Boom bei den Jugendherbergen und Neuheiten fürs nächste Jahr
«Tourismus darf es nicht nur für Vermögende geben»

Im laufenden Jahr erwarten die Schweizer Jugendherbergen erstmals über 800'000 Gäste. Das würde sogar das bisherige Rekordjahr 2008 in den Schatten stellen. Chefin Janine Bunte spricht mit Blick über den Trend zu modernen Jugis.
Publiziert: 28.10.2023 um 00:04 Uhr
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Aktualisiert: 28.10.2023 um 09:48 Uhr
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Janine Bunte hat fast ihr ganzes Berufsleben bei den Jugendherbergen verbracht.
Foto: Thomas Meier
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Jean-Claude RaemyRedaktor Wirtschaft

Übernachten in einer Schweizer Jugendherberge ist so beliebt wie nie. Obwohl viele nach wie vor Massenschläge, Sockenmief und kratzige Überzüge vor Augen haben. Davon ist man heute aber weit entfernt, gibt sich Janine Bunte (51) überzeugt. Die Chefin des Vereins Schweizer Jugendherbergen (SJH) empfängt Blick in der Jugi in Zürich-Wollishofen. Dort wähnt man sich mehr in einem herkömmlichen Hotel, wäre da nicht ein buntes Publikum aus Schulklassen, ausländischen Rucksacktouristen und Business-Leuten mit Laptops – aber vor allem die vielen Familien springen ins Auge.

BLICK: Frau Bunte, müsste man heute nicht von «Familienherbergen» anstatt von Jugendherbergen sprechen?
Janine Bunte: Das ist nicht nötig. (lacht). Wir erfüllen seit Anbeginn einen zivilgesellschaftlichen Auftrag. Dieser lautet: Jugendlichen wie auch Familien kostengünstige Unterkünfte bieten zu können. Familien machen rund 20 Prozent unserer Kundschaft aus. Weitere 40 Prozent kommen von Schulen oder sonstigen Gruppen und 40 Prozent sind Einzelreisende.

Übernachten in Jugis boomt. Gibt es für Sie ein Rekordjahr?
Nach einem sehr guten Herbstferiengeschäft erwarten wir für das Gesamtjahr 2023, die Marke von 800'000 Logiernächten für unsere eigenen Betriebe zu übertreffen. Damit wäre 2023 nach Logiernächten das erfolgreichste Jahr in der Geschichte der Schweizer Jugendherbergen. Rund 70 Prozent der Gäste kommen übrigens aus der Schweiz. Europäer machen etwas mehr als die Hälfte der ausländischen Gäste aus. Der Rest stammt aus Asien, Nordamerika und Ozeanien.

Was bieten Sie den Gästen heute?
Unser Angebot besteht immer noch zu 75 Prozent aus Mehrbettzimmern. Neuere Jugendherbergen haben Zimmer mit 2 bis 6 Betten. Familien können Familienzimmer buchen oder sind teils mit anderen Familien untergebracht. Alle Gäste haben abschliessbare Schränke zur Verfügung. Die Einzelduschen befinden sich auf der Etage.

Das klingt nicht nach einer Revolution.
Unser Auftrag hat sich nicht verändert, aber wir haben uns über die Jahre modernisiert. Wir haben keine Strohmatratzen wie vor 100 Jahren mehr. Wir achten sehr auf Nachhaltigkeit, haben Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen installiert. Über 30 Jugis in der Schweiz haben Einrichtungen für Personen mit eingeschränkter Mobilität. Beim Verpflegungsangebot gibt es immer saisonal Verfügbares aus der Schweiz. Wir bieten vegane Menüs, aber auch Fleisch. Wir wollen möglichst viele Bedürfnisse kostengünstig befriedigen, verlieren aber die Qualität nicht aus den Augen.

