinzer.
An seiner Rolle im Konzern hat sich allerdings nichts geändert. Heinzer ist weiterhin der Kommunikationschef von Axa Schweiz, führt ein Team von 29 Mitarbeitenden. An den Funktionsbezeichnungen ändert sich nichts, sie wurden allerdings an die moderne Arbeitswelt angepasst. Auch die Chefs bleiben, müssen aber ihre Rolle überdenken – wenn sie das nicht eh schon längst getan haben.
Der Chef hält den Rücken frei
Neu ist dagegen, dass Heinzer nicht mehr alles selber entscheiden muss: «Ich achte sehr darauf, dass meine Themenmanager in ihrem Verantwortungsbereich alles selbst entscheiden.»
So soll zum Beispiel jemand über den Umgang und die Nutzung von KI-Bildern für das Unternehmen befinden, der sich besser in der Welt der künstlichen Intelligenz auskennt als der Kommunikationschef. Heinzer ergänzt: «Braucht jemand Rückendeckung für eine Entscheidung oder einen Ratschlag, stehe ich jederzeit zur Verfügung.»
Axa Schweiz gehört zum französischen Versicherungsgiganten Axa. In Paris sei man vom Vorpreschen der Schweizer Tochter teilweise überrascht gewesen, lässt diese aber gewähren.
Moderne Schweizer Wirtschaft
Klar ist: Die KMU, die das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft bilden, haben sich noch nie gross um Titel und Pfründen geschert, können sich eine ausufernde Hierarchie gar nicht leisten. Kleine Gewerbebetriebe sowieso nicht. Bei den KMU zählte schon immer Erfahrung und Kompetenz. Auch wenn – wie in jeden anderen Unternehmen – letztlich der oberste Chef die Gesamtverantwortung trägt.
Eine Umfrage bei grossen Schweizer Firmen zeigt: Die Schweizer Wirtschaft ist moderner als erwartet. In vielen Unternehmen spielt die Funktion längst eine wichtigere Rolle als die Titelhierarchie. Zum Beispiel bei den SBB, die seit «jeher keine Titel, sondern nur Funktionen kennen».
Die Swisscom hat sich von Anbeginn an der Telekom- und IT-Branche orientiert, die kaum Titel kennt und eher einen direkten Umgang pflegt. Deshalb setzt das Unternehmen seit rund zehn Jahren in vielen Bereichen auf agile Arbeitsformen – allerdings nur für einen Drittel der Belegschaft.
Nicht alle sind titelfrei
Auch der ehemalige Mutterkonzern der Telefonisten – die Post – hat sich eine moderne Lohn- und Kaderpolitik verpasst. «Eine symbolische und statusbezogene Bedeutung der Kaderstufen gibt es nicht mehr.» Ähnliches gilt für Raiffeisen. Die Genossenschaftsbank verwendet seit einigen Jahren ein modernes Führungsmodell, das dem der Axa nicht unähnlich ist.
Weitgehend titelfrei sind die innovationsgetriebenen Pharmagiganten Novartis und Roche, die seit längerem in der Schweiz auf Titel verzichten. Allerdings geht es in wichtigen Märkten wie den USA oder China kulturell bedingt nicht ganz ohne Hierarchie.
Es gibt allerdings auch noch Firmen, die noch nicht so weit sind, über die Abschaffung von Titeln nachzudenken. Dazu gehören etwa die Swiss Life oder Coop. Die Zürcher Kantonalbank setzt auf sogenannte «Rangstufen». Und die Migros auf ein nicht weiter spezifiziertes «Funktionsraster».