Die Banker mit der weissen Weste
Darum hören die Skandale bei der Credit Suisse nicht auf

Die CS versinkt in Skandalen. Dahinter steckt System. Das zeigt ein massiver Betrugsfall aus der Ära Rohner, dessen Dimensionen erst jetzt klar werden.
Publiziert: 16.05.2021 um 01:05 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2021 um 08:51 Uhr
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Die Credit Suisse steht in der Kritik.
Foto: Keystone
Danny Schlumpf

Kurz vor dem Abgang von Urs Rohner (61) als Präsident der Credit Suisse kam das Greensill-Debakel ans Licht: Die CS hatte ihren superreichen Kunden dubiose Lieferkettenfonds als «risikoarme Investments» verkauft. Doch das System brach zusammen. Der Schaden geht in die Milliarden.

Als Urs Rohner bereits an seiner Abschiedsrede feilte, folgte der nächste Schlag: Archegos. Die Credit Suisse war voll ins Risiko gegangen und hatte dem US-Hedgefonds riesige Kredite vergeben. Doch Archegos verspekulierte sich. Der nächste Milliardenverlust.

An seiner Abschiedsvorstellung Ende April entschuldigte sich der abtretende VR-Präsident schliesslich – nicht bei den Kunden, sondern bei den Aktionären. Weil diese wütend seien. «Und ich bin es ehrlich gesagt auch», sagte Rohner.

Von Verantwortung war nicht die Rede. Damit blieb sich Rohner treu: Als die Credit Suisse 2014 in den USA wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung fast drei Milliarden Franken Busse bezahlen musste, liess er die Öffentlichkeit wissen: «Persönlich haben wir eine weisse Weste.»

Warnungen wurden ignoriert

Just in dieser Zeit erreichte die Karriere von Patrice Lescaudron († 57) ihren Höhepunkt: Der französische Kundenberater stand 2014 kurz vor seiner Beförderung zum Managing Director. Kein Wunder: Seit 2004 hatte er jedes Jahr satte 25 Millionen für die CS erwirtschaftet. Er betreute die Gelder von Superreichen aus Osteuropa. Zu seiner Klientel gehörten russische Senatoren und ein georgischer Premierminister. Der Kundenberater verdiente zwei Millionen jährlich, so viel wie kein anderer in seiner Position.

Lescaudron war ein Star – und ein Betrüger. Er steckte das Vermögen seiner Kunden ohne deren Wissen in hochriskante Anlagen, fälschte Dokumente und zweigte Geld in die eigene Tasche ab. Schon 2008 leuchteten die ersten «Red Flags» auf – Alarmsignale im bankinternen Überwachungssystem, die auf Unregelmässigkeiten hinweisen.

In den folgenden Jahren gingen die Sirenen im Fall Lescaudron mehrere hundert Male los. Der Russen-Banker erhielt hin und wieder einen Rüffel – und machte weiter. Die Bank reagierte erst, als er sich massiv verspekulierte. 2015 wurde Lescaudron entlassen.

Jetzt reagierte die Aufsichtsbehörde Finma und gab einen Untersuchungsbericht in Auftrag. Der Report widmet sich einem Thema, das der Bank unter Rohners Führung besonders unangenehm war: Verantwortlichkeiten.

Das Urteil ist vernichtend. Rund ein Dutzend Vorgesetzte von Patrice Lescaudron verstiessen gemäss dem Finma-Bericht gegen Regeln, Richtlinien und Weisungen. Die Compliance, also die Regelbefolgung, habe nicht funktioniert.

So heisst es im Report: «Vorgesetzte von Lescaudron und Mitarbeiter mit Kontroll- und Überwachungsfunktionen zeigten in verschiedenen Angelegenheiten ihr Unvermögen in beispielhafter, verantwortungsvoller und professioneller Weise Lescaudron zu kontrollieren und zu überwachen.» Verfehlungen seien nicht oder zu wenig konsequent sanktioniert, Warnhinweise nicht oder zu wenig entschlossen analysiert und überprüft worden. Und zu guter Letzt hätten die Vorgesetzten Lescaudron auch noch befördern wollen.

Gewinn stand über den Regeln

Warum liessen die Chefs ihn gewähren? Ein Business-Risk-Manager der Bank schrieb im Jahr 2015 in einem E-Mail: «Wenn jeder gewusst hat, dass Patrice Lescaudron nicht gerade ein Guy ist, der durch Compliance besticht, warum hat man das dann so lange geduldet und erst reagiert, nachdem die Verfehlungen massiv geworden sind? Ich denke, wir alle wissen die Antwort.»

