Das kann der Bundesrat nicht länger ignorieren. Nicht nur die Spitäler rufen um Hilfe. Jetzt fleht auch die Wissenschaft die Regierung an, in den Lockdown zu gehen. Die Opferzahlen sind erschreckend, und die Kosten für die Gesellschaft steigen mit jedem Tag.
Martin Ackermann (49), Präsident der wissenschaftlichen Corona-Taskforce des Bundes, mag kein Blatt mehr vor den Mund nehmen: «Die jetzigen Massnahmen reichen nicht aus.» Fertig Schönfärberei. Es brauche nun rasch zusätzliche, wirkungsvolle Verschärfungen. «Jeder Tag zählt – je früher, desto besser!», betonte er am Dienstag.
Deutliche Kritik an der Politik
Die Taskforce macht unmissverständlich klar, dass sie für einen schweizweiten Lockdown plädiert. Das Virus kenne keine Kantonsgrenzen. Es brauche Massnahmen wie im Frühling. «Wenn ich selber eine Entscheidung für das Land treffen könnte, würde ich innerhalb von Tagen sehr weitgehende Massnahmen treffen – Schliessungen von Restaurants und nicht essenziellen Geschäften und die Durchsetzung von Homeoffice», so Martin Ackermann, der unterstreicht, wie sinnvoll es sei, sofort Massnahmen zu ergreifen, um die Fallzahlen zu senken.
Diese klare Haltung teilt nicht nur Jan-Egbert Sturm (51). Der Chef der Wirtschaftsgruppe innerhalb der Taskforce sagt: «Leider Gottes sind wir in einer Situation, in der es nun drastische Massnahmen braucht. Die Appelle der Spitaldirektoren sind dramatisch», so der Leiter der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich zu BLICK.
Abwarten kostet noch viel mehr
Dabei schwingt auch deutliche Kritik an der Politik mit. «Die Schweiz hat lange genug gewartet und gestritten, jetzt geht es nicht mehr anders», urteilt Sturm, der zu den einflussreichsten Ökonomen der Schweiz zählt.
Hinter der drastischen Forderung steht die gesamte Taskforce: «Sie hat einen Brief an den Bundesrat geschrieben und die Regierung unmissverständlich zum Handeln aufgefordert.» Die Botschaft an den Bundesrat sei klar: «Es braucht eine Vollbremsung.» Man müsse jetzt in unsere Gesellschaft und die Wirtschaft investieren, «indem wir herunterfahren. Alles andere wäre noch viel kostspieliger!», sagt Sturm.
Der Zeitpunkt ist günstig
Im Klartext: Auch wenn der Lockdown Milliarden kostet. Diese Investition rettet Leben und zahlt sich langfristig aus. Abwarten kommt noch viel, viel teurer. Auf die Frage, wann der richtige Zeitpunkt sei, sagt Sturm nur: «Jetzt!»
Seine Begründung: «Über Weihnachten sind die Schulen geschlossen, und viele Firmen haben ihre Aktivitäten auf ein Minimum reduziert oder machen gar Betriebsferien. Diese Ruhephase müssen wir unbedingt nutzen und jetzt herunterfahren.» Auch wenn das für Tourismus und Gastronomie hart sei, gesamtwirtschaftlich gebe es keinen günstigeren Zeitpunkt für einen Lockdown.
Sommaruga will mehr tun
Am Freitag diskutiert der Bundesrat über die nächsten Corona-Massnahmen. Gesundheitsminister Alain Berset (48) wollte eigentlich noch abwarten, doch die viel zu hohen Ansteckungszahlen haben die Pläne des SP-Bundesrats zur Makulatur gemacht. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60, SP) und Bundesrätin Viola Amherd (58, CVP) wollen längst mehr tun gegen die vielen Ansteckungen als Berset.
Inzwischen will auch die Romandie nicht mehr länger zuwarten, heisst es. Die Westschweizer hoffen auf Wirtstochter Karin Keller-Sutter (56, FDP). Die Justizministerin soll für die Mehrheit sorgen, damit Restaurants und allenfalls auch nicht lebensnotwendige Geschäfte schliessen. Schliesslich haben die Beizen und Läden nichts davon, wenn die Leute ausbleiben und sie schon um 19 Uhr dichtmachen müssen. Da werden die Betreiber lieber entschädigt.