Natürlich würde ein weiterer Lockdown in der Schweizer Wirtschaft keine Freude auslösen. «Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, einen weiteren Lockdown mit dem ersten Lockdown vom Frühling 2020 zu vergleichen», sagte etwa KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP. Ein neuer Lockdown hätte weit weniger schlimme Auswirkungen.
Auch Claude Maurer, Chefökonom Schweiz bei der Credit Suisse, hält die Erfahrungen der vergangenen Monate für zentral: «Die Haushalte haben gelernt, mit dem Virus umzugehen. Und auch die Unternehmen könnten dank der Erfahrungen, zum Beispiel durch die Arbeit im Homeoffice, jetzt agiler darauf reagieren.» Sollte es wirklich zu weiteren Schliessungen kommen, würde sich in den betroffenen Branchen die Nachfrage aufstauen und im Frühling wieder ein Nachholkonsum zeigen, ist Maurer überzeugt.
BIP übertrifft Vorkrisenniveau
Im dritten Quartal hat das BIP um 1,7 Prozent zugelegt und übertrifft nun wieder das Vorkrisenniveau. Dass sich die Schweizer Wirtschaft so schnell wieder von den beiden bisherigen Lockdowns erholt hat, überrascht Maurer positiv. «Es ist erstaunlich, dass das BIP-Niveau und die Beschäftigung inzwischen bereits wieder über Vorkrisenniveau sind, die Arbeitslosigkeit gesunken ist und die Kurzarbeit viel weniger in Anspruch genommen wird», sagte er. Zumindest zu Beginn der Pandemie seien die Prognosen der Ökonomen darum wohl eher etwas zu vorsichtig gewesen, gibt er an.
Verhaltener sieht das der Ökonom Klaus Wellershoff vom Beratungsunternehmen Wellershoff & Partners. Ihm zufolge hätte ein dritter Lockdown verheerende Folgen und würde wohl viele Unternehmen an den Rand der Existenz drängen. «Wenn jetzt durch einen dritten Lockdown nochmals so ein Rückschlag kommt, rechne ich wegen des schwachen Ausgangspunktes damit, dass die Folgen für die Wirtschaft schlimmer wären als vergangenen Winter», sagte er.
Unterstützungsmassnahmen sind zentral
Viele Statistiken würden sich um den Handel mit Gütern drehen. «Aber wir vergessen dabei, dass es beispielsweise im Dienstleistungsbereich noch überhaupt nicht gut läuft», so Wellershoff. Neben der Gastronomie, Hotellerie und der Reisebranche vergesse man etwa den grossen Sektor der sogenannten unternehmensnahen Dienstleistungen wie Unternehmensberater, Treuhänder oder Rechtsanwälte, die ebenfalls deutlich schlechter ausgelastet seien als vor der Krise.
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«Unser allgemeiner Fokus auf Wachstumsraten verdeckt, dass die Schweiz immer noch bei weitem nicht bei einer normalen Auslastung ihrer Kapazitäten ist», sagt Wellershoff. Er geht davon aus, dass die Unterauslastung aktuell ausgeprägter ist als während der Finanzkrise 2008. Umso wichtiger sei es, dass der Staat den angeschlagenen Firmen erneut unter die Arme greifen würde. Das sehen auch seine Kollegen so. «Im Falle eines weiteren Lockdowns wäre es zentral, ob und welche unterstützenden Massnahmen die Politik für die betroffenen Sektoren wieder ins Leben rufen würde», sagte Sturm.
Zwischen lockeren Verschärfungen und einem harten Lockdown ist es ein grosser Unterschied. Laut Maurer ist es zwingend, dass allfällige Massnahmen gut austariert wären. «Wenn wir zu wenig reagieren, trauen sich die Leute beispielsweise nicht mehr ins Restaurant, wenn wir aber zu hart reagieren und wieder alles schliessen, fallen die Umsätze ohnehin weg.» Die Politik müsse den richtigen Mittelweg finden.
Massnahmen mit Augenmass
«Wichtig ist, dass die Massnahmen mit Augenmass und vor allem evidenzbasiert getroffen werden, um die Gesundheitslage im Griff zu behalten», sagt auch Wellershoff. Dabei sei «evidenzbasiert» besonders wichtig: Es müssten also Massnahmen sein, deren Wirkung inzwischen nachgewiesen ist.
Einen Gedanken teilen alle drei Ökonomen: Nämlich dass die Bevölkerung in dieser Krise viel Selbstverantwortung beweist. «Die Menschen werden sich auch ohne Massnahmen anpassen und anders verhalten, das zeigt sich beispielsweise daran, dass an manchen Veranstaltungen bereits wieder freiwillig eine Maskenpflicht eingeführt wird», erklärt Sturm. Dadurch dürften sich die Fallzahlen ein Stück weit regulieren. Ob das reicht, wird sich sehr bald zeigen. (AWP/SDA)