«Ich bin finanziell am Ende»
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Wirten sind finanziell am Ende:Bundesrat lässt die Kleinen im Stich

Bundesrat lässt die Kleinen im Stich
«Ich bin finanziell am Ende»

Zehntausende Betriebe stehen wegen den Corona-Massnahmen vor dem Ruin. Doch der Bundesrat erklärt: Es gibt kein Geld mehr! Jetzt vergrössert das Parlament den Druck.
Publiziert: 01.11.2020 um 11:16 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2021 um 16:04 Uhr
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Die Wirtin Caroline Keller aus Basel ist enttäuscht vom Bundesrat.
Foto: STEFAN BOHRER
Dana Liechti, Danny Schlumpf und Sven Ziegler

Es war ein starkes Signal auf dem Höhepunkt der Corona- Krise: «Hilfe kommt!», versprach Bundesrat Guy Parmelin (60) Mitte März.

Das entsprach dem Verursacherprinzip: Der Bund hatte den Lockdown beschlossen – nun half er der Wirtschaft, die unter den verordneten Schliessungen litt.

Die Regierung griff zu drei zentralen Instrumenten: Kurzarbeit und Erwerbsersatz für Selbständige verhinderten eine Massenarbeitslosigkeit. Covid-Kredite versorgten 135 000 Schweizer Unternehmen mit Liquidität.

Dann gingen die Fallzahlen zurück, Bern hob den Lockdown auf. Zwar warnten Wissenschaftler: Das Virus wird zurückkehren! Doch im warmen Sommer hörte kaum jemand auf sie.

Es kam der Herbst – und mit ihm die zweite Welle. Jetzt waren die Kantone am Drücker. Und wurstelten getrennt vor sich hin. Der Bund schaute zu, bis er am letzten Mittwoch endlich Massnahmen beschloss: Keine Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern, Sperrstunde für Restaurants, Schliessung von Clubs und Diskotheken.

Gleiche Lage, weniger Massnahmen

Restaurants, Läden und Schulen bleiben offen. Einen zweiten Lockdown soll es nicht geben. «Im Vergleich zum März ist der Eingriff weniger stark», sagt Marius Brülhart (53), Wirtschaftsprofessor an der Uni Lausanne und Mitglied der Covid-Taskforce des Bundes. «Das ist frappant, denn die epidemiologische Lage ist vergleichbar.»

Doch etwas Entscheidendes hat sich verändert: Mit der Hilfsbereitschaft des Bundesrats ist es nicht mehr so weit her. Im März versprach Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60) noch: «Wir lassen euch nicht im Stich!» Im Augenblick zumindest führt Finanzminister Ueli Maurer (69) das Wort. Und der sagt: «Wir haben nicht noch einmal 30 Milliarden Franken!»

Kurzarbeit und Erwerbsersatz laufen zwar weiter, doch das dritte zentrale Kriseninstrument fehlt: Das Covid-Kreditprogramm ist im Juli ausgelaufen – der Bundesrat will es nicht wiederbeleben. So sagte Ueli Maurer am Freitag im Parlament: «Wir haben ganz bewusst diese Soforthilfe zeitlich beschränkt, das ist abgeschlossen.»

Bloss: «Aus ökonomischer Sicht spricht nichts dagegen, dieses Programm wieder hochzufahren», sagt Wirtschaftsprofessor Brülhart. Im Frühling habe man noch gehofft, die Krise gehe rasch vorüber. Jetzt aber sei klar: «Es könnte nun ein halbes Jahr oder länger dauern. Das halten viele Firmen nicht durch. Umso erstaunlicher ist es, dass der Staat gerade jetzt so knausrig ist.»

Seco sieht keine Notwendigkeit

Kein Grund zum Alarmismus, meint Boris Zürcher (56), Chef der Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco): «Wir sehen keine Notwendigkeit für weitere Massnahmen.» Die Zahl der Konkurse sei ja «unterdurchschnittlich tief».

Was Zürcher nicht sagt, erklärt Raoul Egeli (52), Präsident des Gläubigerverbands Creditreform: «Das liegt eben an den bisherigen Corona-Massnahmen wie den Überbrückungskrediten, den Kurzarbeitsentschädigungen und der Befreiung zur Überschuldungsanzeige.» Egeli warnt: «Das ist wie eine Welle, die man vor sich herschiebt. Schon im November werden die Konkurse ansteigen.»

SonntagsBlick hat bei den Betroffenen nachgefragt. Und, kein Zweifel: Es sieht zappenduster aus. Caroline Keller (58) ist Geschäftsführerin des Restaurants Lodge 79 in Basel. Sie ist komplett am Anschlag: «Das Kurzarbeitsmodell macht aus uns Beizern Bürokraten.» Ständig fülle sie Formulare aus, hänge in Warteschlaufen am Telefon und versuche verzweifelt, all den Auflagen gerecht zu werden – auch wenn das kaum realistisch sei. «Und jetzt kommt diese zweite Welle, ausgerechnet vor dem Weihnachtsgeschäft. Immer mehr Gäste bleiben aus, weil sie Angst haben. Und diejenigen, die am Abend noch kamen, bleiben nun zu Hause, wegen der Sperrstunde.» Finanziell sei sie am Ende, sagt Keller.

