Die Angst vor der AHV-Pleite
Im Alter droht der Abgrund

Publiziert: 06.12.2017 um 06:46 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 19:45 Uhr
Harry Büsser, Ulrich Rotzinger, Sven Zaugg (Text) und Igor Kravarik (Illustration)

Die Zukunft hat die Schweizer eingeholt. Jahrelang wurde das Schweizer Sorgenbarometer beherrscht von Themen der Gegenwart: Arbeitslosigkeit, Einwanderung, Gesundheit. Doch 2017, in einem Sprung, rückte die Angst um die Altersvorsorge an die Spitze.

Das ergab eine Umfrage des Forschungsinstituts GfS Bern im Auftrag der Grossbank Credit Suisse. Für die Studie wurden 1000 Stimmberechtigte in der ganzen Schweiz befragt. 44 Prozent davon nennen die AHV als ihre grösste Sorge. Im vergangenen Jahr waren es noch 28 Prozent. Die AHV wird zudem auch als dringlichstes politisches Problem bezeichnet.

Bewusstseinsumschwung im Abstimmungskampf

Dieser Bewusstseinsumschwung ist auch eine Folge des Abstimmungskampfes um die Rentenreform 2020. Was in der Umfrage dadurch zum Vorschein kommt, dass sie zwischen dem 26. Juni und 15. Juli 2017 durchgeführt wurde. Das war genau während des Abstimmungskampfes um die Rentenreform.

Während sich deutlich mehr Menschen um die AHV sorgen, ist die Angst vor Arbeitslosigkeit etwas geringer geworden. Die Diskussionen darüber, dass die Digitalisierung Jobs kosten könnte, scheint also im Bewusstsein der Menschen weniger Ängste auszulösen. Zudem läuft der Wirtschaftsmotor wieder besser. Das führt dazu, dass die Arbeitslosigkeit erstmals seit 2003 nicht mehr die grösste Sorge der Schweizer ist.

Vorsorge ist das grosse Thema. Denn auch die Ausländerproblematik, hinter der Angst vor Jobverlust, schreckt weniger Menschen als noch vor einem Jahr. Dagegen sorgen sich 2017 wieder mehr Menschen um die Themen Gesundheit und Krankenkassen:

Bettina Fredrich, Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik bei der Caritas.

Über alle Altersgruppen hinweg finden in der CS-Studie 62 Prozent der Befragten, die finanzielle Absicherung im Alter sei in der Schweiz ungenügend. Keine Überraschung ist das für Bettina Fredrich, Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik bei der Caritas. «Die Gesellschaft wird älter. Falls wir am System nichts ändern, werden künftig mehr Menschen von Altersarmut betroffen sein», sagt sie.

Mit der Pensionierung verdopple sich das Armutsrisiko schon heute. «Sehr viele Frauen, die in ihrem Erwerbsleben nur Teilzeit und im Tieflohnsektor gearbeitet haben, sind von Altersarmut betroffen.» Denn ihnen stehe nur das Geld aus der AHV zur Verfügung. «Insgesamt leben ein Drittel aller Rentnerinnen und Rentner lediglich von der AHV», so Fredrich.

Das ist ein grosses Problem, denn schon nach 2020 wird die AHV Verluste schreiben. Aufgrund der künftigen Bevölkerungsentwicklung sieht Professor Martin Eling schwarz: «Ab dem Jahr 2030 dürfte der AHV-Topf ganz leer sein.»

Martin Eling, Professor für Versicherungswesen an der Universität St. Gallen.

Eling forscht und lehrt am Institut für Versicherungswesen der Universität St. Gallen. Er sieht ein weiteres grosses Vorsorgeproblem: «In der Pflege werden grosse Lasten auf uns zukommen», sagt er. Bei längeren Aufenthalten im Pflegeheim schwinden grössere Privatvermögen schon heute wie Pralines auf dem Kaffeetisch. Die Pflegekosten pro Monat und Person betragen im Schnitt rund 9000 Franken. Bei einem Aufenthalt von drei Jahren sind 324 000 Franken weg. Eling: «Vor allem für die Gemeinden dürften die Kosten massiv steigen.»

