Blick ins Portemonnaie einer alleinerziehenden Coiffeuse (37)
«Ich muss abwägen, welche Rechnungen ich bezahlen soll»

Für die Serie des «Beobachters» legen Leute ihr Einkommen offen – und wofür sie ihr Geld ausgeben. Karin Seiler* dreht als alleinerziehende Coiffeuse jeden Rappen zweimal um – ausser für die Hobbys ihrer Tochter.
Publiziert: 13.04.2024 um 16:32 Uhr
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Aktualisiert: 13.04.2024 um 17:12 Uhr
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Karin Seiler ist alleinerziehende Mutter. (Symbolbild)
Foto: imago images/photothek
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Katrin Reichmuth
Beobachter

Meine Person

Ich bin 37 und gelernte Coiffeuse. Nach der Lehre war ich einige Jahre lang in verschiedenen Coiffeursalons angestellt und habe die Meisterprüfung gemacht. Heute arbeite ich als Spital-Coiffeuse. 

Meine Tochter ist acht und ich bin alleinerziehende Mutter. Der Vater hat sich aus dem Staub gemacht, als ich im fünften Monat schwanger war. Kinderalimente hat er nie bezahlt. Zum Glück springt der Kanton in die Bresche und zahlt mir Unterhalt. Ohne die Unterstützung meiner Familie wäre ich aufgeschmissen. Meine Tochter darf viermal pro Woche bei meinen Eltern zu Mittag essen. Und immer samstags ist sie den ganzen Tag bei ihnen. Eine Kita kann ich mir mit meinem Lohn nicht leisten, denn in meiner Wohngemeinde in Basel-Land gibt es praktisch keine Kita-Subventionen. Ich habe ein 80-Prozent-Pensum, arbeite aber trotzdem an fünf Tagen die Woche. So bin ich jeweils am Dienstag und Donnerstag bereits um 15 Uhr zu Hause und kann für meine Tochter da sein. 

Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Meine Einnahmen

Der Nettolohn für mein 80-Prozent-Pensum als Coiffeuse im Spital beträgt knapp 3180 Franken, 12-mal pro Jahr. Dazu kommen 200 Franken Kinderzulagen pro Monat. Zudem erhalte ich von meiner Kundschaft circa 150 Franken Trinkgeld. Weil der Kindsvater keine Alimente für unsere Tochter zahlt, bekomme ich vom Kanton monatlich 730 Franken. Das heisst: Jeden Monat gelangen 4260 Franken auf mein Konto. 

Meine Ausgaben

Foto: Andrea Klaiber, Beobachter

Wohnen: Meine Tochter und ich wohnen in einer kleinen ländlichen Gemeinde im Kanton Basel-Land. Die Miete für unsere 2,5-Zimmer-Wohnung beträgt 1140 Franken pro Monat. Dazu kommen monatliche Strom- und Nebenkosten von 400 Franken. Die Wohnung ist 75 Quadratmeter gross und hat eine offene Galerie. Dort habe ich mein Schlafzimmer eingerichtet. Meine Tochter hat ein eigenes Zimmer. Daneben befindet sich das gemeinsame Wohnzimmer mit einem kleinen Balkon. Das Quartier ist sehr lebhaft. Meine Eltern wohnen nur zehn Minuten von uns entfernt, und die Schule ist ebenfalls in fünf Minuten zu Fuss erreichbar. 

Telefon und Internet: 150 Franken pro Monat für Handy, Internet und Swisscom TV. Dazu kommen pro Jahr 335 Franken Serafe-Gebühren.

Krankenkasse und Gesundheitskosten: Wegen einer Hautkrankheit muss ich oft zum Arzt. Deshalb habe ich die tiefstmögliche Franchise von 300 Franken und zahle jeden Monat 550 Franken für die Krankenkasse. Die Grundversicherung meiner Tochter kostet 100 Franken pro Monat. Wir haben beide keine Zusatzversicherung. Für Zahnärztin und Medikamente kommen monatlich zusätzliche Kosten von ungefähr 100 Franken dazu. 

Versicherungen: Die Hausratversicherung und die Privathaftpflichtversicherung kosten mich im Jahr 250 Franken. Dazu kommt die Autoversicherung von 700 Franken pro Jahr. 

Mobilität: Wir wohnen sehr ländlich – ohne mein Auto wäre ich aufgeschmissen. Die Motorfahrzeugsteuer kostet mich jedes Jahr 500 Franken. Dazu kommen 200 Franken Benzin pro Monat. Für Reparaturen und Unterhalt gebe ich jährlich ungefähr 3000 Franken aus. Letzten Monat ging die Kupplung kaputt. Das kostete mich 1700 Franken. Das kann ich zum Glück in Raten zahlen. 

