Darum gehts
Nun hat auch die Basler Kantonalbank (BKB) nachgezogen. Zehn Jahre nach dem Start von Twint lanciert sie eine eigene App für das Bezahlsystem. Der Entscheid dürfte eher mürrisch gefällt worden sein; wäre die BKB ein Twint-Fan, hätte sie den Schritt längst vollzogen. Doch es ging schlicht nicht mehr anders.
Twint ist ein Erfolg. Es ist als Zahlungsmittel allgegenwärtig. Die Zahl der Transaktionen steigt steil an, Twint ist ein starker Widersacher zu den von Visa und Mastercard dominierten Karten geworden. Eigentlich ein Grund zur Freude.
Doch hinter den Kulissen brodelt es. Bei Händlern, aber auch bei Banken. Kritisiert werden die Intransparenz, zu hohe Gebühren und teure Strukturen. Und eine immer mächtigere Twint AG, die der Branche ihre Bedingungen diktiert. Der Ruf nach der Wettbewerbskommission (Weko) wird laut. Denn keiner weiss so richtig, wer eigentlich wie viel verdient. Klar ist nur: Das System verursacht hohe Kosten. Und eigentlich war das mal ganz anders gedacht.
Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
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Als Twint 2015 startete, waren die Absichten hehr: Man wollte gegen das Imperium von Visa und Mastercard antreten und dem Handel eine günstigere Alternative zu bestehenden Kartenzahlungen anbieten. Coop wurde mit Tiefsätzen gelockt, später kamen weitere Händler dazu. Twint war eine Tochter der Postfinance, die mit ihrer Debitkarte schon immer die einzige grosse Alternative zu Visa und Mastercard bot.
Der Start von Twint war harzig, die Technologie unausgegoren. Doch nach ein paar Jahren zogen die Zahlen an. Ein Treiber dafür waren die Direktüberweisungen über die Twint-App. Nach dem Zusammenschluss mit der von den Banken betriebenen App Paymit begann der Aufstieg als alleinige Schweizer Payment-App. Und es begann die Annäherung an die Welt der Kartenzahlungen.
Twint hat sich dem klassischen Kreditkarten-Geschäftsmodell angepasst
Heute ist Twint längst nicht mehr der Rebell, für den es sich einst hielt. Es ist Teil des etablierten Payment-Geschäfts geworden, das in der Schweiz von den grossen Banken, der SIX Group und der französischen Worldline dominiert wird. Hinter Twint und den Kartenzahlungen stehen ähnliche Akteure, die Gebühren haben sich angenähert.
Mit dem gestiegenen Twint-Volumen wurde vielen Händlern klar, wie teuer das System ist. Freuten sie sich einst über die Alternative, sprechen sie heute im gleichen Ton über Twint wie über Visa und Mastercard. Der Ton ist nicht gut.
Im Zentrum stehen zwei Themen: Die Gebühren sind höher als einst versprochen. Und sie sind intransparent. Anders als bei Kartenzahlungen weiss bei Twint kaum jemand, wohin die Händlergebühren fliessen. Wer wie viel Umsatz macht. Und wie viel Gewinn. Noch nicht einmal das wertmässige Volumen der Twint-Transaktionen wird offengelegt. Immer und immer wieder betonten die Twint-Eigentümer, ihr System sei günstiger als klassische Kreditkartenzahlungen. Auch im Gespräch mit der Handelszeitung setzt Twint-CEO Markus Kilb routiniert auf dieses Narrativ. Doch ist das wirklich so? Der Handel widerspricht.
Twint sei «wesentlich teurer als Kreditkarten», sagt Bernhard Egger von Handelsverband.swiss, einer Vereinigung von Händlern, die unter anderem 70 Prozent des Schweizer Onlinehandels ausmachen. Twint sei gemäss Rückmeldung von Händlern «teurer als Debit- und teilweise teurer als Kreditkarten», insbesondere bei QR-Zahlungen, wie auch Dagmar Jenni von der Swiss Retail Federation betont, die mehr als tausend Detailhändler vertritt. Das Thema sei «sehr akut».
Manor sagt: Twint ist 10 Prozent teurer als Kreditkarten
Mit Manor stellt auch einer der grossen Händler die Behauptung von Twint namentlich infrage: «Wir bieten Twint als zusätzliche Zahlungsmethode an, obwohl sie für uns rund 10 Prozent teurer ist als eine Zahlung mit Schweizer Kreditkarten», sagt Martin Roth, bei Manor verantwortlich für Zahlungsmittel und CEO der Manor-Pensionskasse. «Und das unabhängig davon, ob online oder im Warenhaus.» Selbst Diana Hurni, Länderchefin von Worldline, die als Acquirer für Händler Twint-Zahlungen abwickelt, sagt: «In Bezug auf die Gebührenstruktur liegt Twint ungefähr im Bereich der einheimischen Kreditkarten.»
Twint weist diese Darstellungen zurück. Twint sei «als preiswert einzuschätzen», heisst es bei der Medienstelle. «Globale Zahlungssysteme, die in unseren Nachbarländern dominieren, sind deutlich teurer als die üblichen Konditionen von Twint.» Es gebe «keine fundierten Preisstudien, die belegen, dass Twint teurer ist als Kreditkartenzahlungen».