Im Verlauf der Finma-Untersuchung sprach der Manager aus, was offenbar allen klar war: Es habe sich um ein Dilemma gehandelt – zwischen Regeln und Gewinn. Lescaudron habe als «Superstar» gegolten, heissts im Finma-Bericht. Deshalb hätten die Vorgesetzten immer wieder weggeschaut. Compliance-Expertin Monika Roth (70) überrascht das nicht. «Wer grossen Ertrag einbringt, wird meistens verschont», sagt die emeritierte Professorin an der Hochschule Luzern. Wozu dann die Regeln? «Die nützen nur etwas, wenn das Regelbewusstsein an der Unternehmensspitze vorgelebt wird», sagt Roth. «Und das ist leider nicht immer der Fall.»

Mathias Binswanger (58) ist Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Er sagt: «Zu den Regeln und Weisungen werden die Finanzinstitute von aussen gezwungen.» Sie hätten selber nur bedingt Interesse daran. «Denn sie kämpfen um Anteile und Einkommen. Die superreichen Kunden sind da besonders attraktiv.»

Der Untersuchungsbericht landete 2017 auf dem Tisch der Finma. Die sprach 2018 eine Rüge an die CS aus: «Anstatt den Kundenberater wegen der Verstösse rechtzeitig und angemessen zu disziplinieren, honorierte ihn die Bank mit hohen Entschädigungen und positiven Mitarbeiterbeurteilungen.» Im selben Jahr wurde Patrice Lescaudron verurteilt wegen gewerbsmässigem Betrugs, schwerer Untreue, Misswirtschaft und Fälschung von Wertpapieren. 2019 nahm er sich das Leben.

Nur zwei Entlassungen

Und die Bank? Sie entliess zwei Führungskräfte aus dem mittleren Kader. Andere Verantwortliche, die im Bericht kritisiert werden, arbeiten weiterhin bei der Credit Suisse. Auf gut bezahlten Posten. Ein involvierter Kadermann verliess die Bank 2015. Heute amtiert er als Präsident eines christlichen Hilfswerks. Geschäftsleitung und Verwaltungsrat blieben unbehelligt.

Das ist laut Binswanger der Normalfall: «Nur wer nach Versäumnissen ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gerät, riskiert eine Entlassung.» Compliance-Expertin Roth stimmt ihm zu: «Es gibt ein paar Bauernopfer, den Rest lässt man weiter laufen.»

Die Bank sagt gegenüber SonntagsBlick: «Wir haben nach den jüngsten inakzeptablen Verlusten entschiedene Massnahmen ergriffen. Die Ergebnisse der angekündigten unabhängigen Untersuchungen werden weitere Klarheit schaffen. Der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung der Credit Suisse setzen gemeinsam alles daran, die entsprechenden Lehren aus diesen Vorfällen zu ziehen.»

Ungebremste Risikolust

Marc Chesney (61), Finanzprofessor an der Uni Zürich, widerspricht. Die Banker würden nur eine Lektion aus solchen Skandalen lernen: «Dass sie keine Verantwortung übernehmen müssen und weitermachen können wie gewohnt.» Die Kosten trügen die Kunden und die Steuerzahler. «Denn die Credit Suisse ist systemrelevant und muss im Notfall gerettet werden.»

Mehrere ehemalige Kunden von Lescaudron sind vor Gericht gezogen und fordern Schadenersatz. Credit Suisse sagt, die Informationen im Finma-Bericht stammten aus einem frühen Stadium einer abgeschlossenen Überprüfung zu Vorfällen aus den Jahren 2008 bis 2015. «Diese Überprüfung lieferte keine Fakten, die eine Strafuntersuchung gegen die Credit Suisse unterstützen würden.»

Werden die Skandale jemals enden? Braucht es vielleicht noch mehr Regeln? Mathias Binswanger winkt ab. «Das nützt nichts, solange sich die Anreize nicht ändern.» Sie seien des Pudels Kern: «Die überrissenen Boni treiben die Risikolust weiterhin an. Daran ändern auch noch so viele Skandale nichts.»
Und so jagen die ehemaligen Vorgesetzten von Patrice Lescaudron weiter ihren Boni nach. Mit einer weissen Weste. Wie ihr abgetretener Präsident.

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