Auf einen Blick
Das Phänomen hat pandemische Ausmasse angenommen: Jedes Jahr im Herbst tauchen in der ganzen Schweiz Männer und Frauen auf, die in Lederhosen und Dirndl verkleidet durch die Strassen ziehen. Ihr Ziel: Eines der rund dreissig Oktoberfeste des Landes, um dort unter Beschallung einer Blaskappelle Bier und Gegrilltes zu vertilgen. Das älteste Schweizer Oktoberfest – jenes auf dem Zürcher Bauschänzli – hat noch bis am 9. November seine Pforten geöffnet.
Andere Formen der kulturellen Aneignung – sich etwa als Indianer zu verkleiden – sind zunehmend verpönt. Doch die Kopien des Münchner Oktoberfestes sind gesellschaftlich nicht nur akzeptiert, sondern erfreuen sich steigender Beliebtheit. Sogar das vinophile Genf hat sein Oktoberfest. Das Gaudi mit der bayrisch angehauchten Gemütlichkeit in der Schweiz ist längst ein Millionengeschäft – und dabei gibt es interessante Trends.
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München bleibt das Mass aller Dinge
An das Münchner Original kommen die Schweizer Derivate in Sachen Umsatz nicht heran. Das Fest in der bayrischen Landeshauptstadt bringt eine Wirtschaftsleistung von 1,5 Milliarden Euro auf die Waage. Davon stammt rund die Hälfte aus dem Verzehr der rund sieben Millionen Festbesucher. Die anderen 50 Prozent werden via Hotelübernachtungen, Taxifahrten und Ähnliches eingenommen.
Mit dem Oktoberfest hat die Stadt München einen echten Exportschlager. Das Referat für Arbeit und Wirtschaft, welche das Fest veranstaltet, hat weltweit über 2000 Nachahmerfeste gezählt. Die Grössten gibt es in Blumenau (Brasilien) sowie in Kitchener (Kanada), zu denen jeweils rund eine Million Besucher kommen. Auf Platz drei liegt das Oktoberfest in Frankenmuth im US-Bundesstaat Michigan mit etwa 350'000 Besuchern.
Eine ganze Nummer kleiner ist die älteste Schweizer Kopie, die in diesem Jahr zum 27. Mal stattfindet: das Zürcher Oktoberfest Bauschänzli. Es wird seit 2019 vom Gastrounternehmen Candrian organisiert. Ein Zehnertisch kostet pro Abend um die 1000 Franken, die Mass Bier 17 Stutz. 800 Menschen haben im Festzelt Platz.
Was Umsatzzahlen oder überhaupt eine Geschäftsentwicklung angeht, dazu will sich Candrian auf Anfrage nicht äussern. Laut «SonntagsBlick» lag die Auslastung des Zelts zuletzt bei 97 Prozent. Auf dieser Basis lässt sich schätzen, dass das Fest um die drei Millionen Franken Umsatz generiert. Candrian kommentiert das nicht, Zürcher Gastroexperten halten die Schätzung für plausibel.
Die Feste werden bei Frauen beliebter
In Sachen Zahlen sind kleinere Festbetreiber offener. Wie die Veranstalter des Oktoberfests Einsiedeln, das es seit 2015 gibt. Der Umsatz bewege sich im «tiefen sechsstelligen Bereich», sagt Bierbrauer Alois Gmür (Brauerei Rosengarten), der beim Veranstalterverein «58erli» für die Finanzen zuständig ist. Das Fest findet an nur einem Wochenende im Oktober statt, bis zu 1200 Menschen passen ins Festzelt.
Das Geschäft brummt: Vor zwei Jahren wurde die Besucherkapazität verdoppelt «und die Nachfrage ist ungebremst hoch», sagt Gmür. «Wir machen uns Überlegungen, ein zweites Wochenende dazuzunehmen.»
Trotz hoher Beliebtheit: Auch die Oktoberfeste unterliegen Trends. Einer davon trägt Dirndl: Die Biersausen sind bei Frauen immer beliebter. Und das wirkt sich auf den Bierabsatz aus. «Bei uns ging der Umsatz leicht zurück, und das bei voller Halle, aufgrund des höheren Frauenanteils», sagt Toni Schneider, der das Oktoberfest Winterthur organisiert. Denn mehr als eine Mass Bier trinken Frauen meist nicht. Daher haben viele Oktoberfeste heute auch eine Champagnerbar.