Haushalt (inklusive Verpflegung ausser Haus): Ich mache einmal pro Monat einen Grosseinkauf in Deutschland: Milchprodukte, Fleisch, Teigwaren, Mehl et cetera. Dafür gebe ich ungefähr 200 Franken aus. Dazu kommen jeden Monat 100 Franken für Putz- und Waschmittel, Haarpflegeprodukte und Zahnpasta. Brot und Pizzateig mache ich meistens selbst. Gemüse hole ich im Garten meiner Grossmutter. Hundefutter kaufe ich in der Landi, jeden zweiten Monat einen 10-Kilogramm-Sack für 30 Franken. Mein Mittagessen bereite ich vor und nehme es mit. Wir essen fast nie auswärts. Zweimal pro Jahr gehe ich mit einer Freundin in eine Bar, und im Sommer hole ich mit meiner Tochter zusammen ein Glace. Das kostet mich pro Jahr ungefähr 100 Franken. Ich rauche zirka ein Päckli Zigaretten pro Tag. Dafür gebe ich pro Monat 200 Franken aus. Meiner Tochter kaufe ich jeweils ein bis zwei Mal pro Monat eine Zeitschrift wie das «Wendy» oder das «Geolino». Dafür gebe ich nochmals zirka 20 Franken aus. 

Kleidung und Schuhe: Ich bin sehr zurückhaltend, was Shopping anbelangt. Gewisse Kleidungsstücke trage ich bereits seit zehn Jahren. Ich kaufe mir beispielsweise erst neue Turnschuhe, wenn die alten abgelaufen sind. Und dann schaue ich im Ausverkauf, was es hat. Dort fand ich kürzlich Skechers-Turnschuhe für 30 Franken. Meine Tochter ist im Wachstum. Das heisst: Sie braucht ungefähr alle vier bis fünf Monate neue Kleider und Schuhe. Auch für ihre Hobbys muss sie regelmässig neue Schuhe oder Sportkleidung haben. Wir stöbern dann jeweils durch die reduzierten Artikel. Dafür kalkuliere ich ungefähr 150 Franken pro Monat. 

Freizeit: Meine Tochter spielt im Dorfverein Volleyball. Die Mitgliedschaft kostet 80 Franken pro Jahr. Zudem geht sie wöchentlich in den Schwimmkurs. Dafür zahle ich jeden Monat ungefähr 110 Franken. Dazu geht sie alle zwei Wochen zu einer Freundin in die Reitstunde. Das kostet pro Monat 80 Franken. Meine Tochter hat grosse Freude an ihren Hobbys. Auch wenn sie nicht gerade günstig sind, möchte ich ihr den Sport ermöglichen. In meiner Freizeit gehe ich mit unserem Hund spazieren oder drehe eine Runde mit meinem Velo. Das ist gratis. 

Ausflüge und Ferien: Der Sonntag gehört mir und meiner Tochter. Einmal pro Monat machen wir einen Tagesausflug. Entweder fahren wir mit dem Auto in den zoologischen Garten nach Basel. Oder ich hole eine SBB-Tageskarte bei der Gemeinde, und wir machen einen Trip auf die Rigi. Rund 50 Franken pro Monat kalkuliere ich dafür ein. Einmal pro Jahr gönnen wir uns eine Woche Campingferien mit meiner Mutter zusammen. Sie übernimmt jeweils zwei Drittel der Kosten für den Campingplatz, für die Verpflegung und Ausflüge. Das heisst: Mich kostet das pro Jahr ungefähr 500 Franken. 

Altersvorsorge: Ich habe noch nie in die dritte Säule einbezahlt. Das Geld reicht dafür nicht. Ich werde einmal von der AHV und einer wohl sehr kleinen Pension leben müssen.

Steuern: Die letzten Jahre habe ich jeweils zwischen 100 und 150 Franken pro Jahr gezahlt. Im Kanton Basel-Land kann eine Einelternfamilie das Einkommen durch zwei teilen, um den anwendbaren Steuersatz zu ermitteln. Deshalb gilt für mich die tiefste Steuerprogression. 

Luxus: Jeden Monat gehe ich zur Maniküre und bezahle dafür 50 Franken. Wenn meine Tochter gute Noten hat, erhält sie einen Batzen. Für eine Fünf gebe ich ihr fünf Franken und für eine Sechs ein Zehnernötli. Das sind pro Monat ungefähr 20 Franken. 

Was bleibt übrig?

Das Balkendiagramm zeigt einen Überschuss von 115 Franken pro Monat. Der Realität entspricht dieser Sparbetrag leider fast nie. Denn ich habe beinahe jeden Monat unvorhergesehene Ausgaben wie Tierarztrechnungen oder Medikamentenkosten. Oder in der Wohnung geht etwas kaputt. Kürzlich krachte mein 20-jähriges Bettgestell zusammen. Die Matratze konnte ich ebenfalls wegschmeissen. Beides kostete mich 400 Franken. 

So fühle ich mich

Ganz offen und ehrlich: Ich habe Existenzängste. Der finanzielle Druck ist hoch, weil ich kaum Spielraum für unvorhergesehene Kosten habe. Ich befinde mich in einer Spirale. Mehr arbeiten kann ich nicht, und abgesehen von einer kleinen Teuerungsanpassung (80 Franken pro Monat) kriege ich keine Lohnerhöhung. Im Juni fange ich deshalb eine Weiterbildung zur Fusspflegerin an. Ich erhoffe mir, so ein zweites Standbein aufbauen zu können. Bis dahin muss ich jeden Monat abwägen, welche Rechnungen ich bezahlen soll und welche nicht. Das Betreibungsamt kennt mich bereits. Meine Tochter ist mein Ein und Alles. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass sie ihren Hobbys nachgehen kann.

* Name geändert 

Aufgezeichnet von Katrin Reichmuth 

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