Blick beantwortet die wichtigsten Fragen zu den Folgen des Ukraine-Kriegs für die Schweizer Wirtschaft
Müssen wir uns vor hoher Inflation fürchten?

Die Ukraine-Krise könnte der Schweizer Wirtschaft im laufenden Jahr einen empfindlichen Wachstumsdämpfer verpassen. Daher stellen die KOF-Ökonomen in ihrem Frühjahrsgutachten denn auch zwei mögliche Szenarien für das Schweizer BIP-Wachstum vor.
Publiziert: 23.03.2022 um 16:13 Uhr
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Aktualisiert: 23.03.2022 um 16:52 Uhr
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KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm bleibt bei seiner Prognose für die Schweizer Wirtschaft vorsichtig optimistisch. Im günstigsten Szenario rechnet er mit einem Wachstum von knapp 3 Prozent.
Foto: Philippe Rossier
Martin Schmidt

Noch vor wenigen Monaten sahen die Prognosen für die Schweizer Wirtschaft rosig aus. Experten rechneten mit einem Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent. Mittlerweile nehmen die Sorgen vor einem langfristigen Wirtschaftseinbruch jedoch zu. Die Preise für Rohstoffe wie Öl, Holz oder Industriemetall haben stark angezogen. Die Inflation in den USA und in Europa ist so hoch wie lange nicht mehr. Lieferketten stocken. Und über allem hängt bedrohlich der Ukraine-Krieg, der die Weltwirtschaft im Bann hält.

Die aktuelle Prognose der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich, die am Mittwoch präsentiert wurde, liefert Antworten auf die Frage, wie sich all die Risiken auf die Schweizer Wirtschaft auswirken dürften.

Wie gross sind die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs?

Der Krieg erschwert die Prognosen. Die KOF-Ökonomen gehen bei einer kurzen Kriegsdauer jedoch davon aus, dass das Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP) 2022 um 2,9 Prozent wächst – angetrieben durch eine Erholung von den Pandemiefolgen. In diesem Szenario bleiben die wirtschaftlichen Folgen des Krieges auf die Weltwirtschaft mehrheitlich auf das zweite Quartal 2022 beschränkt, auch wenn viele der Sanktionen gegenüber Russland länger in Kraft bleiben werden. Der Ölpreis pendelt sich bei knapp über 100 Dollar pro Fass ein.

Da aber weder Russland noch die Ukraine bedeutende Handelspartner der Schweiz sind, ist der Schaden einer Unterbrechung der Handelsströme begrenzt. «Auch wenn einzelne Unternehmen drastisch betroffen sein werden», wie KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm (52) sagt. Im Jahr 2023 dürfte das BIP dann um 2,3 Prozent steigen.

Welche wirtschaftlichen Folgen hätte ein langer Krieg mit weiteren Sanktionen?

Im Negativszenario unterstellt die KOF einen vollständigen Stopp aller russischen Energie- und Rohstoffexporte auch in die EU. Der Ölpreis würde längerfristig auf 200 Dollar ansteigen und es käme in einigen europäischen Ländern vermehrt zu Produktionseinschränkungen. Die ausländische Nachfrage nach Schweizer Produkten würde sinken.

Die KOF geht zudem davon aus, dass der Handel mit russischen Rohstoffen in der Schweiz gestoppt würde. Zudem würde sich der Schweizer Franken schnell und kräftig aufwerten. Unter diesen Annahmen betrüge die Wachstumsrate des BIP im Jahr 2022 nur noch 1 Prozent. Im Jahr 2023 würde das BIP um 0,8 Prozent ansteigen.

Welches Szenario ist realistischer?

«Noch ist es so, dass wir dem positiven Basisszenario eine etwas grössere Wahrscheinlichkeit beimessen als dem Negativszenario», sagt KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm.

Wie sehen die Prognosen für die einzelnen Branchen aus?

Die Zahlen im Detailhandel sind Anfang Jahr stabil. Das verarbeitende Gewerbe und der Grosshandel liegen beim Wachstum derzeit über dem langjährigen Durchschnitt. Das Gastgewerbe hat sich zu Jahresbeginn beinahe wieder auf das Vor-Corona-Niveau erholt. Der Dienstleistungssektor hinkt noch etwas hinterher, dürfte im Jahresverlauf aber weiter aufholen. Bei den Bauinvestitionen wird eine sehr flache Entwicklung vorausgesagt. Die Industrie soll im positiven Szenario 2022 um 3,7 Prozent wachsen – im Negativszenario hingegen bloss um 1,1 Prozent.

Muss sich die Schweizer Bevölkerung vor hohen Inflation fürchten?

Die Inflationsraten in den USA und in Teilen der EU tendieren gegen den zweistelligen Bereich. Entsprechend hoch sind die Befürchtungen, dass die hohe Inflation demnächst auch die Schweiz erreicht. Die KOF-Ökonomen in der Schweiz zwar mit einer höheren Inflationserwartung, geben aber Entwarnung. Im günstigsten Fall wird die Inflation 2022 1,6 Prozent betragen und 2023 auf 0,8 Prozent zurückgehen.

Im Negativszenario wird sie in diesem Jahr auf 2,8 Prozent steigen und 2023 auf 1,2 Prozent sinken. Dass die Inflation nicht stärker zunimmt, ist auf die Aufwertung des Schweizer Frankens zurückzuführen. «Deswegen steigen auch die Einkaufspreise für die Firmen im Vergleich zum Ausland nur leicht an», sagt KOF-Direktor Sturm.

Darf mit Lohnerhöhungen gerechnet werden?

Im nächsten Jahr sollen die Nominallöhne in der Schweiz um 2 Prozent steigen. Aufgrund der Inflation liegt der Reallohn-Anstieg jedoch knapp unter einem Prozent. Weil die Inflation in diesem Jahr noch höher ist und die Lohnerhöhungen nicht mithalten konnten, sinken die Reallöhne 2022.

Ist mit einem Leitzins-Anstieg zu rechnen?

Um zusätzlich zu den Effekten des Krieges keinen weiteren Aufwertungsdruck zu riskieren, wird die SNB die Zinsen nicht vor der EZB erhöhen. Die SNB dürfte aber folgen, sobald die europäischen Währungshüter den ersten Schritt wagen, womit sich die Zinsen erstmals seit 2015 in Richtung null bewegen würden. Die KOV rechnet damit, dass die EZB den Leitzins Ende 2022 anhebt und 2023 einen weiteren Zinsschritt folgen lässt. In den USA dürften die Zinsen im Kampf gegen die Inflation bis Ende 2023 auf 1,5 Prozent ansteigen.


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