Der Schweizer Turnschuhhersteller On hatte ein Problem: Er war zu erfolgreich. Wenn plötzlich alle in denselben Sneakers herumlaufen, wirds langweilig: Mainstream killt den Hype.
Die Lösung war ein alter Marketingtrick: ein Modell in begrenzter Stückzahl lancieren. Die ersten Farbvarianten des «Cloudnova» waren innert drei Stunden ausverkauft, wer ein Exemplar des «ultra-limitierten» Nachfolgers ergattern wollte, musste sein Glück in einer Auslosung versuchen. Das knappe Angebot war ein regelrechter Nachfrage-Booster.
Was früher Modeartikeln und Musikalben vorbehalten war, gibt es heute praktisch für sämtliche Konsumgüter. Der neuste Trend gemäss «New York Times»: Limited Editions fürs Baby. Sieht man sich in Schweizer Onlineshops um, findet man auf Anhieb zahlreiche Beispiele. Ein geblümtes Trägerkleid «aus limitierter upcycling Baumwolle» für 62.90 Franken, die Babytrage «Rainbow Day Limited Edition» für 168.35 Franken, ein Pfännchen für die Zubereitung von Babynahrung «Beaba Babycook Neo Limited Edition» für 185 Franken.
Karin Frick, Trend- und Zukunftsforscherin am Gottlieb Duttweiler Institut in Rüschlikon ZH, kann das Phänomen erklären. Es hat mit der Menschheitsgeschichte zu tun: «Unser Verhalten ist so geprägt, dass wir auf Knappheit reagieren. Lange Zeit war sich der Mensch Überfluss nicht gewohnt.» Noch knapper als der neuste Roger-Federer-Turnschuh sei heutzutage aber nur eines:unsere Aufmerksamkeit. Die sei das knappste Gut überhaupt, sagt Frick. Deshalb werde der Kampf um die Gunst der Kunden auch immer härter geführt.
Kampf um Aufmerksamkeit
Während der Pandemie kamen neue Brands auf den Markt, die ihre Produkte ausschliesslich als «Limited Editions» anbieten. Die Läden hatten zu, geöffnet waren zu Lockdownzeiten bloss noch Onlineshops. Und nirgends ist der Kampf um Aufmerksamkeit grösser als im Internet.
Neue Produkte wurden Tage zuvor auf sämtlichen Social-Media-Kanälen angekündigt. Verklausuliert, um die Spannung zu steigern, und mit einem Countdown versehen: 100 Stück, ab Mitternacht erhältlich. Der Entscheid zum Kauf oder Nichtkauf lasse sich dann kaum noch sorgfältig treffen, sagt Marketingprofessorin Abigail Sussman in der «New York Times». Man müsse sofort zugreifen – sonst gehe man eventuell leer aus.
Coca-Cola machte es mit individuell beschrifteten Dosen, H&M liess berühmte Modedesigner eine Kollektion entwerfen – sogar den Kinder-Schokoriegel gibts in diesem Sommer als limitierte Edition: «Erlebe nur für kurze Zeit den Geschmack von Dark & Mild.»
«Special Editions» seien ein Versuch der Hersteller, die Kontrolle über ihre Produkte zurückzugewinnen, sagt GDI-Forscherin Frick. Instagram, Youtube und Tiktok hätten uns alle zu Produzenten von Inhalten gemacht. Heute schaltet man keine Werbung mehr, man verlässt sich auf das – hoffentlich positive – Urteil einer Influencerin oder eines Influencers. Und damit diese aufspringen, versucht man sich von der Konkurrenz abzuheben – mit einer «Limited Edition». «Man muss eine Sensation generieren», sagt Karin Frick, «sonst schaut keiner hin.»
Im besten Fall entsteht dabei eine Win-win-win-Situation. Die Marke bekommt Aufmerksamkeit, die Influencerin Likes, und weil ein Produkt, kaum ist es erhältlich, schon wieder ausverkauft ist, entsteht weniger Müll – zum Vorteil der Umwelt.
Die Frage lautet, sagt Karin Frick, wann sich das Konzept mit den Limited Editions erschöpfe. Denn irgendwann würden Konsumentinnen und Konsumenten realisieren: Ein Turnschuh ist ein Turnschuh ist ein Turnschuh.