Für Unmut bei den Händlern sorgt vor allem, dass niemand weiss, nach welchen Regeln die Gebühren aufgesetzt werden. Twint ist eine Blackbox – und intransparenter als die Welt der Kreditkarten. Dort ist bekannt, welcher Teil der Gebühren als «Interchange» an die Banken weitergereicht wird, denn die von Visa und Mastercard festgelegten Ansätze werden mit der Weko ausgehandelt. Bei nationalen Kreditkartentransaktionen sind das im Schnitt 0,44 Prozent, bei den Debitkarten von Visa und Mastercard fliessen zwischen 0,1 und 0,2 Prozent an die Banken. Die Tarife sind öffentlich, jeder kann sie einsehen.
Auch bei Twint gibt es Kickbacks. Im Rahmen der sogenannten Bilateral Fees oder «Bilas» wird mit jeder Bank vereinbart, in welchem Umfang sie an den Händlergebühren beteiligt wird. Doch offengelegt wird gar nichts. Nur die Banken kennen ihre Konditionen. Auch die Händler wissen nicht, wie hoch die von ihnen finanzierten Kickbacks sind.
In der Branche kursieren Zahlen. Die Banken erhielten «bis zu 1 Prozent» des Verkaufspreises, hört man. Einziger harter Hinweis ist ein Zusatz in den AGB von Twint – vermutlich, um sich juristisch abzusichern. Darauf wird deklariert, dass die Banken aus Händlertransaktionen «typischerweise zwischen null Prozent bis 2 Prozent des Betrags» erhalten. Bei über Twint vermittelten «Partnergeschäften» erhalten die Banken sogar «bis 5 Prozent des Transaktionsbetrags».
Wann genau diese hohen Maximalsätze zum Tragen kommen, sagt Twint nicht. Auch nicht, wie hoch die Bilas im Durchschnitt sind. Klar ist nur: Die Unterschiede sind gross – je nach Händler, bei dem bezahlt wird. So sagt ein Banker mit Einblick in die Zahlen, aus Transaktionen beim Detailhändler Coop erhalte die Bank «praktisch nichts». Bei anderen dagegen «bis zu 0,75 Prozent».
Klarheit gibt es nur in einem Punkt: Bei jeder Transaktion fliessen 0,15 Prozent direkt an die Twint AG als Systembetreiberin. Ein Vielfaches dessen, was Visa und Mastercard bei ihren Debitkarten beziehen. Visa beziffert diese «Scheme Fees» bei Visa Debit auf 1 Rappen pro 45 Franken Transaktionsumsatz oder umgerechnet 0,02 Prozent.
Marktmächtige Twint AG – oder spielt der Wettbewerb?
Die Strukturen von Twint geben in der Branche zu reden. Auf dem Papier herrscht der Wettbewerb. Die Twint AG sieht sich als unabhängige Systembetreiberin, die mit Banken als App-Herausgebern und Acquirern, die für Händler abrechnen, zusammenarbeitet. Die Gebühren, so Twint, würden unabhängig zwischen Acquirern und Banken «frei verhandelt». Dutzende einzelne Verträge also, mit denen Twint nichts zu tun habe. «Diese marktwirtschaftliche Preisfindung verhindert Preisabsprachen und fördert faire Wettbewerbsbedingungen», schreibt die Sprecherin. Mit dieser Darstellung gelang es auch, bislang nicht von Weko und Preisüberwacher belästigt zu werden.
Doch das Bild wackelt. Mit wem man auch spricht, es wird infrage gestellt. Denn die Akteure im Twint-Reich sind eng miteinander verbandelt (siehe Grafik). Derzeit gibt es nur zwei Firmen, die als Acquirer direkt für Händler Twint-Transaktionen abwickeln können. Die eine ist die Twint Acquiring AG, eine 100-prozentige Tochter der Twint AG. Die andere ist Worldline, die wiederum an der Twint AG massgeblich beteiligt ist.
Hinter den beiden stehen zudem gemeinsame Aktionäre: Fünf Banken, darunter die Postfinance und die UBS, halten die Aktienmehrheit bei der Twint AG. Gleichzeitig dürften die gleichen Banken auch eine Mehrheit an der SIX Group halten. Diese ist wiederum an Worldline und der Twint AG beteiligt und wickelt zudem im Auftrag von Twint alle Zahlungen ab.
«Es gibt keinen Wettbewerb», sagt Jenni von der Swiss Retail Federation. «Twint und Worldline kann man nicht gegeneinander ausspielen.» Auch Manor-Manager Roth sagt, der Markt sei stark konzentriert: «Ob man mit Twint oder Worldline verhandelt oder spricht: Der Wettbewerb ist kaum spürbar.» Hinzu kommt, dass Worldline bereits den Markt für die klassische Kartenakzeptanz dominiert. Worldline widerspricht dieser Darstellung. Man habe «keine Kenntnis über die Konditionen von Twint als Acquirer», sagt Länderchefin Hurni. Die Marktteilnehmer, «einschliesslich Worldline und Twint», ständen im Wettbewerb zueinander.