Die Zukunft wird teuer. Guter Rat ist es jetzt auch.

Die Sorge des Volkes bringt Politiker in Not

Altersarmut – der grosse Schrecken für viele Schweizer. Das zeigt das gestern veröffentlichte Sorgenbarometer der Credit Suisse.

Nach dem Nein zur Rentenreform steht jedoch in den Sternen, wie die AHV genau saniert und die berufliche Vorsorge nachhaltig geregelt wird. Die Rentenpolitik dreht momentan im Leerlauf. Gemäss Informationen von BLICK will der zuständige Bundesrat Alain Berset (45) aber noch vor Weihnachten eine erste Auslegeordnung auf den Tisch legen.

«Der Bundesrat muss jetzt mit der Vorlage kommen», fordert Nationalrätin und FDP-Präsidentin Petra Gössi (41). Sie hofft, dass Berset auf die Gemeinsamkeiten setzt, die sich am ersten runden Tisch nach der Volksabstimmung zeigten. Und nicht auf die Differenzen, die der SP-Bundesrat vor den Medien breitgewalzt habe.

«Für die FDP ist klar, dass es eine Lösung mit einem breit getragenen Kompromiss braucht», sagt Gössi. Sie macht damit klar, dass sie erwartet, dass sich auch die Verlierer – sprich Sozialdemokraten und Gewerkschaften – einbringen und nicht auf Totalopposition stellen.

Doch die Linke lässt sich von Gössi nicht aus der Ruhe bringen. Die Sorgen der Bevölkerung wegen der AHV seien real und ernst zu nehmen, betont Paul Rechsteiner (65). Aber der St. Galler SP-Ständerat sagt auch: «Eine neue Reform wird Zeit brauchen.»

Dieser Meinung ist auch CVP-Ständerat Konrad Graber (59, LU): «Immerhin wird der Bundesrat, wie nach dem Nein zur Unternehmenssteuerreform III auch, sehr schnell neue Eckwerte vorlegen. Er will das Heft auf keinen Fall aus der Hand geben.»

Graber, sozialpolitischer Wortführer bei der CVP, kennt auch die Schnittmenge der bürgerlichen Politiker: der Konsens für das AHV-Alter 65 für Frauen und die Mehrwertsteuererhöhung. Aber Graber warnt auch: «Damit hat die Einigkeit auch schon ein Ende, der Teufel liegt im Detail.»

Er rechne nicht mehr in dieser Legislatur mit einer nachhaltigen Lösung beziehungsweise einer Volksabstimmung. Obwohl die rechtsbürgerlichen Abstimmungssieger genau das in Aussicht gestellt haben – und obwohl Graber und seine CVP es weiterhin fordern wollen.

Andrea Willimann

Altersarmut – der grosse Schrecken für viele Schweizer. Das zeigt das gestern veröffentlichte Sorgenbarometer der Credit Suisse.

Nach dem Nein zur Rentenreform steht jedoch in den Sternen, wie die AHV genau saniert und die berufliche Vorsorge nachhaltig geregelt wird. Die Rentenpolitik dreht momentan im Leerlauf. Gemäss Informationen von BLICK will der zuständige Bundesrat Alain Berset (45) aber noch vor Weihnachten eine erste Auslegeordnung auf den Tisch legen.

«Der Bundesrat muss jetzt mit der Vorlage kommen», fordert Nationalrätin und FDP-Präsidentin Petra Gössi (41). Sie hofft, dass Berset auf die Gemeinsamkeiten setzt, die sich am ersten runden Tisch nach der Volksabstimmung zeigten. Und nicht auf die Differenzen, die der SP-Bundesrat vor den Medien breitgewalzt habe.

«Für die FDP ist klar, dass es eine Lösung mit einem breit getragenen Kompromiss braucht», sagt Gössi. Sie macht damit klar, dass sie erwartet, dass sich auch die Verlierer – sprich Sozialdemokraten und Gewerkschaften – einbringen und nicht auf Totalopposition stellen.