Zehntausenden Betrieben im Land ergeht es gleich: Die Reserven, die sie im Frühling noch hatten, sind weg. «Unser Kredit ist aufgebraucht», sagt Thomas Rupp (60). Schuhverkäufer aus Oberentfelden AG. «Rund um uns herum gehen die Läden zu.» Wie lange er noch durchhält, weiss er nicht. «Wir sind ein Bauernopfer der Politik.»

Denn die hält sich – ganz und gar nicht vornehm – zurück. Der Bundesrat sträubte sich schon dagegen, dass Selbständige einen Erwerbsersatz beziehen dürfen. Das Parlament musste ihn schliesslich dazu zwingen. Dasselbe bei den Geschäftsmietenerlassen, die notleidenden Firmen einen Teil der Mieten aus der Lockdown-Zeit erlassen soll: Am Donnerstag sagte der Nationalrat Ja dazu. Doch Guy Parmelin machte den Parlamentariern gegenüber kein Hehl aus seiner Abneigung: «Der Bundesrat ist weder überzeugt, dass dieses Gesetz notwendig ist, noch dass es das einhält, was es verspricht.»

Massenentlassungen und Konkurse

Solche Sätze treiben SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (32) auf die Palme. «Mir schreiben sehr viele verzweifelte Betroffene, die in einer völlig unverschuldeten Not sind. Dass Bundesrat Maurer gesagt hat, es gebe kein Geld mehr für die zweite Welle, macht mich wütend.» Für Meyer gibt es keinen Zweifel: «Wenn wir nichts tun, kommt es zu Massenentlassungen und Konkursen. Ganze Branchen werden vor dem Abgrund stehen.»

Immerhin winkt die Landesregierung jetzt mit einem Strohhalm: Statt des Corona-Kreditprogramms soll es nun eine Härtefallregelung richten. Doch der Name sagt es schon: Es sollen nur einzelne Firmen gerettet werden. Die Regelung sieht vor, dass ein Betrieb mindestens 40 Prozent Umsatzausfall verbuchen muss, ehe er zum Härtefall wird. Die individuelle Beurteilung liegt bei den Kantonen.

Scharfe Kritik an dieser Praxis kommt auch von Wirtschaftsprofessor Brülhart: «Mitten in der Krise ständig Einzelentscheide zu fällen, ist höchst willkürlich und politisch heikel.» Sein Kollege Jan- Egbert Sturm (51), Direktor der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, haut in die gleiche Kerbe: «Die Covid-Kredite waren schnell, effizient und standen allen offen. Bei den Härtefallhilfen hingegen ist noch völlig unklar, für wen und wann sie gesprochen werden.»

Bund und Kantone arbeiten bereits seit Juli an den neuen Regelungen. Doch Bundesrat Parmelin wollte sie erst 2021 aktivieren. «Dank unseres Drucks wurde der Fahrplan am Freitag um zwei Monate verkürzt», sagt die Grünen-Nationalrätin Regula Rytz (58). Die Abwehrhaltung der Regierung überrascht sie nicht. «Der Bundesrat hat viel zu zögerlich auf die anhaltende Notlage in den betroffenen Branchen reagiert. Der Grund dafür sind falsche Prioritäten.»

Bundesrat und grosse Konzerne

Die Regierung wolle unter keinen Umständen ihr Hauptziel gefährden, so Rytz: den Schuldenabbau. Denn damit sei der Ruf bürgerlicher Kreise nach Steuersenkungen verknüpft. Die Grüne: «Der Bundesrat nimmt in Kauf, dass das Gastgewerbe, Eventorganisatoren und Schausteller in Konkurs gehen und Angestellte ihre Arbeit verlieren, weil er die Steuersenkungspolitik für die grossen Konzerne weiterführen will.»

Für Rytz ist klar: «Das zögerliche Verhalten des Bundesrats war der Versuch, sich finanziell aus der Verantwortung zu stehlen.» Sie will sich in der Wirtschaftskommission für eine Verlängerung der Covid-Kredite einsetzen.

Ihre Parteikollegin Florence Brenzikofer (45) wird in der Rechtskommission beantragen, dass Geschäftsmietenerlasse nicht nur für die Zeit im Lockdown gelten, sondern während der ganzen Pandemie – und auch dann, wenn nicht nur der Bund, sondern auch die Kantone die Massnahmen verhängen. Geht es nach Bundesrat Maurer, fehlen dafür allerdings die finanziellen Mittel. Nur: Stimmt das überhaupt? «Natürlich hat der Bund das Geld», entgegnet Mathias Binswanger (57), Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Nordwestschweiz. «Es sind geradezu ideale Bedingungen, um Schulden zu machen. Und die Schweiz ist im internationalen Vergleich nach wie vor in einer ausserordentlich guten Lage.»

Bleibt zu hoffen, dass auch der Bundesrat das irgendwann erkennt.

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