Es war ein Angebot, das er eigentlich nicht ablehnen konnte. Präsident eines globalen Versicherungskonzerns, anständige 3,8 Millionen pro Jahr Salarierung, bei normalem Geschäftsgang zehn ruhige und sichere Jahre. Für einen fast 64-Jährigen, der eine glänzende Karriere und sieben zehrende CEO-Jahre hinter sich hatte, die perfekte Form der Anschlussverwendung.
Doch Mario Greco sagte im April Nein zu dem Angebot, VR-Präsident der Swiss Re zu werden. Der Italiener, seit 2016 Jahren an der Spitze der Zurich, fühlte sich noch nicht bereit, bei seiner Herzensfirma von Bord zu gehen. Andere erfolgreiche CEOs beginnen spätestens mit Ende 50, ihre VR-Karrieren sorgsam zu planen. Greco plant nichts – er macht einfach weiter.
Chef – oder nichts
Es war auch nicht das einzige Mal, dass er eine Anfrage erhielt, die seine besondere Stellung am Schweizer Finanzplatz unterstrich. Am 18. März, einen Tag vor der Verkündung der CS-Übernahme durch die UBS, erreichte ihn Marlene Amstad, als Finma-Präsidentin seine oberste Aufseherin. Ob er für den Notfall einer Verstaatlichung der CS als Präsident zur Verfügung stehe, lautete die Anfrage.
Er war nicht der Einzige: Auch Sergio Ermotti, zu diesem Zeitpunkt noch Präsident der Swiss Re und einer der wenigen Vertrauten des sozial eher scheuen Greco, erhielt eine Anfrage von Amstad. Weil die Verstaatlichung nicht kam, erledigte sich auch die Anfrage. Doch dass Greco, der nie bei einer Bank gearbeitet hatte, überhaupt angefragt wurde, dokumentierte sein hohes Ansehen. Ermotti wurde dann zwar nicht Präsident der verstaatlichten CS, sondern Comeback-CEO der Retterbank UBS.
Doch die Chance, auf den frei gewordenen Präsidentensessel beim Nachbarn am Zürcher Mythenquai zu wechseln, ergriff Greco nicht. So kam der bislang eher unscheinbare Belgier Jacques de Vaucleroy, bereits sechs Jahre an Bord, zu mehr Ehre und einem satten Salärsprung.
Es ist simpel: Dieser Mann liebt seinen Chefposten auf der Kommandobrücke – und nicht im Aufseherstübli fernab des Tagesgeschäfts. VR-Mandate abseits seines CEO-Postens sucht er nicht, wer in den gängigen Datenbanken nach seiner Mandatsliste sucht, findet keinen einzigen Eintrag. Da ist er fast wie der Ex-CS- und UBS-Chef Oswald Grübel: Chef – oder nichts.
Normalerweise verlassen Mitarbeiter laut Schweizer Arbeitsrecht mit spätestens 65 Jahren ihre Firma, das gilt auch für die mehr als 7000 Zurich-Angestellten in der Schweiz. Nur einer verstösst gegen die Regel: der Chef selbst. 65 Jahre wird er im nächsten Juni. Doch es gilt intern als ausgemacht, dass Greco den selbst definierten Strategiezyklus bis Ende 2025 abschliesst, als Ausstiegsdatum wird intern 2026 kolportiert. Greco wäre dann 67 Jahre alt.
Aber selbst dieses Datum ist nicht sakrosankt – auch in der Schweiz wird die Altersbeschränkung zunehmend pragmatisch gesehen. Greco erhält da von Ermotti Schützenhilfe: Der Tessiner (63) hat sein Comeback auf drei bis fünf Jahre angelegt.
Es ist ein Déjà-vu: «Im nächsten Jahr geht er», raunten Headhunter bereits vor zwei Jahren, als der letzte Strategiezyklus vor dem Abschluss stand. Doch schon damals wollte er nicht, und die Verwaltungsräte drängten ihn nicht. Operativ war er einfach zu wertvoll, und VR-Präsident Michel Liès, 2018 nach seiner Pensionierung bei der Swiss Re zur Zurich gewechselt, amtet mehr als Claqueur denn als Kontrolleur des Italieners.
Aus dem Verwaltungsrat ist zu hören, dass die Nachfolgesuche noch nicht begonnen hat, noch wurde kein Headhunter etwa mit dem lukrativen Mandat betraut. Es läuft doch bestens, und der Vormann hält sein Energielevel hoch. Noch immer sind die Qualen auf dem Rennrad Grecos Lebenselixier. Im letzten Jahr fuhr er wieder das Radrennen «Maratona dles Dolomites».
In der Kategorie der 60- bis 64-Jährigen legte er die Strecke von 55 Kilometern in 3,14 Stunden zurück – Platz 14. Die Bilder der Zieleinfahrt sind auf der Veranstalter-Webseite aufgeschaltet. Der Eiserne Mario wird zum Ewigen Mario.
