Bis zu 20 Prozent mehr Betreibungen
Schweizer verschulden sich, um zu essen

Zentrale Güter wie Lebensmittel haben sich überproportional verteuert. Die Ärmsten haben keinen Puffer mehr. Betreibungen nehmen massiv zu.
Publiziert: 30.07.2023 um 10:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2023 um 11:16 Uhr
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Lebensmittel haben sich in der Schweiz überproportional verteuert.
Foto: Pius Koller
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Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

Die Teuerung in der Schweiz geht leicht zurück. Aktuell liegt sie unter zwei Prozent. «Auf welchem Berg wir jedoch stehen, erkennen wir, wenn wir zurückschauen», sagt Dirk Renkert, Finanzexperte beim Onlinevergleichsdienst Comparis.

Tatsächlich betrug die Inflation in den letzten zwei Jahren mehr als fünf Prozent. Doch die Produkte und Dienstleistungen sind nicht im Gleichtakt teurer geworden, und nicht jedes Preisschild tut gleich weh. Auf ein E-Bike können viele verzichten – essen müssen alle. Gerade bei den Lebensmitteln aber sind die Preise deutlich stärker in die Höhe geschossen als bei vielen anderen Gütern.

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So verteuerten sich Brot, Mehl und Getreideprodukte seit Juni 2021 um 9,7 Prozent. Noch stärker auf den Magen schlagen Milch, Käse und Eier mit einem Preisanstieg von über zehn Prozent. Zucker legte um mehr als 13 Prozent zu, Butter um 15 und Margarine um über 22 Prozent. Auch die Preise von Schokolade, Mineralwasser und Bier liessen die allgemeine Teuerung weit hinter sich. Im Rahmen blieben Früchte, Gemüse, Kartoffeln und Pilze mit 4,3 Prozent. «In diesem Bereich sind die Preise im Juni allerdings deutlich gestiegen», sagt Dirk Renkert von Comparis. «Der Grund ist die schlechte Wettersituation insbesondere in Spanien.»

Firmen kassieren, Konsumenten blechen

Von den hohen Preisen profitieren die Unternehmen: Lebensmittelriese Nestlé verkaufte im ersten Halbjahr weniger Produkte, steigerte aber den Umsatz um 8,7 Prozent und den Gewinn um 7,7 Prozent. Die Umsätze der Detailhändler nahmen im Juni um 3,7 Prozent zu. Das Schokoladenhaus Lindt & Sprüngli steigerte seine Marge im ersten Halbjahr um 9,3 Prozent und den Gewinn um über 36 Prozent. Die Unternehmen bestreiten, mit der Inflation überrissene Profite zu erzielen. Klar ist: Den Grossteil der Teuerung tragen die Kunden und Angestellten. Und die geraten mit ihren Zahlungen immer häufiger in Rückstand, wie eine Umfrage von SonntagsBlick bei städtischen Betreibungsämtern zeigt.

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So haben die privaten Betreibungsfälle in Luzern im ersten Halbjahr 2023 um 20 Prozent zugenommen. Chur registrierte 17 Prozent mehr Zahlungsbefehle, St. Gallen 12,4 Prozent. In der Stadt und Region Aarau waren es 10,7 Prozent mehr Fälle. Zürich vermeldet einen Anstieg von 9,5 und Basel-Stadt von 8,4 Prozent. In Winterthur ZH nahmen die Betreibungen um 10,7 Prozent zu. «Wir haben besonders im Juni und Anfang Juli einen starken Anstieg der Betreibungsfälle registriert», sagt Oliver Pfitzenmayer, Leiter des Betreibungsamts Winterthur-Stadt. «Aber weil Inkasso-Prozesse dauern, haben die Folgen der Inflation noch gar nicht voll durchgeschlagen. Wir rechnen mit einer Verschärfung gegen Ende des Jahres.»

Der starke Anstieg der Zahlungsbefehle wird mit Verzögerung auch die Zahl der Pfändungen in die Höhe treiben. «Wir rechnen für die zweite Jahreshälfte auch bei den Pfändungsvollzügen mit einem starken Anstieg», sagt Silvio Lenz, Dienststellenleiter des Betreibungsamts Plessur in Chur.

Essen auf Pump

So überrascht es nicht, dass bei den Regionalstellen der Caritas die Gesuche für die Übernahme von Rechnungen ansteigen. «Menschen mit niedrigen Einkommen haben keinen Puffer mehr», sagt Aline Masé, Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik bei der Caritas. Was Masé besonders beunruhigt: «Immer mehr Menschen, die bei uns in die Beratung kommen, bezahlen ihre Nahrungsmittel mit Kreditkarten.» Der Grund: «Sie haben nichts mehr im Portemonnaie. Sie verschulden sich, um essen zu können.»

Im ersten Halbjahr verzeichneten die 22 Caritas-Läden in der Schweiz eine Zunahme der Frequenz um 14 Prozent, der Umsatz stieg um 20 Prozent – am meisten bei den Grundnahrungsmitteln: 34 Prozent. «Die Menschen geben ihr Geld wirklich für das Nötigste aus», sagt Masé.

Umso unverständlicher seien die Preisaufschläge der Detailhändler bei Billiglinien wie M-Budget und Prix Garantie. Tatsächlich haben Migros und Coop diese Linien im letzten Jahr auf breiter Front verteuert – um bis zu über 20 Prozent. Masé: «Damit steigern sie die Marge auf Kosten der Ärmsten.»

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