Sie nennen sich Drip Bar, Vitamin Lounge oder IV Therapy. Dahinter stehen Ärzte, die mit umstrittenen Vitamincocktails in ihre Praxen locken. Oder Ärzte, die Pflegerinnen zum Kunden nach Hause schicken, wo die Infusion bequem auf dem Sofa angesetzt wird.
Influencerinnen und Stars wie Adele, Rihanna oder Brad Pitt schwärmen schon länger davon, jetzt sollen ihn sich auch Schweizer Normalbürgerinnen gönnen: den Boost gegen Hangover, für mehr Energie, Immunität, stärkere Haare oder schönere Haut. Je nach Bedarf. Dutzende Anbieter buhlen in der Schweiz um solvente Kundschaft. Zwischen 180 und 300 Franken kostet eine einzelne Infusion. Nach 20 bis 60 Minuten ist der Stoff im Blut.
Teure Infusionen, günstige Pillen
Doch der Kick in die Vene ist meist unnötig – und nicht ungefährlich. Zu diesem Schluss kommen Studienübersichten wie das britische «Drug and Therapeutics Bulletin»: «Es gibt für Vitamininfusionen keinen überzeugenden Nachweis eines Nutzens», so das Fazit. Die meisten wasserlöslichen und überdosierten Vitamine werden nämlich schnell wieder ausgeschieden.
Bei gesunden Menschen ist das kein Problem: Es macht bloss den Urin teuer. Fettlösliche Vitamine lagern sich dagegen im Körper ab und können bei Überdosierungen vorerkrankte Organe schädigen. Unnötig sind die Infusionen auch, weil ein tatsächlicher Vitaminmangel einfacher und günstiger mit einer Ernährungsumstellung oder gewöhnlichen Vitaminpillen und -tropfen behoben werden kann.
Nur bei einigen schweren Erkrankungen oder Schluckbeschwerden ist gemäss den Studien eine Infusion angezeigt.
Andrea Vincenzo Braga ist einer der Ärzte im Infusionsgeschäft. Unter dem Namen Vitamin Lounge ist er in der Schweiz, aber auch in Deutschland und Österreich tätig. Im Franchising-System sollen noch weitere Standorte entstehen.
Braga stellt klar: «Wir behandeln keine Patienten mit akuten oder chronischen Erkrankungen oder potenziell lebensbedrohlichen Mangelzuständen, sondern optimieren präventiv den Gesundheits- und Fitnesszustand von gesunden Patienten.»
Es handle sich darum auch nicht um Therapien, sondern um «einzelne Vitamininfusionen, die dazu dienen, den Patienten ein Gefühl zu geben, wie die Inhaltsstoffe gegebenenfalls wirken könnten».
Ärzte fern vom Patienten
Die Patienten sind also genau genommen gar keine. Dafür sorgt laut dem Arzt eine sorgfältige Vorabklärung. Die findet bei vielen Anbietern allerdings online oder telefonisch statt. Eine Blutanalyse, die einen Vitaminmangel erst aufzeigen könnte, ist in der Regel keine Voraussetzung. Viele Anbieter behandeln Kundinnen auch nicht in ihrer Praxis.
Die Vitamin Lounge arbeitet mit einem Beauty-Studio in Bern zusammen. Medizinisch qualifiziertes Personal sei aber immer vor Ort, versichert Braga.
Noch weiter weg vom Kunden wagt sich die Lausanner Ärztin Alexandra Miles. Unter dem Namen YuBoost verkauft sie rund ein Dutzend unterschiedliche Infusionen, die Pflegerinnen zu Hause beim Kunden anlegen. Acht Pflegerinnen und ein Pfleger stehen im Einsatz. Der Service wird in der gesamten Romandie angeboten, seit kurzem auch in Zürich und St. Moritz.
Miles versichert telefonisch, dass alles gesetzeskonform ablaufe. Schriftliche Fragen lässt sie unbeantwortet.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Am Rand der Legalität
Ärzte bewegen sich mit dem Infusionsgeschäft aus zwei Gründen am Rande der Legalität (und manchmal darüber hinaus): Anders als Vitaminpillen unterstehen Infusionen dem Schweizer Heilmittelgesetz. Das bringt strengere Auflagen mit sich.
«Produkte mit Vitaminen, die injiziert oder intravenös als Infusion verabreicht werden, gelten als Arzneimittel, die vor dem Inverkehrbringen von Swissmedic zugelassen werden müssen und verschreibungspflichtig sind», sagt Lukas Jaggi, Mediensprecher von Swissmedic.
Zugelassen sind aktuell aber nur zehn Medikamente, wovon nur eines ein eigentliches Multivitaminpräparat ist. Die anderen enthalten Vitamin C oder B-Varianten.
Wie daraus ein Dutzend unterschiedlicher Infusionen gemixt wird, ist undurchsichtig und nicht immer legal. Im Kanton Zürich sind bei Kontrollen nicht zugelassene Substanzen beschlagnahmt und Ärzte verwarnt worden, wie Dragana Glavic-Johansen vom Amt für Gesundheit bestätigt.
Im Kanton Bern sei das Gesundheitsamt in einem «konstruktiven Kontakt mit Ärztinnen und Ärzten» gestanden, um «offene Fragen zu klären». Verwarnungen oder Beschlagnahmungen habe es nicht gegeben.
Nicht nur die Substanzen, auch deren Verabreichung wirft Fragen auf. Zwar ist es möglich, dass Pflegefachpersonen die Infusionen anlegen. Aber: «Diese Delegation erfordert, dass die Ärztin beziehungsweise der Arzt sich räumlich mindestens in derselben Praxis befindet und im Einzelfall eingreifen und die Behandlung an sich ziehen könnte», sagt Dragana Glavic-Johansen vom Zürcher Amt für Gesundheit.
Bei einem Service mit Flying Nurses ist das von der Idee her schon schwer vorstellbar. Aber auch Andrea Vincenzo Braga, der verantwortliche Arzt der Vitamin Lounge, räumt ein, nur bei rund 50 Prozent der Patienten in Bern vor Ort zu sein, die restlichen 50 Prozent für Kunden in Österreich.
«Wenn eine persönliche Anwesenheit vor Ort medizinisch nicht notwendig ist, stehe ich aber in kürzester Zeit per Videotelefonie für Fragen zur Verfügung», relativiert er das Problem. Zudem wolle er künftig vermehrt in der Schweiz tätig sein. Zulassungen als Arzt hat er in den Kantonen Zürich, Bern und Luzern.