Spezieller Player
Die Sonderstellung hat er sich erarbeitet. Greco ist heute der unangefochtenste CEO der Schweizer Konzernwelt. Weil er zudem keinerlei Ambitionen auf das VR-Präsidium hegt – er lehnt derartige Wechsel aus Corporate-Governance-Gründen ab, auch das eine Parallele zu Grübel –, tritt er gegenüber dem Kontrollgremium selbstbewusst- unabhängig auf. Und weil die Geschäfte stark laufen und sich Greco durch seine lange Amtsdauer auch international grosses Ansehen erarbeitet hat, haben sich die Machtverhältnisse fast verkehrt. Der Verwaltungsrat ist abhängig von ihm. Wie lange er bleibt, bestimmt er selbst.
Es war ein zäher Aufstieg. Die harte Sanierung der ersten Jahre, als der Versicherer administrativ verzettelt war und durch die Selbstmorde von Finanzchef Pierre Wauthier und dem Greco-Vorvorgänger Martin Senn eine fast schon tragische Schieflage durchlebte, liegt gefühlt in der Bronzezeit. Greco, geformt beim deutschen Branchenprimus Allianz, bei seinem ersten Zurich-Aufenthalt bereits Mitglied der Konzernleitung, dann als CEO der Generali zum Chef von einer der Big 4 der europäischen Versicherungswelt aufgestiegen, brachte nach den schwierigen Jahren vor allem zwei Eigenschaften: Fachkompetenz und Durchsetzungskraft.
Die Zurich war schon immer ein spezieller Player: Einen grossen Heimmarkt wie die Rivalen hat sie nicht, sie setzt dagegen mit dem Versicherungsbroker Farmers und dem starken Firmenversicherungsgeschäft stark auf die USA.
Nummer eins als Ziel
Greco beherzigte vor allem eine Grundregel seiner Industrie: Das Geschäft ist lokal. Alle Zentralisierungversuche seiner Vorgänger James Schiro und Martin Senn, beide nicht aus dem Geschäft, beendete er radikal. Das Geschäft muss an die Front, mit starken Länderchefs vor Ort, so die Devise. Es ruckelte in der Konzernleitung, viele gingen, darunter oft Frauen, er wurde zum «Iron Mario». Doch seit mehr als fünf Jahren ist Finetuning angesagt: Die Macht ist konsolidiert, und Beobachter beschreiben den Chef als durchaus sanft – solange alles so läuft, wie er es sich vorstellt.
Es war vor allem die Kundenfokussierung, die Greco in den Mittelpunkt stellte. Alle Versicherer haben das gleiche Problem: Der Kundenkontakt beinhaltet meist nur zwei Datenpunkte, und die sind negativ – Schadensfall und Rechnung. Doch Greco ist wohl der Versicherungschef, der dieses Problem am radikalsten angeht: Er setzt auf Manager ausserhalb der Branche. Beim Investorentag vor einem Jahr stellte er besonders eine Managerin ins Schaufenster: die Dänin Conny Kalcher, 2019 in der neu geschaffenen Funktion der Chief Customer Officer zur Zurich gestossen.
Sie kam von Lego, lange hatte Greco um sie geworben, mit dem grauen Versicherungsgeschäft wollte sie eigentlich nichts zu tun haben. Doch dann konnte sie den Lockrufen nicht widerstehen. Das Ziel: mit einem Bündel von Massnahmen die Nähe zum Kunden fördern.
Und da ist die Schweiz ein Showcase. Beim diesjährigen Investorentag Ende November in London hatte Juan Beer seinen grossen Auftritt: Als einer von nur drei Frontverantwortlichen durfte der Schweiz-Chef sein Geschäft präsentieren. Bei seinem Antritt vor fünf Jahren fehlte es an Fokus, die Firma in Zürich-Oerlikon mit ihren mehr als 5000 Mitarbeitenden beschäftigte sich vor allem mit sich selbst.
Zwar hatte auch Thomas Buberl, von 2008 bis 2012 Schweiz-Chef, bereits die Marktführerschaft als Ziel ausgerufen, bevor er dann bei der Axa zum Deutschland-Chef und später zum CEO des Gesamtkonzerns aufstieg.
Doch dieses Ziel lag in weiter Ferne – bei Beers Antritt war die Zurich hinter Marktführer Axa Winterthur und der volksnahgenossenschaftlichen Mobiliar auf den dritten Platz abgerutscht. Bei seinem ersten Townhall eine Woche nach seinem Antritt gab Beer die Richtung vor – das Ziel müsse die Nummer-eins-Positon sein, schliesslich lägen auch die anderen Grossen Allianz, Axa und Generali in ihren Heimmärkten vorn.