Der Alkoholkonsum sinkt
«Bei der jüngeren Generation gibt es generell einen Trend zu weniger Alkohol», sagt Stephan Dubi, Sprecher der «Züri-Wiesn» im Hauptbahnhof. Das Oktoberfest-Geschäft sei daher «kein Selbstläufer». So würden sich Firmen bei Buchungen von Tischen im Festzelt stärker zurückhalten als in der Vergangenheit.
«Es wird auch weniger Fleisch und mehr Vegi gegessen. Doch vegetarische Speisen sind in der Zubereitung aufwendiger als Fleischgerichte, die ich nur auf den Grill legen muss», sagt Dubi. Das treibt die Kosten.
Und Alois Gmür vom Oktoberfest in Einsiedeln befürchtet, dass in den nächsten Jahren eine Stagnation möglich ist und der Hype um die Biersausen ihren Höhepunkt überschritten haben könnte.
Das Problem mit dem Markenschutz
Der Wettbewerb ist hart: Allein im Kanton Zürich gibt es mittlerweile mindestens 15 Oktoberfeste. Daher haben die «Züri-Wiesn» in diesem Jahr aufgerüstet: «Wir haben 2024 einen substanziellen Betrag in die Ausstattung investiert, so verfügt das Festzelt nun über eine Holzfassade und hat ein oberes Stockwerk», sagt Sprecher Dubi. Laut Branchenkreisen habe das einen mittleren sechsstelligen Betrag gekostet. Das Zelt selbst hat nun eine Kapazität von über 1200 Plätzen.
Die Auslastung liegt aber nur bei durchschnittlich 60 Prozent. Auf dieser Basis lässt sich der Umsatz der «Züri Wiesn» mit rund 1,5 Millionen Franken taxieren. Sprecher Dubi möchte diese Zahl nicht kommentieren.
Um allfälligen Markenrechtsproblemen aus dem Weg zu gehen, haben die Veranstalter ihr Fest auch «Züri Wiesn» und nicht «Oktoberfest» genannt. Interessanterweise hatte die Stadt München die Marken «Oktoberfest» und «Münchener Oktoberfest» zwar einst in der Schweiz schützen lassen, doch den Schutz 2005 nicht mehr verlängert. Warum, das liess die Stadtverwaltung unbeantwortet.
Allerdings haben die Verantwortlichen weiterhin die Möglichkeit, unliebsamen Nachahmern mit Hilfe des Wettbewerbsrechts beizukommen. So ging die Stadt München 2021 mit Erfolg gegen zwei Organisatoren vor, die ein riesiges Oktoberfest in Dubai veranstalten wollten. Das Originalfest musste dabei 2021 das zweite Jahr in Folge wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden.
Was den Verantwortlichen der bayrischen Hauptstadt stank, war der Werbeslogan der geplanten Wüsten-Wiesn: «Oktoberfest goes Dubai». Das sei eine Irreführung und erwecke den Eindruck, dass das echte Oktoberfest umziehen würde, urteilte das Landgericht München.
Schweizer Feste lassen ihre Marke schützen
Riskieren die Schweizer Nachahmerfeste nun wüsten Ärger nach dem Dubai-Drama? Nein, beruhigt die Stadt München. Die Verwaltung werde den vielen Nachahmerfesten nicht nachstellen. Denn «diese stellen aus Sicht der Stadt keine Konkurrenz zum Original in München dar», heisst es. Daher würden auch keine Lizenzgebühren fällig.
So hatten die Macher des Oktoberfests Einsiedeln gar eigenes «Oktoberfestbier» im Angebot, das in Eigenregie gebraut wurde. Laut Alois Gmür vom Veranstalterverein habe man dazu von der Stadt München sogar die Genehmigung erhalten, ohne dass Lizenzen fällig würden. Oktoberfestbiere haben traditionell etwas mehr Alkohol als ein normales Lagerbier.
Die Stadt München ergänzt, dass sie sich nur bei grobem Missbrauch der Marke juristische Schritte vorbehält, um den guten Ruf ihres Festes zu schützen.
Einige Schweizer Oktoberfeste sehen sich derweil derart etabliert, dass sie ihrerseits die eigene Marke haben schützen lassen, wie zum Beispiel das Oktoberfest Winterthur und das Oktoberfest Einsiedeln.
Na dann, ein Prosit der Gemütlichkeit.