Persönlich: Jugi-Urgestein Janine Bunte

Janine Bunte (51) arbeitet seit 1996 bei den Jugendherbergen, seit 2019 ist sie CEO. Sie ist damit Chefin von 42 eigenen Betrieben und 7 Jugendherbergen im Franchise-System. Davor ging sie durch die «Mövenpick-Schmiede» und arbeitete in der Vierstern-Berghotellerie. Daneben gründete sie ein Treuhandbüro. Sie ist Vorsitzende bei Parahotellerie Schweiz, Mitinitiantin von Discover.swiss, Vorstandsmitglied bei der Schneesportinitiative Schweiz und Präsidentin der Gleichstellungsplattform Equality4Tourism. Die zweifache Mutter stammt aus dem Zürcher Limmattal.

Janine Bunte (51) arbeitet seit 1996 bei den Jugendherbergen, seit 2019 ist sie CEO. Sie ist damit Chefin von 42 eigenen Betrieben und 7 Jugendherbergen im Franchise-System. Davor ging sie durch die «Mövenpick-Schmiede» und arbeitete in der Vierstern-Berghotellerie. Daneben gründete sie ein Treuhandbüro. Sie ist Vorsitzende bei Parahotellerie Schweiz, Mitinitiantin von Discover.swiss, Vorstandsmitglied bei der Schneesportinitiative Schweiz und Präsidentin der Gleichstellungsplattform Equality4Tourism. Die zweifache Mutter stammt aus dem Zürcher Limmattal.

Wie geht das finanziell auf?
Etwas Günstiges ist nicht zwingend schlecht! Wir machen die Schweiz zugänglich für Gäste, die etwas mehr auf die Preise achten müssen und trotz der vergleichsweise hohen Preise die Natur und Sicherheit der Schweiz geniessen möchten.

Sind sie selbsttragend?
Ja, knapp. Wir haben die Preise nur moderat angehoben, die Teuerung schlägt dieses Jahr voll auf das Ergebnis durch. Unter dem Strich wird der Gewinn irgendwo zwischen 0,5 und 1 Million Franken liegen. Wir haben diverse Lieferanten-Partner, die uns mit Spezialpreisen unterstützen. Die Rabatte können wir an die Gäste weiterreichen. Unsere Liegenschaften sind Teil einer Stiftung.

Was kostet die Jugi-Übernachtung heute im Schnitt?
Das Bett im Mehrbettzimmer gibt es ab 45 Franken. Die Preise sind dynamisch, es kann teils bis zu 70 Franken gehen. Unsere Mitglieder erhalten stets 7 Franken Reduktion sowie Ermässigungen bei Jugis im Ausland. Familien profitieren von Kinderrabatten. Ein Novum: Schulen dürfen ab unserem Jubiläumsjahr 2024 durchgehend von den Mitgliederpreisen profitieren.

Was planen Sie für das kommende 100. Jubiläumsjahr?
Im Herbst 2024 eröffnet eine weitere Jugi in Martigny VS, dazu entsteht in Genf ein Neubau und in Pontresina GR ist ein Ersatzbau geplant. In Luzern ist ein Umzug der Jugendherberge ins Verkehrshaus geplant. Wir legen 2024 auch den Grundstein für eine moderne Angebotsgestaltung. Ende April lancieren wir eine ganz neue Plattform. Hier sollen dann auch kostengünstige Erlebnisse eingebunden sein – von Museumspässen bis zu Spassangeboten. Es geht uns ums Ganzheitliche: die Schweiz mit wenig Budget erlebbar machen.

Warum sollte die Schweiz günstig erlebbar sein?
Der ursprüngliche Gedanke war, Jugendliche aus den beengten Verhältnissen im Industriezeitalter und nach den Kriegen herauszuholen an die frische Luft. Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass dies immer noch wichtig ist. Wir wollen die Möglichkeit geben, unser tolles Land und dessen Natur und Kultur ausserhalb von Schule und Beruf zu erleben – dies auch mit beschränktem Budget. Tourismus darf es nicht nur für Vermögende geben. Es muss ein nachhaltiges, zeitgemässes Tourismusangebot für alle geben. Da spielen wir eine zentrale Rolle.

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