Die Glaubwürdigkeit brachte Beer mit: Wie Greco ist auch er ein Mann der Praxis – er kam vor 36 Jahren als Lehrling zur Zurich und durchlief verschiedenste Stationen im Schweiz-Geschäft, in Spanien und in der Zentrale. Der erste Gedanken am Morgen vor dem Spiegel müsse der Kunde sein, bläute er seinen Mitarbeitern ein. Beer zog 140 Mitarbeiter aus allen Hierarchiestufen in Hertenstein am Vierwaldstättersee zusammen und schwor sie ein.
Er installierte ein «Make the difference»-Team und 40 Kultur-Ambassadoren. Das Ziel: die Kundenbindung massiv steigern. Noch immer verteilen die überversicherten Schweizer ihre bis zu zehn Policen pro Kopf auf mehrere Anbieter – durch stärkere Bindung, so Beers Logik, steigt auch das Geschäft.
Sippenhaft
Die Kundenzufriedenheitswerte schossen hoch, in den letzten drei Jahren war die Zurich Schweiz Wachstumsleader in dem fast gesättigten Markt. Der eher kalte Slogan «Because change happenZ» wurde eingemottet, statt auf Eishockey setzt der Versicherer auf den breitenstärkeren Fussball. Nimmt man nur die Schadenversicherung, liegen zwar Axa und Mobiliar noch immer vorn. Doch zählt man das starke Firmengeschäft dazu – die Zurich ist Versicherer aller SMI-Konzerne –, so teilt sie sich schon heute mit der Axa die Spitzenposition in der Schadenversicherung.Das Deutschland-Geschäft oder die US-Tochter Farmers melden ähnliche Wachstumsstories.
Das Problem ist nur: Die Analysten sehen den verschärften Kundenfokus nicht. Der Kurs brauchte wie bei allen Versicherern recht lange, bis er die Vor-Corona-Höhe erreichte. Jetzt stagniert er seit zwei Jahren, im ablaufenden Jahr liegt das Papier im Minus und zählt zu den fünf schlechtesten SMI-Werten.
Im kleinen Kreis lässt Greco schon mal seinen Unmut durchblicken über die angeblich viel zu enge Analystenoptik. Schon beim letzten Strategiezyklus von 2019 bis 2022 erreichte er die gesteckten Ziele stets vorzeitig, und auch in die neue Periode startete er überzeugend. Die Eigenkapitalrendite lag – allerdings auch wegen Buchhaltungsanpassungen – im ersten Halbjahr bei 22,9 Prozent, angekündigt waren 20 Prozent. Greco schwärmte von der «einzigartigen Rentabilität in der Branche».
Doch der Titel wird noch immer in Sippenhaft genommen, denn solide Geschäfte und hohe Dividenden bieten alle Versicherer, und Allianz-Chef Oliver Bäte sowie Axa-Vormann Buberl gebieten über deutlich grössere Heimmärkte. Kommt hinzu: Der Zurich-Konzern ist besonders komplex, die Erfolgsgeschichten aus dem weitverzweigten 55 000-Mitarbeiter-Reich werden schnell zu einer Ansammlung von Einzelanekdoten.
Das ist die Schattenseite davon, dass Greco auf eine Klammer wie etwa den von Schiro propagierten «Zurich Way» verzichtet. Die Veranstaltung sei als «Schulung zum besseren Verständnis der Zurich-Gruppe einzuordnen», befand die ZKB über den jüngsten Investorentag. Eine pädagogische Massnahme mit wenig Erfolg: Der Kurs gab gegen den Markt nach.
Die Konzernzentrale wirkt fast wie eine extraterrestrische Kommandozentrale. Das Gebäude am Mythenquai mit seinen gut 2000 Mitarbeitern strahlt zwar nach der Renovierung hell, doch Greco lässt sich auf heimischem Parkett nur selten sehen. Schweiz-Chef Beer ist auch Vizepräsident des Versicherungsverbands, in dem eigentlich die Konzernlenker Einsitz nehmen. Auch bei Econonomiesuisse vertritt er die Zurich. Personality-Stories hasst Greco.
Mit der uneingeschränkten Macht hat auch die Abschottung zugenommen. War er früher für Hintergrundgespräche offen, so blockt sein italienischer Medienchef den direkten Zugang ab und will Gespräche nur zulassen, wenn der Artikel vorgelegt wird. Schon geht das Gerede um von der Italo-Connection – auch der einflussreiche Strategiechef und Ex-Greco-Assistent Paolo Mantero ist Italiener.
Bislang galt der belgische US-Chef Kristof Terryn als aussichtsreichster Nachfolgekandidat. Doch er wäre in drei Jahren 59 Jahre alt. Gehandelt wird auch die amerikanische Firmenkundenchefin Sierra Signorelli, als heimischer Anwärter darf Beer gelten. Präsident Liès leitet das Nominierungskomitee selbst, mit dem Ex-Roche-Präsidenten Christopf Franz steht ihm ein erfahrener Vize zur Seite. Doch noch haben die Herren keine Eile. Mario macht ja weiter.