Für die Vergabe von Hypotheken hat sich über die Jahre folgende Tragbarkeitsregel etabliert: Die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum, also für Zinsen und Amortisation, dürfen ein Drittel des Familieneinkommens nicht überschreiten – und zwar bei einem kalkulatorischen Zinssatz von fünf Prozent.
Diese Faustregel soll verhindern, dass Eigenheimbesitzer ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können, wenn die Zinsen stark steigen und eine Erneuerung der Hypothek ansteht.
In den vergangenen Jahren wurde diese Ein-Drittel-Regel jedoch zunehmend ignoriert, wie Zahlen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zeigen. Laut dem jüngstem «Financial Stability Report» beharren die Banken nicht mal mehr bei jeder zweiten neu vergebenen Hypothek auf der Einhaltung der bewährten Tragbarkeitsrechnung.
Regel immer häufiger ignoriert
2022 belief sich der Anteil von Kreditnehmern, deren Kosten für Verzinsung und Amortisation der Hypothek bei einem kalkulatorischen Zinssatz von fünf Prozent ein Drittel des Einkommens übersteigen, auf 57 Prozent. Zehn Jahre zuvor ignorierten die Banken ihre Ein-Drittel-Regel nur bei 39 Prozent der neu vergebenen Hypotheken.
Trotz dieser Zahlen haben die führenden Finanzinstitute UBS, Raiffeisen und Zürcher Kantonalbank (ZKB) in der Vergangenheit stets bestritten, bei der Vergabe von Hypotheken kulanter geworden zu sein. Doch nun sagt Raiffeisen-Chef Heinz Huber (58) erstmals, dass vermehrt Ausnahmen von der Ein-Drittel-Regel gemacht werden. «Es stimmt, es gibt eine leichte Tendenz nach oben», so Huber im Gespräch mit SonntagsBlick.
Der CEO der Genossenschaftsbank erklärt diese Entwicklung unter anderem mit den stark gestiegenen Preisen für Wohneigentum. Man schaue deshalb jeden Fall individuell an: «Ist jemand jung, dann gehen wir zum Beispiel davon aus, dass die Lohnkarriere noch nicht abgeschlossen ist. Da machen wir deshalb auch mal eine Ausnahme von der Ein-Drittel-Regel», so Huber. Er betont jedoch, dass dies mit Augenmass geschehe.
Andere Banken streiten es ab
UBS und ZKB beharren derweil darauf, dass sich ihre Grundsätze der Tragbarkeitsrechnung in den letzten Jahren nicht geändert hätten. Angesichts der SNB-Zahlen fällt es jedoch schwer, das zu glauben – zumal die beiden Institute keine konkreten Zahlen nennen wollen.
Fest steht auf jeden Fall, dass die Raiffeisen-Gruppe für die zunehmenden Ausnahmen nicht allein verantwortlich sein kann, dafür reicht ihr Marktanteil bei Hypotheken von 17,6 Prozent nicht aus.
Die Finanzmarktaufsicht (Finma) ist alarmiert. «Wir stellen fest, dass die Tragbarkeitsrisiken in den letzten vier Jahren bei neu abgeschlossenen Hypotheken zugenommen haben», sagt ein Sprecher. Einige Banken würden «nicht-nachhaltige Kreditvergabekriterien» anwenden, bei denen die Tragbarkeit der Kreditnehmenden tendenziell überschätzt werde.