Doch die Linke lässt sich von Gössi nicht aus der Ruhe bringen. Die Sorgen der Bevölkerung wegen der AHV seien real und ernst zu nehmen, betont Paul Rechsteiner (65). Aber der St. Galler SP-Ständerat sagt auch: «Eine neue Reform wird Zeit brauchen.»

Dieser Meinung ist auch CVP-Ständerat Konrad Graber (59, LU): «Immerhin wird der Bundesrat, wie nach dem Nein zur Unternehmenssteuerreform III auch, sehr schnell neue Eckwerte vorlegen. Er will das Heft auf keinen Fall aus der Hand geben.»

Graber, sozialpolitischer Wortführer bei der CVP, kennt auch die Schnittmenge der bürgerlichen Politiker: der Konsens für das AHV-Alter 65 für Frauen und die Mehrwertsteuererhöhung. Aber Graber warnt auch: «Damit hat die Einigkeit auch schon ein Ende, der Teufel liegt im Detail.»

Er rechne nicht mehr in dieser Legislatur mit einer nachhaltigen Lösung beziehungsweise einer Volksabstimmung. Obwohl die rechtsbürgerlichen Abstimmungssieger genau das in Aussicht gestellt haben – und obwohl Graber und seine CVP es weiterhin fordern wollen.

Andrea Willimann

Das Bewusstsein ist erwacht

Ein Kommentar von BLICK-Blattmacher Thomas Ley

Es hätte alles etwas anders ausgehen können: Das Schweizer Sorgenbarometer 2017 wäre veröffentlicht worden, mit der Angst um Rente und AHV an der Spitze – aber man hätte wenigstens darauf verweisen können, dass eine Reform in Kraft tritt, welche die Altersvorsorge für eine Generation sichert.

Wir wissen, es kam anders. Die Altersreform wurde im September bachab geschickt. Das Sorgenbarometer macht nun den Scherbenhaufen komplett: Ängste wurden geschürt – und können nicht beruhigt werden. Stattdessen zeichnet sich ab, dass die Fronten noch lange verhärtet bleiben. Ein neuer Kompromiss ist in weite Ferne gerückt. Doch die Politiker, vor allem in jenen Parteien, welche die Vorlage bodigten, scheint das kaum zu beunruhigen.

Immerhin ist das Ergebnis des Sorgenbarometers auch eine Chance. Das Bewusstsein weiter Bevölkerungskreise ist erwacht. Auch für die Tatsache, dass es mit einer Sanierung des Rentenwesens nicht getan ist. Sondern dass auch das Thema Pflege und Pflegeversicherung auf den Tisch gehört. Wer das weiterhin ignoriert, der muss sich wirklich Sorgen machen.

Ein Kommentar von BLICK-Blattmacher Thomas Ley

Es hätte alles etwas anders ausgehen können: Das Schweizer Sorgenbarometer 2017 wäre veröffentlicht worden, mit der Angst um Rente und AHV an der Spitze – aber man hätte wenigstens darauf verweisen können, dass eine Reform in Kraft tritt, welche die Altersvorsorge für eine Generation sichert.

Wir wissen, es kam anders. Die Altersreform wurde im September bachab geschickt. Das Sorgenbarometer macht nun den Scherbenhaufen komplett: Ängste wurden geschürt – und können nicht beruhigt werden. Stattdessen zeichnet sich ab, dass die Fronten noch lange verhärtet bleiben. Ein neuer Kompromiss ist in weite Ferne gerückt. Doch die Politiker, vor allem in jenen Parteien, welche die Vorlage bodigten, scheint das kaum zu beunruhigen.

Immerhin ist das Ergebnis des Sorgenbarometers auch eine Chance. Das Bewusstsein weiter Bevölkerungskreise ist erwacht. Auch für die Tatsache, dass es mit einer Sanierung des Rentenwesens nicht getan ist. Sondern dass auch das Thema Pflege und Pflegeversicherung auf den Tisch gehört. Wer das weiterhin ignoriert, der muss sich wirklich Sorgen machen.

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