Das Gespräch dauerte 20 Minuten. Es war nicht die erste Unterredung der beiden Livit-Angestellten an diesem Nachmittag. Vier andere Gespräche waren schon geführt. Immer im Gepäck: Die Kündigung der Wohnung in der Zürcher Siedlung Zelgstrasse.
Der «Tages-Anzeiger» berichtet heute über diesen Fall. Er ist exemplarisch für eine Masche von Immobilienfirmen und Verwaltern, die immer mehr um sich greift. Professionelle «Entmieter» salben die Mieter grosser Siedlungen zunächst mit gut gemeinten Worten ein und überreichen dann die Kündigung. Sie hoffen auf eine Unterschrift und darauf, dass sich kein Widerstand regt.
Denn Widerstand kostet Geld. Wenn sich Mieter gegen die Räumung einer Überbauung wehren, geht das schnell in die Millionen. Jahrelange Rechtsstreitigkeiten sind vorprogrammiert.
Bauverzögerung kostet Millionen
Ein Beispiel aus der jüngeren Zeit: In der Nähe des Zürcher Einkaufszentrums Sihlcity steht die Grossüberbauung Brunaupark. Sie umfasst 240 Wohnungen. Eigentümerin ist die Pensionskasse der Credit Suisse. Diese will die Siedlung abreissen.
Vier der fünf bestehenden Wohnblöcke sollen dem Erdboden gleichgemacht werden. 500 neue Wohnungen sollen stattdessen entstehen. Aber die Mieter wehren sich. Mit Erfolg.
Die Bagger stehen voraussichtlich bis mindestens 2024 still, bis die Schlacht vor dem Zürcher Baurekursgericht gefochten ist. Eine herbe Niederlage für die CS, die einen hohen Betrag gekostet hat. Direkte Kosten der Rechtsvertretung sind das eine. Entgangene Mietzinse das andere.
Einsalben lernen
Die «Mieterspezialbetreuung» soll derartige Eskalationen verhindern. Die Entmieter kümmern sich persönlich um die Mieter einer Liegenschaft. Sie kommen in die warme Stube, reden schön, geben sich einfühlsam – und kommen dann mit dem Holzhammer. Die Kündigung. Bitte sofort unterschreiben.
Geschult werden die Entmieter in spezialisierten Kursen. Anbieter sind die grossen Immo-Firmen und die Branche selber. Sie haben das grösste Interesse an einem reibungslosen Abriss einer Siedlung, was auch die Livit unumwunden zugibt. Als Vorteil einer Mieterspezialbetreuung preist die Firma unter anderem die Imagepflege und die termingerechte Projektumsetzung.
Hinter dem vermeintlichen Kuschelkurs mit Küchenpsychologie steckt also knallharte Kalkulation. Aber wie können sich Mieter vor Entmietern schützen? Eine Anlaufstelle ist der lokale Mieterverband. (ise)