Twint ist längst kein Nischenanbieter mehr. Letztes Jahr wurden über die App 773 Millionen Transaktionen abgewickelt, davon 580 Millionen zwischen Konsumenten und Händlern. Von Jahr zu Jahr haben diese Zahlen zugelegt, und das Wachstum geht zulasten der klassischen Kartenprodukte, wie die Statistik der Schweizerischen Nationalbank zeigt.
Im reinen Onlinehandel hat Twint mittlerweile die Kreditkarten als wichtigstes elektronisches Zahlungsmittel abgelöst, wie Handelsverband-Direktor Egger unlängst in einer Studie aufzeigte. Und als die Nationalbank fragte, welches elektronische Zahlungsmittel man in Zukunft häufiger nutzen wolle, antworteten zuletzt 40 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten mit «Twint».
«Twint meint, es habe noch Welpenschutz», sagt Severin Pflüger vom einflussreichen Nutzerverband VEZ, hinter dem Unternehmen wie Migros, Coop und die SBB stehen. «Aber bei solchen Marktanteilen kann das nicht mehr gelten.»
Die Weko will sich des Themas annehmen
Und so wird in Händlerkreisen zunehmend der Ruf nach Weko und Preisüberwacher laut. Mehrere Organisationen erwägen eine Anzeige. Man prüfe «alle Optionen – vom Preisüberwacher bis zur Weko», sagt Dagmar Jenni von der Swiss Retail Federation. Und auch VEZ-Direktor Pflüger sagt, man prüfe gerade eine Anzeige bei der Weko.
Unterlagen, die der Handelszeitung vorliegen, zeigen, dass bei mindestens einem der Verbände bereits eine Anzeige in der Schublade liegt und nur noch eingereicht werden muss. Die Rede ist darin von «unzulässiger Wettbewerbsabrede», «überhöhten Gebühren», und Tarifen, die «in Wahrheit höchstwahrscheinlich nicht das Resultat offener Verhandlungen» seien. Auf den Papieren fehlt nur noch das Datum der Einreichung.
Preisüberwacher und Weko seien bereits öfters informell von Händlern auf die Problematik angesprochen worden, bestätigen beide Behörden. Vor allem bei der Weko würden die Verbände offene Türen einrennen. Das Thema sei bekannt, und man werde sich dessen voraussichtlich annehmen, sobald die noch laufenden Verhandlungen mit Visa über die Gebühren ihrer Debitkarte abgeschlossen seien, sagt Weko-Vizedirektor Olivier Schaller. Es dürfte bald so weit sein.
Vielleicht melden sich dann selbst Banken bei der Weko, denn die Marktmacht von Twint stösst auch bei diesen sauer auf, wie die Handelszeitung in mehreren Gesprächen aus erster Hand erfuhr. Es sind Drittbanken, die nicht selbst an der Twint AG beteiligt sind.
Für Drittbanken ist Twint ein Verlustgeschäft
Der Vertreter einer Bank rechnet vor und betont, die Kickbacks aus den Bila-Gebühren reichten bei weitem nicht, um alle Fixkosten zu decken. Allein für die Teilnahme bezahle er der Twint AG pro Jahr mehrere Hunderttausend Franken. Dazu kämen «bis zu 20 Prozent» dieses Betrags als obligatorische Marketingabgabe, die es ihm erlaube, in der eigenen Twint-App Kampagnen aufzuschalten.
Und dann sind da die sechsstelligen Zahlungen an die Swisscom, welche die Apps der meisten Banken unterhält. Er sehe nicht ein, warum jede Bank eine eigene App brauche, sagt der Banker. Doch dem Vorhaben, das zu vereinheitlichen, habe Twint letzten Sommer eine Absage erteilt. Twint selbst äussert sich nicht zu diesen Prozessen, schreibt aber, es stehe den Banken frei, Apps gemeinsam zu betreiben.
Auch die Banken beklagen sich über mangelnde Transparenz. Es geht die Erzählung um, die an Twint beteiligten Institute hätten bessere Konditionen als andere. Und auch die Banken sagen, es gebe keinen Wettbewerb. Die bilateralen Verträge basierten auf Standardansätzen von Twint. Nur grosse Banken hätten die Möglichkeit, diese individuell nachzuverhandeln.
Und so ist Twint Teil des Payment-Imperiums geworden, gegen das es einst angetreten ist. Es hat seine Strukturen jenen von Big Payment angepasst und spielt nach dessen Regeln, konnte sich aber der Regulierung bislang entziehen und weiterhin den Rebellen geben. Auch in den parlamentarischen Vorstössen, die auf die Gebühren der Debitkarten von Visa und Mastercard zielten, kommt Twint nicht vor.
Die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten interessiert das wenig – und das muss es sie auch nicht. Eben erst haben sie Twint wieder zur vertrauenswürdigsten Marke gekürt. Für sie ist Twint kein dunkler Fürst, sondern ein nobler Ritter. Und in erster Linie eine praktische App für den Alltag, deren Kosten von anderen getragen werden.