Das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» ist in der Bundesverfassung fest verankert. Verwirklicht ist es nicht.
Vom Bundesamt für Statistik wurde der Lohnunterschied zwischen Mann und Frau zuletzt im Durchschnitt auf 19 Prozent beziffert. Nur etwa die Hälfte dieser Differenz ist durch Faktoren wie Ausbildung oder Arbeitserfahrung zu erklären.
Der Unmut über diesen Missstand nimmt zu: Am Montag, am Tag des Frauenstreiks, zogen rund hunderttausend Personen durch die Städte und prangerten unter anderem die Lohnunterschiede als Diskriminierung an.
Ausgerechnet ein bürgerlicher Parlamentarier, der Mitte-Nationalrat Lorenz Hess (59, BE), teilt die Kritik – und verlangt per Motion, dass der Bundesrat konkrete Sanktionen beschliesst, um fehlbare Firmen zu bestrafen. Grössere Unternehmen sind heute einzig dazu verpflichtet, ihr Lohngefüge zu analysieren und allenfalls in einem Bericht zu begründen. Echte Konsequenzen? Fehlanzeige.
«Was wir heute kennen, sind administrative Papiertiger ohne echten Effekt auf das Lohngefüge», sagt Hess. Würden die Betriebe gebüsst, sähe es anders aus: «Ich will kein Unternehmen schröpfen. Aber fehlbare Firmen müssen spürbare Konsequenzen gewärtigen, damit sie ihr Verhalten tatsächlich anpassen.» Der Bundesrat müsse endlich griffige Instrumente schaffen, um die Ungleichheit auszumerzen. Dies sei nichts anderes als die Umsetzung des Verfassungsauftrags.
Support von links bis rechts
Ähnliche Forderungen von links hatten bisher nie eine Chance. Nun scheint die Ausgangslage eine andere. Denn Hess geniesst Support von rechts bis links: Céline Amaudruz (42, SVP) unterzeichnete die Motion ebenso wie FDP-Frau Doris Fiala (64), SP-Nationalrätin Barbara Gysi (57) und Aline Trede (37) von den Grünen. «Mir ist keine Untersuchung bekannt, die den Lohnunterschied zwischen Mann und Frau nicht nachweist, aber es wird sicher weiterhin bürgerliche Herren geben, die diese Ergebnisse negieren», sagt Hess voraus.
Das ist zwar noch keine Garantie für eine parlamentarische Mehrheit. Allerdings verspricht nicht nur der Absender, sondern auch der Zeitpunkt Erfolg für Hess und seinen Ruf nach Sanktionen.
Vier Jahre, nachdem die letzte grosse Altersreform an der Urne scheiterte, nimmt Bern gerade einen neuen Anlauf. Um die AHV zu stabilisieren, beschloss das Parlament in der Sommersession, das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre zu erhöhen. Daneben die Lohnunterschiede zu ignorieren, gefährdet dieses Vorhaben massiv, wenn die Reform in absehbarer Zeit vor dem Volk zu bestehen hat.
«Ich bin sozusagen ‹AHV-geschädigt›», meint Hess. «2017 kämpften BDP und CVP gemeinsam mit der SP für die Altersreform. Wir verloren.» Nun erlebe er im Parlament ein eigenartiges Déjà-vu: «Wir erhöhen das Rentenalter für die Frauen auf 65, schwören uns ein auf die grosse Reform. Und bei der nächsten Gelegenheit ziehen sich alle in ihre Gräben zurück.»
Länger arbeiten, aber nur bei Lohngleichheit
Das Scheitern der nächsten Altersreform sei eine «sehr reale Gefahr», meint Hess.Und ein gewichtiges Argument, sie abzulehnen, sei eben das Frauenrentenalter.
«Viele Frauen in meinem Umfeld sind zwar grundsätzlich einverstanden, länger zu arbeiten. Aber nur, wenn wir der Lohngleichheit endlich Nachdruck verschaffen», Und diese Haltung, so Hess, könne er gut verstehen.
Die Zürcher Sozialdemokratin Min Li Marti (47) trägt die Motion ebenfalls mit. Es ist noch kein Jahr her, da versenkte der Nationalrat ihren Vorstoss, der ebenfalls Bussen bei Lohnungleichheit forderte.
Heute sagt Marti: «Ob die Mitte nun tatsächlich ihre Haltung ändert, muss sich zeigen. Meine parlamentarische Initiative, die ebenfalls Sanktionen verlangte, wurde von deren Fraktion noch klar abgelehnt.»
Marti fügt hinzu: «Wenn aber die Altersreform hier zu einem Umdenken führt, begrüsse ich das und nehme jede Verbesserung an, egal, welches Motiv dahinterstecken mag.»